Zigtausend seltene Arten wie Coloradotanne, Korsische Minze und ein kleiner Mammutbaum sprießen in seinem dschungelgleichen Garten in Thekla. Doch nun muss Christian Teichmann um seinen Pflanzen-Schatz bangen. „Uns droht die Zwangsräumung“, sagt der 72-Jährige. Zum 31. März soll er den Garten verlassen – denn der Eigentümer, die evangelisch-lutherische Matthäuskirchgemeinde, hat ihm nach über 50 Jahren das Pachtland gekündigt.
Eine Horrorvorstellung für den Ex-Landschaftsgestalter: Trauer und Zorn mischen sich. „Die Kirche vernichtet unser Lebenswerk“, behauptet der Rentner wütend. Er vermutet, dass sein Nachbar Druck ausgeübt habe und ihn loswerden will. Der Anliegerstreit wird zum Glaubenskrieg.
Höllische Nachbarn?
Seit Jahren wird auf dem Pfarrlehn im Leipziger Nordosten erbittert gezankt. Er habe zu nah an der Grundstücksgrenze gebaut, wirft Teichmann dem Nachbarpächter vor. Der wiederum störe sich an Teichmanns Bäumen, findet den Garten völlig verwildert. Immer wieder kam es zu Reibereien und Beschimpfungen. Für Teichmann ist klar: „Der will an unser Grundstück und macht deswegen Stimmung gegen uns.“
Zuletzt durchtrennte ihm der Nachbar die Stromleitung – mit juristischem Nachspiel. „Mitten im Prozess – wir hätten Recht bekommen – hat die Kirchgemeinde uns gekündigt“, so Teichmann. Trotz Gerichtsklage blieb ihm der Anspruch auf eine Reparatur damit verwehrt.
Im Kündigungsschreiben von 2013 heißt es, Teichmann habe sich „gemeinschaftsstörend verhalten“ und sei an einem friedlichen Zusammenleben nicht interessiert. Mit mehreren Nachbarn liegt er im Clinch. Kirchenvertreter habe er als „korrupt bezeichnet“.
Pfarrer Konrad Taut (53) von der Matthäuskirchgemeinde sieht den Pensionär als Unruhepol, zieht – mehrere Monate später – mit der angedrohten Zwangsräumung jetzt die Notbremse. Die Bemühungen, das Pachtverhältnis fortzusetzen, seien gescheitert. „Herr Teichmann hat nicht zur Schadensbegrenzung beigetragen“, verteidigt er. „Trotz Schonfrist“ habe er immer mehr Unrat angehäuft, obwohl das Ende absehbar war. Er hätte auch versuchen können, sukzessive umzupflanzen.
Dass es Abmachungen mit Teichmanns Nachbarn gegeben habe, bestreitet Taut. Der frühere Bürgerrechtler sagt: „Was mit dem Grundstück danach wird, steht noch gar nicht fest.“
Bittbrief an den Bischof
Auch wenn die Kündigung wohl rechtens sei, „menschlich läuft hier nicht alles einwandfrei“, bewertet Teichmanns Anwalt Peer Hofmann (44) das Drama. „Die älteren Rentner befinden sich in absoluter Verzweiflung“, mahnt er. Klärende Gespräche habe es kaum gegeben. Die Kirche habe „das Seelsorgerische aus dem Blick verloren.“
1961 pachteten Teichmanns Eltern die Kirchen-Immobilie. Er und seine Ehefrau Hannelore übernahmen die Liegenschaft Mitte der 1990er-Jahre, beackern seitdem die 900-Quadratmeter-Parzelle. Selbst angebautes Obst und Gemüse versprachen immer eine reiche Ernte, wie Fotos zeigen. Zwischen Blätterwald und Holzhaufen fanden Vögel, Insekten und Amphibien einen Rückzugsort.
Sein halbes Leben spielt sich zwischen Gartenpforte und Laube ab. „Der Garten ist unser Lebensinhalt“, sagt er. Saatgut-Material seiner wertvollen Pflanzenwelt bereichert sogar den Samenkatalog der Universität Halle. Botanikerin Eva Bremer hält das Stadtbiotop für schützenswert, hofft auf „eine wohlwollende Klärung der Grundstückssituation.“
Letzter Ausweg? Dem evangelischen Landesbischof Carsten Rentzing hat Christian Teichmann inzwischen einen Brief geschrieben und fleht: Wir wollen unseren Garten zurück!
Von Benjamin Winkler