In der zweiten Etage der Alten Nikolaischule wurden gestern Reformationsbrötchen verteilt. Nicht, dass da jemand zeitlich etwas verdaddelt hätte. Die mit Marmelade beklecksten „Bischofmützchen“ hatten Symbol-Mission. Sie sollten kulinarisch aufs kommende Reformationsjahr einstimmen. Dazu wurden erste Informationen serviert, was alles zwischen dem 25. und 28. Mai speziell an der Pleiße los sein wird. Das Motto hier: „Musik. Disput. Leben.“ Unter diesem Dreiklang steht der sogenannte „Kirchentag auf dem Weg“ in Leipzig. Er findet zeitgleich mit dem 36. Deutschen Evangelischen Kirchentag Berlin-Wittenberg statt, in acht mitteldeutschen Städten gibt es dazu begleitend sechs solcher „Kirchentage auf dem Weg“.
Der Leipziger Kirchentag werde dabei der größte der kleineren sein. 50 000 Gäste würden erwartet, so Oberlandeskirchenrat Dietrich Bauer von der Sächsischen Landeskirche, zugleich Vorsitzender des Lenkungsausschusses für die Leipziger Veranstaltung. „Um deren Motto haben wir im Übrigen schwer gerungen“, so der hiesige Superintendent Martin Henker. „Es sollte typisch für Leipzig sein, es sollte inhaltlich aufs Programm verweisen.“ Dass mit der Musikstadt stimme auf jeden Fall. Was den Disput betreffe: „Wir leben in einer diskutierfreudigen Bürgerstadt. Hier hat nie ein Fürst gelebt“, betonte Henker.
Die Sache mit der Stadt voller Leben, die soll sich offenbar im Programm widerspiegeln. Wie berichtet, hatte der das Reformationsjubiläum vorbereitende Wittenberger Verein „r2017“ bereits im Vormonat in der Ritterstraße 30-36 ein Leipziger Büro eröffnet. Gestern gab es schon eine recht detaillierte Aufstellung dafür. Fast so, als könnte es morgen schon losgehen: Zig touristische und Jugendangebote; Konzerte, Familienprogramme, spirituelle Wasserwege-Erkundigungen. Auch eine Disputations-Performance auf dem Markt. Ein Begegnungsfest und ein Begegnungstag mit Aussiedlern, diakonische Offerten und ein Frauenmahl. Vorsorglich dann gestern ein warnender Zwischenruf: „Das kann sich alles noch ändern!“
Auf alle Fälle verwies Oberlandeskirchenrat Bauer auf „die größte Kaffeetafel der Welt“, die in der City aufgestellt werden und jedermann einladen soll, sich hinzusetzen und in den Diskurs über „Demokratie und Zivilgesellschaft“ zu kommen. Dieses Format solle auch in die Stadtteile verlagert werden, etwa in örtliche Lokalitäten. Überdies werde Leipzig letztlich der Ort sein, an dem sich etwa 10 000 Bläser aus Posaunenchören Deutschlands treffen, um der Stadt einen „besonderen Klang“ zu verleihen.
Eigens aus Berlin war Margot Käßmann, Botschafterin des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland fürs Reformationsjubiläum, gekommen. Sie hatte es aber eher mit dem Rückblick, erinnerte etwa an den letzten gesamtdeutschen Kirchentag 1954 in Leipzig. Sage und schreibe 650 000 Menschen seien damals zur Abschlussveranstaltung gekommen. Und noch lange danach habe die Kirchentagsrede von Klaus von Bismarck „Die Freiheit des Christen zum Halten und Hergeben“ für Wirbel gesorgt. Käßmann verwies zudem auf den DDR-Kirchentag 1978 in Leipzig und an den ersten gesamtdeutschen im Jahr 1997. Auch in Leipzig. Bei dem habe man sich ja über die Losung „Gerechtigkeit erhöht ein Volk!“ nicht einigen können, das Ganze letztlich „Auf dem Weg zur Gerechtigkeit ist Leben“ genannt. „1997 war ich gerade Generalsekretärin“, sagte Käßmann – und schob noch etwas zum Schmunzeln nach: Etwa, dass Nikolaipfarrer Christian Führer damals partout „keine Unifomierten in der Nähe meiner Kirche“ sehen wollte. „Nun, er meinte die Pfadfinder“, erzählte die Theologin und frühere Bischöfin. Auf alle Fälle: „Wir wollen im Reformationsjubiläumsjahr die Leipziger Kirchentagstradition wieder aufgreifen“, sagte Käßmann, die auf viel Zuspruch hofft. Nicht zuletzt verbinde sie mit dem 36. Evangelischen Kirchentag noch eine Hoffnung: „23 Prozent der Westdeutschen waren bislang immer noch nicht einmal in Ostdeutschland. Ich sehe in den Kirchentagen eine Möglichkeit, dass sich Menschen hierher aufmachen.“
Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) breitete gestern sozusagen einmal mehr die Arme für ein „Herzliches Willkommen“ aus. Vom 950 000-Euro-Kirchentagszuschuss der Kommune „fließe bestimmt viel mehr wieder zurück“. Zugleich „schwappten“, wie schon beim gerade beendeten 100. Katholikentag, Impulse aus den gesellschaftlichen Reflexionen der zu erwartenden Gespräche in die Stadt zurück, so Jung.
Von ANGELIKA RAULIEN