Es waren nicht irgendwelche Bäume, die verloren gingen. Es waren museumsreife Gehölze, die als Wahrzeichen eines besonderen Anwesens galten. Sie erinnerten an Ludwig Ephraim, einen Wissenschaftler, der schräg gegenüber bei keinem geringeren als Nobelpreisträger Wilhelm Ostwald gearbeitet hatte.
Es waren stürmische Zeiten, in denen der Jude Ephraim mit seiner Frau eine Weltreise unternahm. Als er 1939 zurück kehrte, war sein englisches Landhaus bezugsfertig. Ein Gärtner legte zusätzlich einen englischen Park an.
Sturmtief leistete ganze Arbeit
Fast 80 Jahre trotzte die zuletzt riesige Linde all den Launen der Natur. Bis Sturmtief Herwart am 29. Oktober 2017 ganze Arbeit leistete. Bei dem verheerenden Unwetter brach ein gewaltiger Ast ab und stürzte genau auf ein im Vorgarten geparktes Auto.
Die auf dem Grundstück an der Grimmaer Straße ansässigen Edda und Hermann Schaller waren gerade auf Urlaub in Griechenland. Schwiegersohn Steffen, dem der VW Sharan gehörte und der auch in der Nummer 54 wohnt, mailte unverzüglich einen Schnappschuss vom Totalschaden in den sonnigen Süden.
Weil von der einst 25 Meter hohen Linde nur noch ein Stumpf übrig blieb und die beiden großen Schwarzkiefern nun völlig ungeschützt standen, mussten auch diese gefällt werden. Glück im Unglück: Nur Tage später, am 18. Januar 2018, wütete Friederike auf dem Grundstück und machte das Dutzend an umgestürzten Bäumen voll. „Nicht auszudenken, die Schwarzkiefern hätten noch gestanden. Sie wären mit Sicherheit auf die Schlafzimmerdächer unserer Kinder gestürzt“, sagt das Rentnerehepaar Schaller.
Beide arbeiteten als Allgemeinmediziner, Edda in Grimma, Hermann in Colditz. 1972 hatten die Leipziger das Haus in Großbothen gekauft. Vier Jahre waren beide in Nicaragua, gehörten zu den Gründern des von der DDR in Managua errichteten Vorzeige-Krankenhauses „Carlos Marx“.
Lebensbaum schwankte und stürzte schließlich
Geld und Liebe steckten sie in Haus und Hof, pflanzten Bäume und Büsche. Umso trauriger stimmen sie die Verluste: „Fünf jeweils 20 Meter hohe Fichten hat Friederike regelrecht entwurzelt“, sagt der promovierte Hermann Schaller, einst Betriebsarzt im Colditzer Porzellanwerk: „Wir mussten mit ansehen, wie der Lebensbaum, den noch Ludwig Ephraim pflanzen ließ, wankte und schwankte. Immer hin und her, bis er schließlich fiel.“
Ehefrau Edda erinnert sich an das Telefonat, das sie mit Nachbarin Helga Voigtländer führte: „Als der Sturm immer heftiger wurde, sagte Helga, sie müsse jetzt auflegen, weil gerade ein Baum auf die Straße gestürzt sei.“ Auch hier Glück im Unglück. Wäre er eine Sekunde eher umgefallen, hätte er einen vorbeifahrenden Wagen unter sich begraben, sind sich die Anwohner sicher.
Versicherung regulierte einen Großteil
13. 000 Euro betrug der Schaden. Den Großteil der Summe hat die Versicherung reguliert. Und doch weinen die Schallers den unwiederbringlich verloren gegangenen, geschichtsträchtigen Bäumen hinterher. Es habe sich sichtlich gelichtet auf dem einst kuscheligen Grundstück. Weil bei der Bergung schwere Technik, sogar ein Kran, zum Einsatz kam, habe der Garten im Ganzen gelitten. Erst nach der langen Dürre trauten sich die Schallers, neu einzusäen. Inzwischen ist Gras über die meisten Wunden gewachsen.
Die Schallers wissen, warum der Sturm aus Nordwest ausgerechnet ihr Grundstück und das der Nachbarn heimsuchte: „Zwischen Ostwald-Park und Wald ist freies Feld. In dieser Schneise muss Friederike mächtig Luft geholt haben, um bei uns ordentlich rein zu pusten.“
Von Haig Latchinian