Erster Schultag in Leipzig: Mit Masken und Optimismus gegen Corona

Die Pfützen am Eingang der Pablo-Neruda-Grundschule spiegeln frisch gefallene Kastanien, vor allem aber Menschen. Dutzende Eltern blicken wehmütig kleinen Rücken hinterher, auf denen Ranzen wackeln. Das Loslassen von Kindern am ersten Schultag ist von Natur aus etwas Besonderes – und wegen Corona erst recht. Ein Mann wendet sich ab, steigt auf sein Rad und nickt einem Bekannten zu. „Wird schon gut gehen.“ Petra Seipel ist davon überzeugt. Die Schulleiterin des benachbarten Reclam-Gymnasiums hat sich auf das neue Schuljahr gefreut. „Wir alle sind hochmotiviert, daran kann auch Corona nichts ändern.“ In den Ferien hat ein Team die Plattform Lernsax überarbeitet und effizienter gemacht. 1060 Schülerinnen und Schüler stehen in der Datenbank, 130 von ihnen sind als Fünftklässler Neulinge. Zu ihnen gehört Maria Hoffmann. „Etwas aufgeregt bin ich“, gesteht die Zehnjährige, „aber Angst vor Corona habe ich nicht.“ Ihr Vater Michael Hoffmann ist ebenfalls gelassen. „Das wäre vielleicht nicht so, wenn wir in einem Hotspot wie Nordrhein-Westfalen leben würden“, sagt er. Petra Seipel weiß um die Verantwortung, die sie für die jungen Leute und ihr Kollegium hat. „Wir sind achtsam und vorsichtig“, betont sie. Außerhalb der Unterrichtsräume und Lehrerzimmer gilt Mundschutzpflicht, bei unbegründeter Zuwiderhandlung ist Abholung des Kindes angesagt. Eine rigorose Haltung, die sie mit Heike Palluch vom Kant-Gymnasium in der Südvorstadt teilt. „Wer ohne Mundschutz kommt, wird zum Schutz aller wieder nach Hause geschickt“, stellt die Leiterin klar. Aber auch sie ist froh, „dass das soziale Miteinander wieder funktioniert“. Palluch bedauert, dass noch drei Lehrer fehlen, um den Unterricht komplett abzudecken. Eine weitere Lücke reißt die Abwesenheit von Kollegen, die mit einem Attest vom Arzt keinen Präsenzunterricht geben müssen. In diesem Punkt klopft Carola Wirth, Rektorin an der Erich-Kästner-Grundschule in Gohlis, auf Holz. „Alle da, alle gesund“, konstatiert sie. Wie schon gegen Ende des vergangenen Schuljahres setzt sie auf einen gestaffelten Einlass für die 350 Schüler aus 14 Klassen. Breite Flure ermöglichen Abstand am ersten Schultag in Leipzig: Beginnend um 7.45 Uhr mit den Viertklässlern, wird alle 15 Minuten die nächste Klassenstufe hereingewunken. Das garantiert Abstand; zu Gute kommt der Schule die architektonische Großzügigkeit – die Flure in der 2013 eröffneten Einrichtung sind nicht nur hell, sondern auch breit. Wirth freut sich, dass es nun losgeht. „Die Stimmung bei uns ist sehr gut.“ In zwei Fällen allerdings haben Eltern den Maskenschutz für ihre Kinder abgelehnt; sie befürchten Atemnot und das Ansammeln von Bakterien im Textil. Auch wenn Mediziner Entwarnung geben – für die ersten Tage macht Wirth eine Ausnahme, „eine Regel darf das jedoch nicht werden“. Aktuell lässt sie sich juristisch beraten, wie sie künftig mit solchen Fällen verfahren sollte. Danke für die Rücksicht: In Tauchas Grundschule am Park lobt Leiterin Carola Kirsten das rücksichtsvolle, besonnene Verhalten der Eltern. „Hauptsache, sie vergessen das in den nächsten Tagen auch dann nicht, wenn es mit der Zeit mal knapp wird“, sagt die 61-Jährige, die am Eingang Kinder und Eltern begrüßt. An Tauchas Regenbogenschule war der Andrang bei 117 Erstklässlern ebenfalls groß. Eltern berichten später, dass auch hier alles ruhig und vernünftig abgelaufen ist. Auf verantwortliches Denken und Handeln seiner 381 Schülerinnen und Schülern setzt Niels Schulz, Leiter des Zwenkauer DPFA-Regenbogengymnasiums. Eine gewisse Disziplin dürfe man erwarten, findet auch Zwölftklässler Ben Bräuer. Die wegen der Pandemie schulfreie Phase im Frühling „habe ich gar nicht als große Einschränkung oder Hemmfaktor wahrgenommen“, erzählt der 17-Jährige. Übrigens: Die Fünftklässler bekommen hier – ganz wie ABC-Schützen – von ihren Klassenlehrern kleine Zuckertüten mit bunten Stiften und Süßem. „Das hat bei uns Tradition“, erklärt Niels Schulz. „Alles gut vorbereitet“ in Leipzig: Sein Kollege Martin Seffner vom Musikalisch Sportlichen Gymnasium in der Leipziger Salomonstraße nimmt um 8 Uhr die neuen Klassen 5 bis 10 in Empfang, die weiteren Jahrgangsstufen folgen um 12 Uhr. „Insgesamt ist alles vorbereitet, um in ein gutes neues und hoffentlich dauerhaft ,normales‘ Schuljahr zu starten“, sagt er. Im Montessori-Schulzentrum in Grünau hat man wegen Covid 19 einiges entzerrt. „In den ersten beiden Wochen gibt es keine klassenübergreifenden Angebote – wegen der Reiserückkehrer“, informiert Rektor Sebastian Heider. Er geht davon aus, dass Mitte September auch die traditionellen Klassenfahrten der neuen Fünftklässler zum Kennenlernen stattfinden können. Naturgemäß ist die Aufregung bei Grundschülern besonders ausgeprägt. Irma (9) und Inga (8) freuen sich, ihre Freunde in der Montessori-Grundschule in Rüssen-Kleinstorkwitz wiederzutreffen. „Obwohl das Ausschlafen auch toll war“, meint Irma grinsend. Zu den 67 Schülerinnen und Schülern gehören 16 Debütanten. Die Klassengruppen „Adler“, „Tiger“ und „Delfine“ dürfen zunächst über den Schulhof toben, bevor sie sich zum Klassenfoto aufstellen. Als eine von acht neuen Leipziger Schulen feiert die modern ausgestattete Oberschule am Barnet-Licht-Platz Premiere. „Das Info-Kabinett fehlt noch. Ich bin dennoch positiv überrascht, dass bei diesem Bautempo alles so gut läuft“, sagt Claudia Wallner, Leiterin der 125. Oberschule, die das Haus zunächst als Außenstelle betreiben wird. Im Neubau lernen rund 200 Kinder. Wo auch immer die erste Stunde gerade bevorsteht: Weil viele Eltern ihre Zöglinge per Auto abliefern, herrscht oft Parkplatznot. Dass die Lage in öffentlichen Verkehrsmitteln weitgehend entspannt bleibt, liegt aber auch am von den LVB extra eingerichteten Zehn-Minuten-Takt auf sämtlichen Linien. Corona, der blöde Rowdy zum ersten Schultag: Fazit: Den Neustart dominieren Tatendrang und Zuversicht, das Virus soll das nicht vermiesen. Corona, das ist der blöde Rowdy aus der Parallelklasse, dem man einfach besser aus dem Weg geht. Damit kann man leben, lehren und lernen. Null Skepsis, keine Angst, alles in Butter? „Natürlich schwebt irgendwo die Angst mit, dass die Lage wieder brenzliger werden könnte“, sagt Annett Wohlfahrt, Mathe- und Geo-Lehrerin am Reclam-Gymnasium. Und Ute Wolter, die die Grundschule am Auensee leitet, gibt zu: „Anfangs hatten wir gemischte Gefühle.“ Dazu haben auch die Beschränkungen zu Einschulungsfeiern ihren Beitrag geleistet. Carola Wirth gesteht, am Montag mit einem komischen Gefühl aufgewacht zu sein. Dennoch: Alle schieben ein „Aber“ hinterher. „Vor allem freuen wir uns, dass es weitergeht“, sagt die Rektorin der Kästner-Schule, „denn hier macht jeder seinen Job aus Leidenschaft.“ Natürlich bleiben Ungewissheiten und Fragezeichen. An einer Wand prangt dazu ein weiser Trost vom Namensgeber Erich Kästner: „Wird’s besser? Wird’s schlimmer? fragt man alljährlich. Seien wir ehrlich: Leben ist immer lebensgefährlich.“ Von LVZ