Zusatzbelastung Pandemie: mehr Anträge auf Eltern-Kind-Kur durch Corona-Stress?

Die Corona-Pandemie hat das Leben aller Menschen verändert. Vor allem aber für Familien mit Kindern sind die Einschränkungen eine große Belastung. Insbesondere der Lockdown im Frühjahr, als Eltern aufgrund geschlossener Kitas und Schulen neben den täglichen beruflichen und privaten Verpflichtungen auch noch als Pädagogen gefragt waren, hat viele Mütter und Väter an die Grenze der Belastbarkeit gebracht. Das legt nahe, dass durch die Zusatzbelastungen auch in Leipzig und der Region der Bedarf an Eltern-Kind-Kuren gestiegen ist. Krankenkassen mit überraschenden Zahlen: Doch eine Umfrage bei den größten Krankenkassen in Sachsen zum Bedarf an Kuren für überlastete Eltern brachte durchaus überraschende Ergebnisse. „Bis jetzt können wir keinen steigenden Kur-Bedarf aufgrund der Pandemie feststellen“, erklärt beispielsweise Hannelore Strobel, Pressesprecherin der AOK Plus. In den Monaten April und Mai – also während des ersten Lockdowns – seien die Antragszahlen in der Region Leipzig um die 60 Prozent zurückgegangen. Der gleiche Trend ließ sich auch in anderen Regionen von Sachsen und Thüringen beobachten. „Unsere Versicherten haben vor allem im März und April offenbar nicht notwendige Arztbesuche unterlassen. Außerdem hatten ja auch die Vorsorgeeinrichtungen geschlossen. Seit Mai haben unsere Versicherten wieder vermehrt Anträge auf Mutter/Vater-Kind-Maßnahmen gestellt“, so Hannelore Strobel weiter. Bei Eltern-Kind-Kuren stehen Mütter oder Väter im Mittelpunkt der Behandlungen – im Gegensatz zu einer Kinder-Reha, bei der die Kinder im Vordergrund stehen. Die Mitaufnahme von Kindern ist bei Eltern-Kind-Kuren aus verschiedenen Gründen möglich, zum Beispiel, wenn die Betreuung während der Abwesenheit von Mutter/Vater nicht sichergestellt werden kann, aus sozialen Gründen oder weil das Kind ebenfalls behandlungsbedürftig ist. Zusammenhang zwischen Doppelbelastung und Erschöpfung: Die Techniker Krankenkasse verzeichnete von März bis Juni bei den Anträgen für eine Eltern-Kind-Kur sogar einen bundesweiten Rückgang von 67 Prozent. Die Inanspruchnahme der bereits bewilligten Kuren ist in derselben Zeit nahezu zum Erliegen gekommen, auch durch die zeitweiligen Schließungen von Kur-Einrichtungen. Dieser starke Rückgang hat sich in den Monaten August und September zwar wieder etwas abgemildert, er beträgt aber immer noch minus 33 Prozent gegenüber den Vorjahres-Monaten. Auch die Zahl der bislang in diesem Jahr durchgeführten Eltern-Kind-Kuren liegt rund 20 Prozent unter dem Vorjahres-Niveau. „Bei den Begründungen verzeichnen wir keine Unterschiede zu der Zeit vor der Pandemie. Es handelt sich ganz überwiegend um persönliche psychische Belastungen und deren Auswirkungen. Oft besteht ein Zusammenhang mit einer Doppelbelastung in Familie und Beruf und dadurch ausgelöster Erschöpfung sowie Stress“, berichtet Matthias Jakob von der Landesvertretung Sachsen der Techniker Krankenkasse. Ebenfalls deutlich zurückgegangen ist die Zahl der Anträge bei der IKK classic, die in Sachsen rund 426.000 Versicherte und ihre Familien betreut. Die Zurückhaltung bei der Antragsstellung, die zu 80 Prozent von Müttern erfolgen, war allerdings nicht nur in der ersten Corona-Welle von März bis Mai prägend, sondern setzt sich auch weiter fort. In Sachsen sank die Zahl der Antragstellungen zwischen März und Oktober im Vergleich zum Vorjahr deutlich um 27,91 Prozent. „Das heißt aber nicht, dass der Bedarf gesunken ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Versicherte aus Sorge vor einem höheren Infektionsrisiko diese Leistung nicht beantragt haben“, erklärt Andrea Ludolph von der Pressestelle der IKK classic in Sachsen. Darüber hinaus hätten viele Versicherte sogar bereits genehmigte Mutter/Vater-Kind-Maßnahmen nicht angetreten. „Zum einen waren Kliniken von Ende März bis Juni aufgrund des Lockdowns geschlossen, zum anderen wurden bestätigte Termine von Versicherten aus Sorge vor Ansteckung abgesagt oder verschoben. Konkrete Zahlen liegen hier allerdings noch nicht vor.“ Die Gründe für die medizinische Notwendigkeit einer Mutter/Vater-Kind-Kur - wie psychische Erkrankungen durch Belastungssituationen im privaten oder beruflichen Bereich - haben sich durch Corona nicht verändert. „Wir gehen davon aus, dass sich besondere Belastungen aufgrund der Corona-Pandemie erst mittelfristig im Antragsverhalten widerspiegeln werden“, blickt Andrea Ludolph voraus. Im Gegensatz zum Frühjahrs-Lockdown sind Eltern-Kind-Kureinrichtungen vom aktuellen „Lockdown light“ nicht betroffen. Es gelten jedoch strenge Hygienekonzepte, um Eltern und Kinder bestmöglich zu schützen. Diese orientieren sich an den Richtlinien des Robert-Koch-Institutes und den Empfehlungen der Gesundheitsämter vor Ort und werden ständig an die aktuellen Gegebenheiten angepasst. Auch bei der BARMER Sachsen sind in den vergangenen Monaten insgesamt weniger Anträge für eine Eltern-Kind-Kur eingegangen. Auch hier waren keine regionalen Unterschiede zu erkennen. Landesgeschäftsführer Dr. Fabian Magerl erklärt: „Ob und welchen Einfluss die Pandemie-Situation auf den aktuellen Bedarf hat, können wir nicht sagen. In Gesprächen mit unseren Versicherten haben wir erfahren, dass Eltern in dieser Krisensituation eine stationäre Kurmaßnahme eher meiden, weil sie das Risiko einer Ansteckung mit dem Coronavirus fürchten. So verzichten sie momentan auch auf einen Antrag für eine Eltern-Kind-Kur.“ Wer in den vergangenen Corona-Monaten dennoch einen solchen Antrag gestellt hat, habe als Gründe überwiegend die Doppelbelastung durch Homeschooling und Home-Office sowie Partnerprobleme genannt. Um den Familien in der Pandemie-Situation behilflich zu sein, hat die BARMER unabhängig von Eltern-Kind-Kuren einen Corona-Guide geschaffen. Auch im Rahmen der Initiative „Ich kann kochen!“ werden Familien unterstützt, wenn sie aktuell viel Zeit zu Hause verbringen. In der Familienküche werden Ideen und Rezepte vorgestellt, die daheim ganz einfach nachgekocht werden können. Ganz nebenbei können Eltern ihren Kindern Wissenswertes zu den Themen Küchenpraxis, Hygiene und Kochen vermitteln. Anregungen dafür kommen von Fernsehköchin Sarah Wiener. Kurorte an Nord- und Ostsee als beliebteste Ziele: Krankenkassenübergreifend sind Kurorte an Nord- und Ostsee nach wie vor am beliebtesten bei den Antragstellern einer Eltern-Kind-Kur, gefolgt von Mittel- und Hochgebirgslandschaften. Sowohl die Seeluft als auch die Luft in den Bergen ist bekanntermaßen gesundheitsfördernd. Außerdem stellen weiterhin deutlich mehr Frauen einen Antrag auf eine Eltern-Kind-Kur. Der Anteil der antragstellenden Männer liegt je nach Krankenkasse zwischen 10 und 20 Prozent. Von Andreas Neustadt