"Total am Ende": Mutter aus Leipzig zwischen Corona-Quarantäne, Haushalt und Studium

Haushalt und Kochen, Arbeit, Kinderbetreuung – die Corona-Krise bringt Familien an die Grenzen der Belastbarkeit. Und darüber hinaus. Vor allem Mütter sind es, die diese Mehrfachbelastung zu spüren bekommen. Sie reiben sich auf zwischen Erwartung, Anspruch und Realität. Schon jetzt, vor dem erneuten Lockdown, gehen sie auf dem Zahnfleisch. Sie fragen sich: Wie sollen wir die nächsten Wochen überstehen, wenn wir schon jetzt völlig fertig sind? So wie Lisa Kunadt. Die 29 Jahre alte Leipzigerin ist zwar aktuell mit ihrem zweiten Kind in Elternzeit, wollte dieses Jahr aber auch nutzen, um ihr Studium der Wirtschaftswissenschaften zu Ende zu bringen. Doch es kam anders. Der Beginn des Mutterschutzes fiel genau auf den ersten Tag des Frühjahrs-Lockdowns. Und damit verlangte nun auch ihr vierjähriger Sohn nach Betreuung zu Hause, während gleichzeitig ihr Freund Florian Felke (30) ins Homeoffice wechselte. Studieren? Seminare, Prüfungen oder gar die Abschlussarbeit rückten in weite Ferne. Heute sagt sie: „Ich bin körperlich total am Ende und habe ein absolutes Tief erreicht. Momentan überlege ich, mein Studium abzubrechen.“ Eine Mutter am Limit – ihr Tag im Protokoll: 6.40 Uhr: Baby Moritz wird wach. Jetzt heißt es aufstehen, Heizung aufdrehen und an Freund Florian übergeben. Denn nach einer Nacht, in der Moritz viermal gestillt werden wollte, winkt Lisa Kunadt eine Stunde Schlaf. Zumindest das. 8.00 Uhr: Da die Kitas nächste Woche schließen, packt Lisa Kunadt noch schnell Geschenke für die Erzieher ein, die sie am Vortag in Not und Eile besorgt hat. 8.30 Uhr: Während Florian Felke den vierjährigen Arian zur Kita bringt, frühstückt Lisa Kunadt mit dem Kleinen. 9.00 Uhr: Baby Moritz wird wieder müde und möchte in den Schlaf gestillt werden, während Florian Felke mit dem Hund Gassi geht. 9.15 Uhr: Körperpflege im Schnelldurchlauf, anschließend Küche aufräumen. Hier hat sich in zwei Tagen einiges angesammelt. Denn seit der Mann zu Hause arbeitet, müssen auch mehr Mahlzeiten zubereitet werden. 9.30 Uhr: Lisa Kunadt würde jetzt gerne lernen, aber die Wäsche stapelt sich. „Ohne Ende“, wie sie sagt. „Seit drei Tagen wartet die Wäsche in Korb und Trockner darauf, gewaschen und verräumt zu werden. „Ich will die endlich weghaben“, sagt Lisa Kunadt genervt. 9:31 Uhr: Planänderung: Das Baby ist schon wieder wach. Die Tagschläfchen werden immer weniger und kürzer. Und damit schwinden auch Lisa Kunadts Zeitfenster, in denen sie sich ihrem Studium widmen kann. Geplant war das ursprünglich anders. 9.38 Uhr: Lisa Kunadt setzt eine Maschine Wäsche an und macht dann Baby Moritz frisch. 9.45 Uhr: Während sie mit Moritz spielt, legt sie Wäsche zusammen. Das Baby quengelt. 10.45 bis 11.45 Uhr: Ein Spaziergang beruhigt Klein-Moritz. Außerdem lässt sich dabei gleich Obst einkaufen. Das Baby schläft wieder ein, also schnell nach Hause und es hinlegen. Lisa Kunadt hofft, die Zeit für ihr Studium nutzen zu können. Mehrere Stunden Vorlesungen warten darauf, nachgeholt zu werden. Den Gedanken muss sie aber verwerfen. „Inzwischen sind schon vier Wochen vergangen, seit ich etwas für mein Studium tun konnte. Ich komme einfach nicht hinterher“, klagt sie. Lisa Kunadt fehlen nur noch wenige Schritte bis zum Abschluss ihres Studiums. „Das sollte eigentlich in einem Semester zu schaffen sein“, sagt sie. Der Beginn der Elternzeit sollte der Startschuss für ihren Endspurt sein. Doch Lockdown und die damit verbundene Vollzeit-Betreuung von Sohn Arian bremsten sie abrupt aus. Seither ist Freund Florian im Homeoffice und sitzt teilweise bis abends um 22 Uhr am Laptop. 12.15 Uhr: Moritz schläft. Normalerweise wäre heute Baby-Kurs, der Mutter und Kind Entspannung, Abwechslung und soziale Kontakte bringt. Der fällt in Zeiten der Corona-Pandemie natürlich aus. Zu sich nach Hause kann Lisa Kunadt auch niemanden einladen, das würde ihren Freund bei der Arbeit stören. „Mir fehlen jegliche soziale Kontakte seit November“, sagt sie. Stattdessen: Wäsche aus der Maschine in den Trockner verfrachten und gleich eine neue ansetzen. Das frustriert. 12.35 Uhr: Baby Moritz ist schon wieder wach – Lisa Kunadt stillt noch mal und hofft, dass Moritz wieder einschläft. Währenddessen besorgt Florian Felke Mittagessen. An kochen ist heute nicht zu denken. 12.55 Uhr: Das Paar isst gemeinsam und spricht über den Druck, der auf beiden lastet. Auf die Frage, wie sein Stresslevel mit beiden Kindern im Homeoffice ist, wenn er arbeitstechnisch nicht viel zu tun hat, antwortet er „9 von 10.“ Auf die Frage, was er machen würde, wenn er wie sonst richtig viel zu tun hätte, antwortet er „Weiß ich nicht.“. Lisa Kunadt sagt: „Wenn nächste Woche der Große jeden Tag zu Hause ist, fallen alle Haushaltsaktivitäten in die Zeit nach 21 Uhr oder ins Wochenende.“ Einziger Lichtblick: Ihre Schwiegermutter ist coronabedingt in Kurzarbeit und wird so oft es geht vorbeikommen und mit Arian spielen. 13.30 Uhr: Mittagessen vorbereiten fürs Baby. Das wacht kurz darauf auf. Also essen und danach ein wenig spielen. 14.30 Uhr: Lisa Kunadt zieht Moritz um, der Hund muss raus. 14.45 bis 15.45 Uhr: Der Spaziergang führt vorbei an der Apotheke und am Bäcker, während Florian Felke den Großen abholt. Sohn Arian darf nun eine Stunde fernsehen, während Lisa Kunadt Baby Moritz zu Bett bringt und ihr Freund arbeitet. 16.00 Uhr: Lisa Kunadt checkt ihre E-Mails, organisiert private Angelegenheiten, telefoniert. 16.15 Uhr: Da das Wohnzimmer aussieht, als habe eine Bombe eingeschlagen, räumt Lisa Kunadt auf und spricht dabei mit Sohn Arian über seinen Tag. 16.35 Uhr: Baby Moritz wird wach und verlangt nach seiner Milch. 16.45 Uhr: Zeit für einen Kaffee, während alle im Kinderzimmer spielen. Derweil ist es dunkel geworden. Sohn Arian war kaum draußen. Sein Kindersport-Kurs fällt seit November aus. Sportliche Aktivitäten fallen je nach Wetter draußen auch aus. Die Indoor-Hallen der Stadt sind geschlossen. Wie sich diese fehlende Auslastung bemerkbar macht? „Arian benutzt unsere Couch exzessiv als Trampolin, springt wild herum und rennt quer durch die Wohnung. Florian tobt viel mit ihm. Das braucht er gerade“, erzählt Lisa Kunadt. Erst war die Kita zwei Wochen wegen Bauarbeiten geschlossen, dann musste Arian wegen einer erkrankten Erzieherin in Quarantäne. Ein Stresstest für die Familie. „Das war nur mit Fernsehen auszuhalten“, gesteht sie. Der Kinderarzt habe eine halbe Stunde am Tag empfohlen, sagt sie. „Tatsächlich waren es aber bestimmt zwei Stunden am Tag.“ 17.15 Uhr: Das Baby quengelt. Sohn Arian wird überredet, noch mal spazieren zu gehen. Dabei wird gleich noch das beim vorherigen Einkauf vergessene Brot besorgt. Ursprünglich hatte Lisa Kunadt mit ihrem Freund ausgemacht, dass sie in der Elternzeit zwischen 17 und 18 Uhr lernt. Doch dann kam Corona und die Pläne der Familie brachen in sich zusammen. „Keiner von uns ist mental und körperlich ausgelastet“, sagt sie. „Es gibt auch nichts, wo der Mann mit den Kindern hin könnte – in Dunkelheit draußen rumlaufen ist auf Dauer auch nicht die Beschäftigung für ein Baby und ein fast fünfjähriges Kind.“ 18.15 Uhr: Baby Moritz verlangt nach Essen. Danach wird gemeinsam im Kinderzimmer gespielt. 19.00 Uhr: Moritz wird fürs Bett vorbereitet und gestillt. Währenddessen versorgt Florian Felke den Großen mit Abendbrot und macht ihn bettfertig. Arian hört aber, dass Lisa Kunadt aus dem Schlafzimmer kommt und möchte nun von ihr ins Bett gebracht werden – wieder keine Zeit zum lernen. Diese Zeit nimmt Lisa Kunadt sich aber gerne. „Seit Corona unser Leben bestimmt, haben wir keine Beständigkeit mehr, da sollen meine Kinder sich wenigstens auf mich verlassen können und dass ich ihren Wunsch nach Nähe erfülle. Ich will sie nicht immer vertrösten und sagen, dass ich lernen muss. Der Große sieht das auch nicht ein. Also beschäftige ich mich mit ihnen. Denn meine Kinder sind am Ende doch wichtiger.“ 20.45 Uhr: Endlich findet auch Lisa Kunadt Zeit für ein Abendbrot und kann zumindest noch eine Serie mit ihrem Freund anschauen. „Mein Kopf braucht eine Pause – jetzt will ich nicht mehr lernen“, sagt sie erschöpft. 22.00 Uhr: Der Tag endet mit einer Runde Gassigehen und einer letzten Maschine Wäsche. Kein fester Wochenablauf mehr: Vor Corona hatte die Familie einen festen Wochenablauf. „Struktur ist für unseren Vierjährigen sehr wichtig“, sagt die 29-Jährige. „Jetzt gammelt der Tag vor sich hin. Die Jahreszeit bringt ihr übriges. Man geht nicht zum Sport, man trifft keine Freunde, man darf im schlimmsten Fall nicht mal mehr zum Spielplatz. Ich hoffe nur, die schließen im Lockdown nicht auch wieder, unser Sohn braucht soziale Kontakte“, sagt sie besorgt. „Wir Eltern können andere Kinder nicht ersetzen.“ Sohn Arian muss nun weiterhin den ganzen Tag mit dem Baby teilen oder zur Not auch alleine spielen, weil Florian Felke arbeiten muss. „Kinder brauchen Kinder, und dank Corona ist es auch nicht erwünscht, sich mit Freunden zu treffen. Meine beste Freundin habe ich seit Monaten nicht gesehen, weil sie kurz vor Beginn der Corona-Krise nach Berlin gezogen ist. Vorher haben wir uns ein- bis zweimal die Woche getroffen. Sie war wie eine Tante für meine Kinder“, sagt Lisa Kunadt. Die 29-Jährige ist erschöpft – schon vor dem nächsten Lockdown. Die Einschränkungen der vergangenen Monate haben sie ausgezehrt. „Meine größte Angst: keine Besserung im nächsten Jahr, keine Aktivitäten für die Kinder oder dass das nächste Virus auftaucht.“ Von Patricia Liebling