Trotz Kritik: Abschlussklässler sind zurück an Schulen, einige lassen sich testen

Im Speisesaal des Werner-Heisenberg-Gymnasiums bilden hochgestellte Tische eine Wand, dekoriert von Absperrbändern. Davor stehen Stühle in weitem Abstand wie ein Brettspielmuster. Installations-Künstler wie Jean Tinguely hätten dafür eine Menge Beifall bekommen, doch dahinter steckt bitterer Ernst: Es ist die Kulisse von Massentestungen, die am Montag in Leipzig ebenso wie der Präsenzunterricht begannen. Trotz anhaltend hoher Infektionszahlen lässt der Freistaat – im Gegensatz zu anderen Bundesländern – Zugehörige von Abschlussklassen in Kleingruppen wieder in die Schulen, obwohl auch Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) zuletzt härtere Maßnahmen forderte. Das sorgt für Unmut und Irritation. Der deutlichen Kritik im Vorfeld schlossen sich unter anderem Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft an. Dazu haben Schülerinnen und Schüler auf dem Portal change.org eine Petition gestartet und zum Streik aufgerufen. „Rückkehr ist eine Erleichterung“: Bei denen, die an diesem Morgen am Heisenberg auf die Testungen warten, ist davon nichts zu spüren. Von den 144 Schülerinnen und Schülern hat etwa die Hälfte Testbereitschaft bekundet, darunter Abiturientin Mathilde Berbig. Sie versteht die Bedenken und will die Lage nicht herunterspielen, „aber für mich bedeutet die Rückkehr eine enorme Erleichterung“, sagt die 18-Jährige. „Die Vorbereitung auf die Prüfungen ist hier deutlich besser, und ich möchte doch ein gutes Abitur schaffen.“ Sie achtet auf Abstand und Vorsicht, betont sie. Genauso geht es Isabelle Schmidt. „Ich setze auf die Selbstverantwortung, und die Tests geben zumindest ein kleines Stück Sicherheit“, meint sie. „Zuhause lerne ich definitiv nicht so viel wie in der Schule.“ Einige Lehrer sehen das ähnlich. Felix Alscher, der Mathe und Informatik am Kant-Gymnasium unterrichtet, will die prekäre Infektionslage keinesfalls ignorieren. „Es ist dennoch eine gute Entscheidung, den Prüflingen Gelegenheit für Präsenzunterricht zu geben“, findet der 33-Jährige. „Hier können wichtige Dinge besprochen werden, die aus der Distanz viel schwerer und umständlicher zu klären sind.“ Problematisch: Viele Tests erst nach Unterricht: Auch Alscher hat sich am Montag testen lassen. „Aufgrund der nur punktuellen und einmaligen Momentaufnahme ist das eine symbolische Sache“, bemerkt er und benennt zwei weitere Knackpunkte: „Wegen der Freiwilligkeit können Positivfälle unentdeckt bleiben. Zudem ist es problematisch, dass manche erst nach dem Unterricht zu den Tests gehen konnten.“ Somit können Ansteckungen längst passiert sein – eine Logik mit Abstrichen. In der Johannes-Kepler-Schule, wo 480 Schüler aus fünf verschiedenen Schulen getestet werden, sind Lisa Kästner und Khaliun Ser-Od die Ersten, die nach dem Abstrich im Wartebereich sitzen. Die beiden 18-Jährigen berichten, dass ihre 24-köpfige Klasse in zwei Gruppen geteilt wurde. Um jedoch die vorgeschriebenen Abstände tatsächlich einhalten zu können, müsste jeder zweite Tisch frei gehalten werden, sagen sie – somit wären aber nur acht Schüler im Zimmer möglich. Der neue Prüfungsplan in Sachsen sieht vor, dass erst die Prüfungen in den Leistungskursen absolviert werden, danach kommt der Stoff der übrigen Fächer dran. Khaliun findet das gut: „Das Schuljahr geht dadurch zwar fünf Wochen länger, aber so können wir uns besser vorbereiten.“ Dem Präsenzunterricht stimmt er zu, vor allem mit Blick auf sein Prüfungsfach Physik: „Normalerweise werden wochenlang Experimente zur Vorbereitung im Unterricht durchgeführt. Es wäre schlimm, wenn uns bei der Prüfung die nötige Übung fehlt“. Das Personal des Schiller-Gymnasiums ist für die Impfaktion der 68. Oberschule zugeteilt. Jens-Uwe Jopp, Lehrer für Deutsch und Geschichte, lässt am Nachmittag dort den Abstrich machen. „Ich möchte zeigen, dass ich gesund die Arbeit antrete“, sagt er. „Es ist nach wie vor schwer einzuschätzen, ob die Schule ein viraler Hotspot ist. Ich bin froh, wenn sie wieder als Bildungs-Hotspot gilt.“ Die Öffnung nimmt für den 55-Jährigen „den sozialpsychologischen Druck von den Schülern, weil es wieder Begegnungen gibt – natürlich vorsichtige.“ Lesen Sie auch Sachsen hält trotz Kritik an Teilöffnung fest Schüler wehren mit Petition gegen Schulanfang in Sachsen Heftige Kritik: Das sagen OBM, Schüler und die GEW Ganz anders sieht das Dagmar Schreiber, Leiterin des Heisenberg-Gymnasiums. „In der augenblicklichen Situation ist die Rückkehr zum Präsenzunterricht das falsche Signal und sehr riskant“, konstatiert sie. „Bei allen technischen Problemen – gerade die Älteren sind besser in der Lage, Homeschooling zu bewältigen.“ Die mit der Öffnung verbundenen Schnelltests hätte man aus ihrer Sicht besser für Altenheime verwendet. Gerade ist das Team des Malteser Hilfsdienstes eingetroffen, das die Aktion durchführt. Schon beim Beginn gegen 8.45 Uhr wird klar, dass die avisierte Zahl von 60 Abstrichen pro Stunde utopisch ist. Schreiber tippt auf maximal 20. „Damit werden wir bis in den Nachmittag zu tun haben, und auch Dienstag wird noch getestet.“ Der besagte Dienstag könnte allerdings auch zeigen, dass die Halbwertzeit der Schulrückkehrer noch unter der des Montag-Schnees liegt, in den die Lehrer und Schüler ihre Schuhmuster stempeln: Bei weiteren Verschärfungen durch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Länderchefs wäre Sachsen genötigt, den Präsenzunterricht wieder zu canceln. Gab es für den Schulstart der Abschlussklassen am Montag zu wenig Test-Kapazitäten? Dieser Vorwurf wurde gestern in Beiträgen auf Facebook erhoben. Das Landesamt für Schule und Bildung weist die Kritik zurück. „Die Tests sind für die Gesamtschülerzahl plus Lehrer veranschlagt gewesen“, erklärt Behördensprecher Roman Schulz. „Da kann es keinen Mangel gegeben haben.“ Auch das Deutsche Rote Kreuz teilt mit, dass an jedem Ort ausreichend Testmaterial zur Verfügung gestanden habe. „Sicherlich wird es am Morgen im Ablauf an der einen oder anderen Stelle noch etwas gehakt haben“, so Sprecherin Ariana Mohr. Am Johannes-Kepler-Gymnasium ist Eric Buchmann verantwortlich für die Testaktion und erklärt: „Wer sich testen lassen wollte, hat sich bis Freitag letzter Woche angemeldet. Das Rote Kreuz hat die bestellten Tests auch zur Schule mitgebracht – hier sind genügend vorhanden.“ Von Mark Daniel und Pauline Szyltowski