Bundesregierung fördert Kinderbuch: Die Familie Nemeth und ihr Leben mit Theodor, der das Down-Syndrom hat

Theodor ist fast vier, und er weiß seinen Charme einzusetzen. Sogar Corona-konform: Aus der Ferne verteilt er auf dem Spielplatz zur Begrüßung Handküsschen und lächelt. Magdalena, seine kleine Schwester, ist anderthalb und schon fast gleich groß wie Theodor. Sie ist zwar im Sprechen weiter als ihr Bruder. „Aber Theodor ist schneller darin, Situationen zu durchschauen“, sagt Ira Nemeth, die Mutter der beiden. Theodor hat das Down-Syndrom, in seinem Erbgut ist das Chromosom 21 dreifach statt nur doppelt vorhanden. „Nicht zwei, sondern drei“: Ira Nemeth entwirft zurzeit ein Kinderbuch mit diesem Titel. Um das Projekt mit einer Lektorin, einer Illustratorin und unter wissenschaftlicher Begleitung zu entwickeln, schießt die Bundesregierung 12 500 Euro zu – vorerst. Der Wettbewerb „Gesellschaft der Ideen“ des Bildungs- und Forschungsministeriums geht im Juni in die zweite Runde. Wählt die Jury das Vorhaben aus, fließen weitere 200 000 Euro. Es ist nicht einfach nur ein Kinderbuch, das Ira Nemeth vorschwebt. „Ich möchte aufklären“, sagt die 35-Jährige. Und Eltern helfen, die in dieselbe Situation geraten wie ihre eigene Familie vor bald vier Jahren. Im Kreißsaal kam der erste Verdacht auf Trisomie 21 auf. Theodor musste zudem schnell wegen eines Herzfehlers operiert werden. „Das war ein Schock für uns“, erinnert sie sich. Zu Hause freute sich die damals sechsjährige Hermine auf ihren kleinen Bruder. Sie spürte Mamas und Papas Sorgen. „Wir hätten uns so ein Buch gewünscht, um ihr zu erklären, was anders an Theodor ist.“ „Egal wo er hinkommt, steht Theodor im Mittelpunkt“: Die Eltern wussten es zu dem Zeitpunkt ja selbst nicht so genau. „Nachdem die Herz-OP gut verlaufen war, haben wir erstmal gegoogelt“, sagt die Mutter. Was das Down-Syndrom ist, wird sie in dem Kinderbuch bildlich erläutern: Auf einem Wandertag finden die Kinder paarweise zueinander, nur an 21. Stelle halten sich drei an den Händen – und fallen aus der Reihe. Die Geschichte wird vom Alltag der Familie Nemeth erzählen. Kleine Szenen zeichnen Theodors Charakter. Wie er seinen Schnuller in den Wäschekorb wirft, weil der doch dreckig ist. Wie er seiner großen Schwester in der Eisdiele das Eis mopst. Wie er penibel darauf besteht, dass auch Hermine Hausschuhe anzieht, sobald sie die Wohnung betritt. Insgesamt 30 Projekte hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung in der ersten Runde des Wettbewerbs „Gesellschaft der Ideen“ mit jeweils 12.500 Euro prämiert. Zehn davon erreichen im Juni die zweite Stufe, verbunden mit einer Förderung in Höhe von 200.000 Euro für zwei Jahre. Für Familie Nemeth ist das Buch allerdings nicht das einzige Vorhaben. Ira Nemeth, 35 und studierte Architektin, bereitet parallel die Eröffnung eines Familiencafés in Gohlis vor. Michael Nemeth, 40 und Ingenieur, wirkt an einer Initiative für eine Schulgründung in Rackwitz mit, deren diverses Konzept breit genug ist, um auch Theo seine Talente entfalten zu lassen. „Egal, wo er hinkommt, steht Theodor im Mittelpunkt“, hat sein Vater Michael Nemeth beobachtet. „Er verteilt seine Handküsschen, und die Leute freuen sich darüber.“ Theodor tritt selbstbewusst auf. „Er ist stark, mental und körperlich. Er weiß, was er will.“ Mit roter Strickmütze hat er im Schnee für eine Kampagne der Plattform „ Trisomie21.net “ zum Welt-Down-Syndrom-Tag diesen Sonntag posiert, der wegen der Zahlen im Datum jährlich am 21. 3. stattfindet. Für Hermine ist mit seiner Geburt vieles anders geworden, klar, „aber das hat nichts mit Theodors Down-Syndrom zu tun“, sagt der Vater. Nach sechs Jahren als Einzelkind ändert sich das Leben nun mal, wenn man plötzlich nicht mehr allein umsorgt wird. Gleichzeitig bedeutet das aber auch: „Nicht zwei, sondern drei“ Menschen haben Theodor in ihrer Mitte aufgenommen: Papa, Mama und Schwester. Hermine soll daher in dem Buch eine prominente Rolle spielen. Michael und Ira Nemeth, die nicht die leibliche Mutter der mittlerweile Zehnjährigen ist, beschreiben sie als äußerst fürsorglich gegenüber beiden Geschwistern. Eine Szene illustriert das: In einer Supermarkt-Schlange spricht eine Kundin das Mädchen auf ihren Bruder an: „Er sieht aber nicht ganz gesund aus.“ Darauf entgegnet Hermine: „Theo ist nicht krank, sondern er hat das Down-Syndrom.“ „Vorurteile resultieren fast immer aus Unwissen“: Mit der souveränen Reaktion leistet sie selbst Aufklärungsarbeit – so wie es ihre Mutter mit dem Buch vorhat. „Vorurteile gegen Menschen mit Down-Syndrom resultieren fast immer aus Unwissen“, sagt Ira Nemeth. Dagegen schon im Kindesalter Informationen zu setzen, sei ihr ebenso ein Anliegen, wie etwa Großeltern zu adressieren. Werdenden und frischen Eltern möchte sie die Angst nehmen und Zuversicht stiften, „ein Umdenken in Gang setzen“. Erst recht, seit die Krankenkassen bei Trisomie-Verdacht einen vorgeburtlichen Bluttest finanzieren. Eltern eines Kindes mit Down-Syndrom geraten dadurch unter Rechtfertigungsdruck. „Warum habt ihr es nicht wegmachen lassen?“ Ira Nemeth fürchtet die Selektion. „Wollen wir wirklich in einer perfekten Gesellschaft leben?“, fragt sie sich. Als sie mit Magdalena schwanger war, entschieden ihr Mann und sie sich bewusst gegen die pränatale Untersuchung auf Trisomie. Ein Blick auf Theodor, wie er seine Handküsschen verteilt, beantwortet einleuchtend, warum. Im Hause Nemeth leben seit anderthalb Jahren „nicht zwei, sondern drei“ Geschwister. Das Kinderbuch beginnt kurz vor Theodors Geburt und soll kurz nach Magdalenas Geburt enden. Theodor ist seither großer Bruder, und die Eltern finden, dass er sehr liebevoll mit seiner kleinen Schwester umgeht. Mit Handküsschen mag er spendabel sein, doch der Kreis derer, die ein richtiges Küsschen bekommen, ist klein. Magdalena gehört unbedingt dazu, und sie käme nie auf die Idee, dass Theo nicht einfach Theo sein soll. Lesen Sie auch: Trisomie-Bluttest: Auch das Down-Syndrom gehört zur Normalität Menstruation und Wechseljahre in der Wirtschaft: Leipziger Start-up „Vision Period“ in der nächsten Runde eines Ideenwettbewerbs der Bundesregierung Von Mathias Wöbking