Streit an der HTWK Leipzig eskaliert

Man darf an der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) offenbar nicht zimperlich sein. Um die geplante Amtsverlängerung der Kanzlerin Swantje Rother ist dort ein heftiger Streit ausgebrochen. „Respektlos“, „teils fachlich inkompetent“ und „ohne charakterliche Eignung für das Amt“ sei Rother, wirft der Studierendenrat (Stura) der 48-jährigen Wirtschaftswissenschaftlerin in einem offenen Brief an Sachsens Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow (CDU) vor. Von Schikane und Willkür ist die Rede, „Wünsche der Studierenden werden prinzipiell ignoriert“, ist zu lesen. Rothers Weiterbeschäftigung gefährde „das Wohl aller Studierenden sowie Mitarbeitenden und damit unserer gesamten Hochschule und ihrer Entwicklung“. Mit dem Schreiben will die Studierendenvertretung verhindern, was eigentlich nicht mehr aufzuhalten ist: dass Gemkow Rother demnächst für weitere acht Jahre zur Verwaltungschefin der Hochschule ernennt. Wegen der gesetzlich verankerten Hochschulautonomie gilt die Bestellung als rein formaler Akt, seit HTWK-Rektor Mark Mietzner die Kollegin Anfang Juli offiziell vorgeschlagen hat. Mietzner hält Rothers Fähigkeiten und Wissen für „eindrucksvoll“. Dem Stura hingegen wirft der Rektor vor, mit der Einmischung in eine Personalfrage die Kompetenzen zu überschreiten. Gegenüber der LVZ sagt er, dass nicht Rother, sondern erst die „Kampagne gegen sie das Ansehen der gesamten Hochschule“ beschädige. „So geht man nicht miteinander um.“ Der offene Brief sei „definitiv rufschädigend, vielleicht sogar verleumderisch und eines Studierendenrates unwürdig“, findet er. „Als Rektor muss ich mich dem entgegenstellen. Wer ist sonst als nächstes im Fadenkreuz? Ein weiterer Professor? Der Wissenschaftsminister?“ Als „zutiefst verstörend und ehrverletzend“, sagt Rother, empfinde sie die Anschuldigungen. Im Umgang miteinander sei eine Grenze überschritten. „Inhaltlich entbehren die Vorwürfe jedweder Grundlage.“ Sie lebe eine „Führung und Leitung der offenen Türen“, aber Konflikte seien in ihrem Job unvermeidbar: „Es ist gerade nicht die Aufgabe der Kanzlerin, zu allem ja und Amen zu sagen“, betont Rother im Gespräch mit der LVZ. Gewerkschaft hat Beschwerden gesammelt: Allerdings nimmt nicht allein der Stura Anstoß an ihrer Amtsführung. „Nach unseren Kenntnissen sind die Vorwürfe dem Grunde nach zutreffend“, sagt Olaf Broszeit, Verdi-Verantwortlicher für Bildung, Wissenschaft und Forschung in Sachsen. Vom HTWK-Personalrat würden ihm immer wieder Beschwerden über Rother weitergeleitet. „Streitpunkte waren sowohl mangelnde Beteiligung wie auch Umgangsformen.“ Bereits im April befeuerte ein Beitrag der Leipziger Hochschulzeitung „Luhze“ den Konflikt. Von einer „Stimmung der Angst“ war zu lesen, von einem „gespaltenen Haus“. Als Verwaltungschefin steht die Kanzlerin allen nicht-wissenschaftlichen HTWK-Mitarbeitern vor, und insbesondere unter ihnen sei die Furcht vor ihr groß. Ein Angestellter wird mit der Aussage zitiert, bei jedem Kontakt zu Rother „erstmal so eins vor den Bug geknallt“ zu kriegen. Seine Kollegin sagte der „Luhze“, dass die Kanzlerin die Beherrschung verliere, wenn ihre Autorität in Frage gestellt werde. Aber dem Artikel zufolge existiert auch ein Kreis, den Rother „hätschelt und pflegt“. 264 Personen haben den Stura-Brief unterzeichnet. Größtenteils Studierende, einige Wissenschaftler anderer Hochschulen oder von Forschungseinrichtungen. Auch zwei HTWK-Mitarbeiter und zwei HTWK-Professoren unterstützen die Forderung namentlich. Einer von ihnen ist Ulf-Dietrich Braumann, Fachmann für Biotronische Systeme. „Bis auf die untersten Ebenen von Fakultäten und Verwaltungseinheiten der HTWK ist man Frau Rothers Diktatur überdrüssig“, sagt er. Die Kanzlerin verwende viel Energie auf Machtspiele und sei sehr geschickt darin. Laut Stura-Sprecher Nico Zech ist die Zustimmung zum Schreiben im persönlichen Kontakt noch weit größer, ebenso sei jedoch eine „Angst vor Repressalien“ zu spüren. Rother wiederum wundert sich darüber: Die Mitarbeiter könnten jederzeit mit ihren Sorgen zu ihr kommen, sagt sie. „Sie haben immer wieder signalisiert, wie sehr sie es schätzen, dass sie für berufliche und persönliche Probleme bei mir ein offenes Ohr finden.“ Ein Professor entschuldigt sich bei den Studenten: Die zweite Unterschrift eines Profs stammt von Wirtschaftswissenschaftler Matthias Herfert. In einem eigenen offenen Brief dankt er den Studierenden für „Ihre Courage, offen zu sagen, was Sie denken“. Weiter schreibt er: „Ich denke nicht, dass Sie sich das alles nur ausgedacht haben und entschuldige mich für alles Unangemessene, das Sie erlebt haben. Ich finde, wir dürfen zu so einem Brief der gewählten Vertretenden von über 6200 Studierenden nicht einfach schweigen.“ Zwar signalisieren Leipzigs Linken-Chef Adam Bednarsky und Anna Gorskih, hochschulpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im sächsischen Landtag, Unterstützung für den Stura-Brief. Doch das zuständige Wissenschaftsministerium ist sichtlich bemüht, sich inhaltlich herauszuhalten. Die „an die Person von Frau Professor Rother gerichteten Vorwürfe kann das Ministerium nicht bewerten“, beantwortet ein Sprecher eine LVZ-Anfrage. Als Rechtsaufsicht sei es vielmehr die Aufgabe zu prüfen, ob im Auswahlverfahren alle Kandidaten hinsichtlich „Eignung, Leistung und Befähigung“ nach nachvollziehbaren Kriterien bewerten worden sind. „Das ist hier der Fall.“ Rektor Mietzner ist stolz darauf, die Standards übererfüllt zu haben. „Wir haben das Verfahren breiter aufgestellt und transparenter gemacht als gefordert“, sagt er. Eine eigens einberufene Beratungskommission, in der alle Statusgruppen der HTWK vertreten gewesen seien, habe die Qualifikationen der Bewerber ergebnisoffen geprüft und kontrovers diskutiert. Nicht einstimmig, aber mehrheitlich habe sich die Gruppe für Rother entschieden. Wer abgestimmt hat und wie, ist nicht öffentlich. Wie es das Sächsische Hochschulfreiheitsgesetz verlangt, wurde der Senat gehört, und auch dort war nach Mietzners Auskunft sowohl massive Kritik an Rother wie auch große Unterstützung für sie zu vernehmen. Schließlich gab noch der Hochschulrat sein Okay; das Gremium ist mit dem Aufsichtsrat eines Unternehmens vergleichbar. Sein Vorsitzender Mathias Reuschel ist momentan nicht zu erreichen und hat auf eine LVZ-Anfrage nicht reagiert. Zu den insgesamt sieben Mitgliedern gehört zudem Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), der aber offenbar in der entscheidenden Sitzung fehlte. Auf Nachfrage wollte Jung die Personalie nicht kommentieren. Wie unabhängig war die Beratungskommission? Für HTWK-Prof Braumann ist es „vielleicht das wahre Drama an der ganzen Geschichte, dass sich alle wegducken, dass es allen egal ist“. Der Hochschulrat verstehe sich nicht als Kontrollinstanz, kritisiert er, sondern als „Ehrenamtsgarde“. Für Politiker in Regierungsverantwortung sei der HTWK-Kanzlerposten wohl zu unbedeutend, um sich die Finger zu verbrennen, mutmaßt der Professor und sagt: „Eine Beratungskommission lässt sich so besetzen, dass vorher klar ist, wer die Mehrheit auf seine Seite zieht.“ Der Ursprung des Zwists reicht indes weit vor Mietzners Amtsantritt als Rektor im Oktober 2019 zurück. Rother ist seit 2013 Kanzlerin der HTWK. Ein Jahr später folgte Gesine Grande als Rektorin. Dass die Atmosphäre zwischen den beiden von Spannungen geprägt war, das wurde der LVZ aus mehreren Quellen bestätigt. Allerdings spricht Rother von einem „professionellen Arbeitsverhältnis“: „Dazu gehörte im Hinblick auf die Finanzen, dass ich mit den übrigen Rektoratskollegen nicht immer einer Meinung war.“ Grande fängt diesen Oktober als Präsidentin der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg an. Zu den vergangenen Ereignissen wolle sie sich nicht mehr äußern, ließ sie auf Nachfrage wissen. Jedenfalls deutet viel darauf hin, dass ohne Grandes knappe Wahlniederlage gegen Mietzner im Juni 2019 Rothers Weiterbeschäftigung als Kanzlerin unwahrscheinlich wäre. Rektor rät Studenten zu einer „Denkpause“: Der Stura hat Gemkow jetzt einen zweiten Brief geschickt, in dem sich die Studierenden „überaus enttäuscht“ darüber zeigen, weder eine persönliche Rückmeldung noch die Möglichkeit zu bekommen, dem Minister das Anliegen selbst zu schildern. Mietzner wiederum rät den Stura-Sprechern zu einer „Denkpause“ – „damit sie ihr Handeln reflektieren“, wie er gegenüber der LVZ erklärt. „Für eine vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit gibt es derzeit keine Basis“, sagt er – mit Betonung auf „derzeit“, wie er schnell hinterher schiebt. Lieber will der Rektor enger mit den einzelnen Fachschaftsräten zusammenarbeiten. Dem Stura teilte er dieses Ansinnen per E-Mail mit. „Herr Mietzner nimmt nicht ernst, wie viele an der HTWK die Kritik an Frau Rother teilen. Er schiebt sie ausschließlich uns Sprechern zu“, beklagt Zech. Seine Kollegin Sabine Giese findet: „Wenn er uns als demokratisch gewählter Studierendenvertretung ein fehlendes demokratisches Verständnis unterstellt, legt er selbst eine fragliche Auffassung von Demokratie an den Tag.“ Wie kehrt Frieden an die HTWK zurück? Im Gespräch mit der LVZ sehen sich sowohl Mietzner als auch Rother aber sehr wohl in der Pflicht, den Frieden in die HTWK zurückzubringen: „Es ist an uns als Gesamtleitung, ausgleichend zu wirken“, sagt Mietzner. Wobei Rother einschränkt, dass eine Befriedung nur dann möglich sei, „wenn korrekt getroffene Entscheidungen auch von der unterlegenen Seite respektiert werden“. In der Frage, ob das Rektorat den Stura außen vor lassen darf, wagt immerhin sogar das Wissenschaftsministerium zwischen den Zeilen fast so etwas wie eine Wertung: „Mit Blick auf die künftige Zusammenarbeit aller Gremien der HTWK mit dem Stura hoffen wir sehr, dass Wege für einen kritischen, aber fairen Austausch und Umgang miteinander gefunden werden“, lautet die Handlungsempfehlung aus Dresden. 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