Zwischen Freude und Angst: Leipziger Kindergärten vor der Wiedereröffnung

Sie hängen Flatterbänder auf, stellen Dienstpläne um und rufen die Eltern an: Die Leipziger Krippen und Kindergärten bereiten sich nach neun Wochen Corona-Lockdown auf die Rückkehr der Kinder vor. Mit gemischten Gefühlen: „Wir freuen uns, dass endlich wieder eine bisschen Tohuwabohu einkehrt“, sagt Tanja Koitzsch, Leiterin der Integrativen Kindertageseinrichtung Eisenbahnstraße der Stadt Leipzig. Der Nachwuchs erhält seine Sozialkontakte und die Tagesstruktur zurück. Mit der Vorfreude wächst bei vielen Erzieherinnen und Erziehern allerdings auch die Angst. „Wir starten von 0 auf 100. Das Ansteckungsrisiko steigt entsprechend“, gibt Maria Urban zu bedenken. „Wir wurden nicht gefragt, aber wir müssen es jetzt umsetzen.“ Urban leitet den Wald- und Werkstattkindergarten der Fröbel-Gruppe in Lindenau. Auch sie betont jedoch gleichzeitig: „Für die Kinder freue ich mich. Und darauf, sie alle wiederzusehen.“ Für rund 20 Prozent der Leipziger Kinder gab es in den vergangenen Wochen ohnehin keinen Lockdown: So viele besuchen im stadtweiten Durchschnitt die Notbetreuung. Im Fröbel-Kindergarten war die Rate sogar etwas höher: Von 137 waren meisten 30 bis 35 da, berichtet Urban. „Ich hätte einen stufenweisen Wiedereinstieg besser gefunden“, sagt sie. So wie im vergangenen Frühjahr, als das Betreuungsangebot vom Beruf der Eltern abhing. Als die Infektionszahlen fielen, erweiterte sich der Kreis nach und nach. „Es ist viel zu tun“, findet man auch in der Eisenbahnstraße. „Die Zeit ist knapp“, sagt Koitzsch. 215 Kinder besuchen die Kita. „Wir haben viele Eltern, die nicht so gut Deutsch sprechen.“ Daher hat sich ihr Team vorgenommen, sie noch vor Montag alle anzurufen und das Prozedere zu erläutern. Rot-weiße Flatterbänder teilen den Garten: „Eingeschränkter Regelbetrieb“ ist die bürokratische Bezeichnung für die Art und Weise, in der die Kindergärten am Montag öffnen. „Wir haben schon vor einigen Wochen begonnen, uns detailliert auf das Szenario vorzubereiten“, erklärt Volkssolidarität-Sprecher Martin Gey. Der Leipziger Stadtverband der Wohlfahrtseinrichtung betreibt 14 Kitas, eine davon nennt sich „ Prisma “ und liegt im Leipziger Westen. Dort haben die Erzieherinnen und Erzieher am Donnerstag den Innenbereich ebenso wie den Garten mit rot-weißen Flatterbändern eingeteilt: Die verschiedenen Gruppen sollen sich nicht mischen. Die Herausforderung lautet überall: Möglichst viele und möglichst kleine Gruppen möglichst gut voneinander zu trennen. „Damit so wenig Kontakt wie möglich entsteht“, so Urban. Es geht darum, Ansteckungen zu vermeiden, aber nicht nur: Nach einem Corona-Fall im Personal vergangenes Jahr mussten viele Kinder der Fröbel-Einrichtung in Quarantäne. Zwar stellte sich zum Glück heraus, dass sich keines von ihnen infiziert hatte. „Aber ein Vater hat mir jetzt gesagt, dass er die zwei Wochen Quarantäne damals als schlimmer empfand als jetzt zwei Monate Lockdown.“ Ohne die Chance, mit dem Kind wenigstens mal die Wohnung zu verlassen. Unbedingt wolle man vermeiden, bekräftigt auch Koitzsch, „dass wir die ganze Hütte gleich wieder dicht machen müssen“. Eingeschränkte Öffnungszeiten aus Personalmangel: Für eine strikte Trennung rund um die Uhr haben die meisten Kitas jedoch zu wenig Personal. Ohne Pandemie mischen sich die Gruppen in der Früh und am Abend, wenn weniger Kinder da sind. Jetzt bleibt wohl vielerorts nur, die Öffnungszeiten einzuschränken. In der Eisenbahnstraße soll ein Einlassdienst kontrollieren, ob die Eltern die Gesundheitsbestätigung unterschrieben haben und die Kinder symptomfrei sind. Bei den ganz Kleinen darf dann ein Elternteil kurz mit Mund-Nase-Schutz rein. Dagegen haben Mamas und Papas in den Kitas der Volkssolidarität und der Fröbel-Gruppe momentan allenfalls bei der Eingewöhnung ihres Kindes Zutritt – mit medizinischer Maske, versteht sich. Maskenpflicht herrscht in den meisten Kindergärten auf den Gängen und generell für alle, die nicht unmittelbar mit den Kindern zu tun haben: für das Küchenpersonal, den Hausmeister, die Leitung. Im direkten Kontakt mit den Kinder ist den Pädagoginnen freigestellt, ob sie Maske tragen. „Vor allem bei Krippenkindern sind Mimik und Gestik aber ein wichtiger Teil der Kommunikation“, sagt Koitzsch. Ein Kind zu trösten, sei schwierig mit Maske, seufzt auch Urban vom Fröbel-Kindergarten. „Momentan haben wir aber ausreichend da.“ Die Angst der Kollegen vor Corona nehme man ernst. Schnelltests stehen bereit. Die Volkssolidarität hat in jeder Einrichtung einen Mitarbeiter darin geschult, den Abstrich zu machen. Die Kita in der Eisenbahnstraße habe sich schon in der Vergangenheit an zwei Tagen pro Woche zur Teststation entwickelt, berichtet Koitzsch. „Es beruhigt ungemein, wenn man weiß, dass alles in Ordnung ist.“ Impf-Priorisierung „überfällig“: Ein weitaus größeres Sicherheitsgefühl würde allerdings wohl aus einer Impfung resultieren. Erst seit Mittwoch will die Bundesregierung Erzieherinnen und Lehrer im Impfplan ganz offiziell nach oben stufen: ihnen ein Impfangebot machen, sobald die Über-80-Jährigen, die Pflegekräfte und Ärzte durch sind. „Es ist ein Signal, dass wir nicht vergessen werden“, sagt Urban. „Und es ist überfällig: Immerhin gehören wir zu den Berufsgruppen mit den meisten Corona-Infektionen.“ Koitzsch findet ebenfalls: „Je schneller, desto besser.“ Denn ohne Impfung ist eine Kindergärtnerin letztlich machtlos gegen die mögliche Ansteckung: „Die Kinder kommen und, schwupp, hängen sie dir im Arm“, erzählt Koitzsch. „Da kann und will man gar nichts dagegen machen.“ Von Mathias Wöbking