"In aller Freundschaft": Oberschwester Ingrid legt Autobiografie vor

Sie ist ein bekanntes Fernsehgesicht, wird oft auf der Straße angesprochen und fotografiert. Doch wer glaubt, dass Schauspielerin Jutta Kammann immer lächelnd durchs Leben gehen konnte, liegt falsch. Vor allem als Kind hat sie erschütternde Dinge durchgemacht. Erstmals erzählt die Ex-Oberschwester Ingrid aus der ARD-Serie „In aller Freundschaft“ darüber – in ihrer Autobiografie „Rothaarig und wild entschlossen“. Das Buch erscheint wenige Tage vor ihrem 77. Geburtstag am 22. März. Ein Prost aufs erste eigene Buch: Als die frischgebackene Autorin das druckfrische erste Buch in den Händen hielt, köpfte sie stolz mit ihrer Freundin ein Fläschchen Champagner. „In Drehpausen hatte ich schon vor Jahren in meiner Garderobe meine Erinnerungen aufgeschrieben“, erzählt die Münchnerin. Als sie 70, 80 Seiten zusammen hatte, kamen die Zweifel. Ob sie ihr Privatleben wirklich in die Öffentlichkeit tragen soll? Ob das jemand lesen will? Daraufhin schlummerten die Manuskripte im Computer. Ein Münchner Verlag konnte die Künstlerin überzeugen, sich wieder an die Arbeit zu setzen. Zusammen mit einer Co-Autorin. Kindheit voller Mobbing und Gewalt: „Da wurden Emotionen aufgewühlt, die tief vergraben waren.“ Jutta Kammann ist Jahrgang 1944. Ihre Kindheit in der Nachkriegszeit war geprägt von Umzügen, wechselnden Pflegefamilien, Heimen und Internaten. Von Mobbing und körperlicher Gewalt. Von einer dominanten Mutter, die vier Suizidversuche unternahm – der vierte war „erfolgreich“. Auch Tochter Jutta war mit 16 Jahren so weit, dass sie nicht mehr leben wollte. Stück für Stück hat sie sich ihre heutige Stärke erarbeitet, konnte die schlimmen Erlebnisse mit den Jahren besser einordnen und bewerten. Anders als von ihrer Mutter vorgesehen, wurde Tochter Jutta nicht Juniorchefin in deren Laden in Hamburg. Sondern zog zur Schwester nach Köln. Erkämpfte sich ihren Traumberuf als Schauspielerin. Und verliebte sich in einen 30 Jahre älteren, verheirateten Mann. Sie hatte glückliche Jahre mit ihrer großen Liebe und pflegte den Regisseur in seinen letzten Jahren. Nach dem Tod von Wilhelm Semmelroth stand sie als 48-jährige Frau vor dem Nichts – keine Freunde, keine Kinder, kaum Rollen, kaum Einkommen. Glücksfall Sachsenklinik: Zum Glücksfall wurde für die Schauspielerin die Klinikserie „In aller Freundschaft“, die ab 1998 in Leipzig gedreht wurde und sich zum Dauerbrenner entwickelte. Aus dem Vertrag für ein Jahr wurden 16 Jahre. Jutta Kammann erzählt, wie sie medizinische Fachbegriffe und Handgriffe lernte, wie die Klinikserie nach bescheidenem Start plötzlich beim Publikum durch die Decke ging. Sie schildert, wie ein Drehtag abläuft, und verrät Anekdoten von hinter den Kulissen. Leipzig wurde zu ihrer zweiten Heimat, die sie von Herzen liebt. Hatte sie längere Drehpausen, ging die Schauspielerin am liebsten in den Zoo und verfolgte mit Freude, wie der sich zu einem einmaligen Tier- und Landschaftspark mauserte. Geborgenheit in der Seniorenresidenz: 2014 ging die Ära „In aller Freundschaft“ für Oberschwester Ingrid und andere langgediente Kollegen unfreiwillig zu Ende. Ihre Verträge wurden nicht verlängert, ein Verjüngungskurs eingeschlagen. Dreimal wurde Jutta Kammann seither noch zu Gastauftritten eingeladen, das letzte Mal im Februar – ausgestrahlt wird die Folge im Juni. Mittlerweile fühlt sie sich in einer exklusiven Seniorenresidenz in München sehr geborgen, liebt Fernreisen und Kreuzfahrten – solange sie vor Corona möglich waren – und genießt das Leben mit neu gewonnenen Freunden. Jutta Kammann: „Rothaarig und wild entschlossen“, Kösel Verlag, 224 Seiten, 20 Euro; ISBN 978-3-466-37269-0 Von Kerstin Decker