Betreiberwechsel in der Substanz in Leipzig-Reudnitz - was Ex-Pächter Jörg Staudt zu seinem Aus sagt

Vergangene Woche ging ein Schock durch Leipzig-Reudnitz: Die Substanz werde Ende September schließen, hieß es auf Facebook. Wenig später erklärte Besitzer Andreas Wendland, dass er den Betrieb selbst übernehmen werde. Bis dahin hatte er die Bar und den Biergarten knapp zehn Jahre lang in die Hände von Jörg Staudt gelegt, der nun aufhört. Die LVZ sprach mit dem ehemaligen Pächter über die jüngsten Entwicklungen und die vergangenen Jahre. Herr Staudt, am Dienstag hatten Sie zum Abschied in die Substanz geladen, es waren etliche Leute da und es wurde ordentlich gefeiert. Wie war es für Sie persönlich? Natürlich war das ein sehr emotionaler Abend, und es war wahnsinnig schön zu sehen, wie viele Menschen „Danke“ gesagt und uns für die letzten zehn Jahre gefeiert haben. Wie ging es dann weiter? Am Mittwoch ausgeräumt und am Donnerstag Schlüsselübergabe? Genau. Das gesamte Inventar ist dageblieben, die persönlichen Sachen haben wir ausgeräumt. Und vor allem erst mal sauber gemacht nach dem Abend. Das war schon ’ne schöne Party. (lacht) Bis wann ging es denn? Bis das Ordnungsamt kam. Auf unserer Facebook-Seite haben wir den Mitarbeitern und der Polizei auch noch mal gedankt. 23 Uhr kam die erste Beschwerde, 1.15 Uhr war das Ordnungsamt da, hat das Ganze aufgelöst und meinte dann, sie seien selbst immer gerne dagewesen, sodass sie die Beschwerden so ein bisschen nach hinten geschoben haben. (lacht) Da hat man gemerkt, wie weitreichend das war, wie viele Menschen die Substanz einfach gemocht haben und, auch wenn sie nicht da sein konnten, mitgefeiert und mitgetrauert haben. Als vergangene Woche das Ende der Substanz in ihrer jetzigen Form verkündet wurde, dachte manch einer an einen ähnlichen Fall wie beim 4Rooms: Immobilienaufkauf und keine Vertragsverlängerung. Dem ist aber nicht so? Man kann das auch latenter machen. Wegen Corona hatten wir eine schwierige Saison. Kurz vor dem Lockdown habe ich dem Inhaber [Andreas Wendland, Anm. d. Red.] gesagt, dass ich schließen müsse. Er meinte, ich müsse mir keine Sorgen machen und keine Miete zahlen. Zwei Tage später rief er an und sagte, in Leipzig könne man doch von 6 bis 18 Uhr aufmachen – das war die kurze Übergangszeit für Gastronomen vor dem Lockdown. Ich sagte ihm, wir seien aber keine Frühstücksbar – und er meinte, dann müssten wir eben unser Konzept umstellen. Da war klar: Das hatte sich erledigt, wir müssen weiter Pacht zahlen und das aussitzen. Später setzten wir uns zusammen, weil mein Pachtvertrag im April 2021 ausgelaufen wäre. Ich bat um halbe Kosten für die Wintersaison oder etwas in der Richtung, weil wir im Innenbereich nur sehr wenige Gäste empfangen können, erst recht mit Corona. Und was ist dabei herausgekommen? Er meinte dann, er hätte mir die Substanz zehn Jahre lang fast geschenkt – jetzt wolle er Geld sehen. Ab April sollte dann die neue Pacht fast das Doppelte der jetzigen betragen. Und das war nicht tragbar. Wir hatten schon in diesem Sommer weniger Plätze und damit weniger Umsatz. Wie sollte das dann im nächsten laufen? Das wollte und konnte ich nicht mehr. Wie ging es weiter? Dann haben wir einen tollen Nach-Pächter gefunden – die haben sich alles angeschaut, wollten den Betrieb so übernehmen und diese Wahnsinnssumme für Pacht und Sicherheit in die Hand nehmen. Sie wollten sogar noch notwendige Renovierungs- und Umbauarbeiten vornehmen und haben schon Baupläne vorgelegt. Nach mehreren Monaten hat er [Wendland] das aber auch platzen lassen. Er wollte das von Anfang an nicht – hat gedacht, ich führe hier das Goldene Kalb durch die Straßen, das sei ja ganz leicht. Er wird aber sehen, dass sehr Vieles dazugehört. Teamleitung, Verbindungen aufbauen, Konzerte organisieren – wenn etwas leicht aussieht, stecken meist Menschen dahinter, die professionell arbeiten. Damit meine ich vor allem mein Team. Wie geht es jetzt für dieses Team weiter? Die sind grundsätzlich erstmal arbeitslos. Aber viele Gastronomen, die ich kenne, sind auf mich zugekommen und wollen mein Personal übernehmen. Unter anderem das Pernod Ricard oder das Imperii – also richtig hochklassige Läden. Das ist ein ganz großes Kompliment. Soweit ich weiß, wird auch niemand vom alten Personal für ihn [Wendland] arbeiten wollen. Wie war denn das Verhältnis zu Herrn Wendland in den vergangenen zehn Jahren? Es gab kein Verhältnis. Er sitzt in München und hat hier zehn Jahre lang gar nichts an dem Haus getan. Wenn die Heizungen ausfielen oder ein Rohr verstopft war, musste ich mich selber kümmern. Er hat wirklich gar nichts gemacht! Zum Glück leben hier im Haus handwerklich begabte Leute, die immer wieder geholfen und es zehn Jahre lang so gehalten haben, dass wir darin wohnen konnten. Er [Wendland] kam höchstens zwei, drei Mal im Jahr vorbei und hat es sich angeguckt. Wenn er jetzt sagt, sein Herz hänge daran, krieg ich so einen Hals! Das einzige, was ihn interessierte, war, dass monatlich das Geld kommt. Ursprünglich hatte es seinem Bruder gehört, dann sollte es zwangsversteigert werden ... Wann war das? Vor 15 Jahren oder so. Die Radeberger Gruppe sprang zunächst ein, tilgte die Schulden, weil sie den Biergarten erhalten wollte. Dann übernahm Andreas Wendland das Haus und verpachtete die Substanz zunächst an ein paar Jungs, später übernahm dann Thomas wieder den Betrieb für zwei Jahre. Zu der Zeit führte ich die Rumpelkammer in der Nähe. Thomas kam eines Abends vorbei und meinte, er habe keinen Bock mehr. Ich sagte, das sei doch schade um den Biergarten – lass doch mal schauen! So bin ich an die Substanz gekommen. Nun will Andreas Wendland die Substanz selber weiterführen. Was halten Sie von seinen Plänen? Ich kann Ihnen nur sagen, wie die Eröffnung am Donnerstag gelaufen ist. Es gab Bier aus der Flasche. Warmes Bier aus der Flasche. Und es gab japanisches Essen. (Pause) Da kann sich jetzt jeder selbst Gedanken machen. Was wird Ihnen aus den vergangenen zehn Jahren in Erinnerung bleiben? Das kann ich gar nicht aufzählen – so viele schöne, emotionale Momente. Konzerte, Abende mit Freunden, das Team ... Es hat uns einfach Spaß gemacht, dort zu arbeiten. Ich bin morgens immer in den Biergarten und habe meine Pflanzen gewässert – das war Liebe zu dem, was wir getan haben. Es waren einfach sehr schöne zehn Jahre. Welche Veränderungen haben Sie bei den Gästen und im Umfeld der Substanz in dieser Zeit wahrgenommen? Es war schon immer studentisch, das hat sich bis zuletzt nicht geändert. Später brachten immer mehr ihre Eltern mit und haben denen ihre Stammkneipe gezeigt. Wir hatten sehr viele internationale Gäste, die Hotels in der Nähe haben uns immer empfohlen. Unsere Leute an der Bar mussten alle Englisch sprechen können, das war Pflicht. (lacht) Wir hatten ein total gemischtes Publikum – Ärzte, Rechtsanwälte, einen Richter vom Oberlandesgericht, das Team von SOKO Leipzig. Vor ein paar Wochen hat noch die Mannschaft von RB Leipzig hier gesessen. Ralf Rangnick kam des Öfteren gern vorbei. Die konnten hier sitzen und ihr Bier trinken, ohne dass sie angesprochen wurden. Das war die Substanz: ein Rückzugsort für jeden und ein wunderschöner Biergarten. Offen für alle – bis auf politisch Rechte. Da gab’s kein Pardon, auch beim Personal nicht. Wenn einer mit „Thor Steinar“-Shirt an der Bar stand, hat er kein Bier bekommen. Sie wohnen in dem Haus über der Substanz. Wie geht es für Sie persönlich weiter? Bleiben Sie Reudnitz und auch der Gastro-Branche erhalten? Nein, weder noch. Wir werden hier ausziehen, das kann ich mir emotional nicht antun. Ich werde jetzt einfach mal zur Ruhe kommen, die ganzen zehn Jahre verdauen und dann schauen, wie’s weitergeht. Ich habe auch Angebote bekommen im Gastro-Bereich, aber im Moment brauche ich erst ein bisschen Urlaub. Danach schauen wir mal. Ich könnte mir auch was anderes vorstellen – ich weiß es nicht. Das wird sich dann entscheiden. Von Christian Neffe