Abbiegeassistent: Leipzig will tödliche Unfällen mit Radfahrern verhindern

Als der nagelneue Solaris-Bus nach rechts einschwenkt, warnt ein lautes Piepen den Fahrer der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB). Grund: Ein Fußgänger steht im Gefahrenbereich. Zudem nimmt ihn eine Kamera auf – so erscheint er auch auf einem Monitor. Mithilfe des Abbiegeassistenten wird der tote Winkel am Fahrzeug akustisch und optisch „sichtbar“. Oft wird der tote Winkel zur tödlichen Gefahr. Erst im Sommer 2020 starben in Leipzig eine Radfahrerin (35) und ein Radfahrer (81), als sie von nach rechts abbiegenden Lastern erfasst wurden. Zweieinhalb Jahre nach einem tödlichen Unfall sagte jetzt ein Lkw-Fahrer (48) unter Tränen vor Gericht: „Ich habe sie wirklich nicht gesehen.“ Er hatte die 16-Jährige beim Rechtsabbiegen am Martin-Luther-Ring überrollt, muss 7500 Euro Strafe zahlen. Laut Dekra-Gutachter Andreas Schrodt hätte er die Radlerin allerdings beim Blick in die Außenspiegel sehen müssen. Womöglich hätten Abbiegeassistenten in diesen Fällen Leben retten können. Zehn Busse folgen bis Ende Oktober: „Sie sind ein zusätzliches Hilfsmittel zur Unterstützung des Fahrers“, konstatiert Marc Backhaus, Sprecher der LVB. Das Unternehmen hat deshalb alle 53 angeschafften Solaris-Busse mit Assistenzsystemen ausstatten lassen. Laut Andreas Böttcher, strategischer LVB-Fahrzeugmanager, trafen 43 davon schon ein; die weiteren zehn folgen bis Ende Oktober. Sie werden im Technischen Zentrum in Heiterblick für den Betrieb fit gemacht – erhalten unter anderem Fahrscheindrucker. Die Dieselbusse seien Teil des Erneuerungskonzepts der LVB-Fahrzeugflotte; ab Ende 2020 kämen sukzessive Elektro-Busse vom Hersteller VDL – auch mit Assistenzsystemen – hinzu. Schwere Bus-Unfälle beim Rechtsabbiegen gab es nach LVB-Angaben in den zurückliegenden Jahren nicht. Eine Nachrüstung der übrigen Busse steht Böttcher zufolge „bislang noch nicht im Fokus“. Stadtreinigung: „Kein kompletter Schutz“: Auf Nachrüstung seiner 113 Fahrzeuge setzt aktuell aber die Leipziger Stadtreinigung. Laut Sprecherin Susanne Zohl investiert der kommunale Betrieb dafür insgesamt 350 000 Euro. „In 14 Fahrzeugen ist ein System in diesem Jahr eingebaut worden. Die anderen werden in den nächsten Monaten folgen“, so Zohl. Ziel der Fertigstellung: drittes Quartal 2021. „Neue Fahrzeuge, die wir beschaffen, werden direkt in der Ausschreibung mit Abbiegesystem gefordert.“ 2019 handelte es sich um zehn neu angeschaffte Fahrzeuge. Zwar könne durch den Einsatz der Technik die Gefahr eines Unfalls reduziert werden. „Einen kompletten Schutz können die Systeme nicht gewährleisten, da sie nicht in technische Baugruppen wie zum Beispiel die Bremsanlage des Lkw eingreifen. Der Risikofaktor Mensch wird durch die Systeme nicht ersetzt“, betont Zohl. Fahrer der Stadtreinigung hätten verschiedene Abbiegeassistenten getestet. Je nach Bedarf der Abteilung würden auch unterschiedliche eingesetzt. Für 14 Systeme – Stand: Juni 2020 – hat das Kraftfahrt-Bundesamt inzwischen eine allgemeine Betriebserlaubnis erteilt. Ausstattungspflicht erst in nächsten Jahren: Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) hatte sich Anfang 2020 in einer Stellungnahme für Nutzung und Nachrüstung ausgesprochen. Das reicht einer Leipziger Initiative aber nicht aus. Erst vor Tagen forderte sie einen besseren Schutz. Bei einem Klingelkonzert übergab sie dem OBM eine von 3400 Bürgern unterzeichnete Petition. Kommunen müssten „ihre Handlungsmöglichkeiten nutzen“, so die Forderung. Pflicht würden die Systeme erst in den nächsten Jahren. Eine EU-weite Verordnung schreibt ab 2022 für alle neuen Lkw-Fahrzeugtypen und ab 2024 für alle neu zugelassenen Lkw und Busse Abbiegeassistenten vor. Für neu zugelassene Gigaliner gelten andere Fristen. Nicht auf EU-Pflichten warten will Wien. Dort löste ein von einem Lkw tödlich verletzter Junge (9) eine Debatte aus. Die österreichische Hauptstadt will schwere Laster ohne Abbiegeassistenten auf ihren Straßen verbieten. Strittig ist derzeit aber, ob die EU-Kommission für diese Verordnung grünes Licht gegeben hat. Geahndet werden sollen Verstöße ab Juli 2021, zunächst war schon Januar vorgesehen. Von Sabine Kreuz