Dort inhaftiert: 1500 ungarische Jüdinnen und französische Widerstandskämpferinnen. Für die gefangenen Frauen folgt bis zum Abend ein Wechselbad der Gefühle. Erst heißt es, sie werden frei gelassen. Doch dann die grausame Wende: Die Frauen sollen nach Theresienstadt im heutigen Tschechien. Über 150 Kilometer zu Fuß. In den frühen Abendstunden marschiert der lange Zug aus halb verhungerten Zwangsarbeiterinnen schließlich los. In östlicher Richtung. Durch die Außenbezirke Leipzigs. Auch kurz vor Kriegsende wollen die Nazis die Verbrechen in den Konzentrationslagern noch vertuschen.
70 Jahre später wird an vielen Orten dem Ende des Zweiten Weltkrieges gedacht. Es sind die letzten Gedenkjahre, in denen Zeitzeugen noch direkt von den Gräueltaten der Nazis berichten können. Menschen wie Zahava Szász Stessel, Verfasserin des Buches "Snow Flowers", zu deutsch: Schneeblumen. Die heute in den USA lebende Frau war bei dem Marsch gerade mal 15 Jahre alt. Zusammen mit ihrer Schwester erlebte sie im Zweiten Weltkrieg eine schreckliche Odyssee durch die Vernichtungslager, die die ganze Brutalität der Nationalsozialistischen Diktatur deutlich macht. Über Auschwitz, wo der berüchtigte Arzt Josef Mengele sie und ihre Schwester mit Krankheitserregern infizierte, kam sie nach Bergen-Belsen und danach in das Lager Wolfswinkel, eine Außenstelle des Vernichtungslagers Buchenwald. In ihrem Buch schildert sie den dramatischen Marsch von Leipzig Richtung Osten. Ausgehungert und immer wieder Flugzeugangriffen ausgesetzt, gelingt ihr schließlich Chaos die Flucht.
"Das Gräuel von damals darf nicht vergessen werden, auch wenn es mal keine Zeitzeugen mehr gibt", davon sind Professor Werner Schneider vom Verein Notenspur und Anja-Christin Winkler, künstlerische Leiterin der Flügelschlag-Werkbühne, fest überzeugt. Deshalb organisieren sie am 13. April, zum 70 Jahrestag, den Gedenkweg. Er umfasst die ersten acht Kilometer des damaligen Marsches. Vom Markkleeberger Equipagenweg über Dölitz und Probstheida bis nach Stötteritz. Dabei soll es laut Organisatoren nicht beim einfachen Ablaufen der Strecke bleiben. "Wir planen auf dem Weg verschiedene Stationen, an denen beispielsweise Musik gespielt wird, die den Frauen damals während der Zwangsarbeit Kraft gegeben hat", sagt Werner Schneider. Dafür kommen ungarische Sängerinnen zu der Veranstaltung. Weitere Gedenkformen: Die Lesung von Texten und die Verlesung der Namen der Zwangsarbeiterinnen, die vor 70 Jahren durch den eisigen Aprilregen marschieren mussten. Wer will, kann sich unterwegs eine Karte anheften, mit dem Namen einer der Zwangsarbeiterinnen.
Im Jahr 70 nach der Naziherrschaft illustriert der Gedenkweg auch die Suche nach neuen Gedenkformaten - abseits von reinen Kranzniederlegungen. "Wenn wir die Geschichte und das Gedenken daran in die Gegenwart bringen wollen, dann müssen wir auch neue Methoden ausprobieren", so Schneider. Und Mitorganisatorin Winkler, von der auch die Idee zu dem Gedenkweg stammt, sagt: "Wir wollen damit ein Gefühl für Anteilnahme entwickeln. Wir alle zusammen sind Träger der Erinnerung."
Viele Frauen überstanden den im Leipziger Süden startenden Marsch damals nicht. Mit dem Schneeblumen-Gedenkweg wollen die Organisatoren zeigen: Auch 70 Jahre danach seit ihr nicht vergessen. Die Erinnerung lebt. Auch mit neuen Gedenkformen.
Informationen zur Teilnahme am Schneeblumen Gedenkweg am 13. April finden Sie unter diesem Link.
Aus der Leipziger Volkszeitung vom 07.04.2015
Lucas Grothe