Bemerkungen von Passanten: Das erlebt ein Leipziger Mukoviszidose-Patient

Marco Purrucker sitzt auf dem Gehsteig vor seiner Leipziger Wohnung. Heute musste er einfach nach draußen gehen. Daheim hielt er es kaum noch aus. Seit Ausbruch der Corona-Krise hat er seine sozialen Kontakte auf ein Minimum beschränkt. Die meiste Zeit verbringt er in den eigenen vier Wänden, um das Risiko einer Infizierung zu minimieren. Er muss husten. Zwei Passanten mit Einkaufstüten drehen sich nach ihm um und rümpfen die Nase. Dass er weder erkältet, noch mit Corona infiziert ist, weiß keiner. Seine Krankheit zwingt ihn dazu. Er hustet ein zweites Mal. Ein Spaziergänger auf der gegenüberliegenden Straßenseite wird wütend: „Sag mal, können Sie nicht zuhause bleiben, wenn sie krank sind?“ Der 25-Jährige bleibt gelassen. Die Antwort kommt prompt: Er sei chronisch krank und müsse deshalb immerzu husten. Der Spaziergänger entschuldigt sich betroffen. Über eine Facebook-Gruppe tauscht sich Marco mit anderen Mukoviszidose-Betroffenen über solche Situationen aus. In der Öffentlichkeit angepöbelt werden, gehört für sie zum Alltag in Zeiten von Corona. LVZ-Reporter Vincent Först traf sich mit Purrucker, um über seine Krankheit und die Gefahren durch eine Infektion mit COVID-19 zu sprechen. Hallo Marco, wie fühlt sich die Krankheit Mukoviszidose für Sie an? Stell dir vor, jemand steht auf deiner Brust, während du atmest (lacht). Mukoviszidose ist eine Erbkrankheit – ich habe also schon mein Leben lang damit zu tun. Durch die Krankheit wird der Salz-Wasser-Haushalt der Schleimhäute gestört. Schleim, der meine Lunge vor Schmutz, Bakterien oder Viren schützen soll, ist zu dickflüssig und bleibt deshalb in meinen Atemwegen stecken. Deshalb muss ich konstant husten. Bei meinem letzten Besuch am Leipziger Völkerschlachtdenkmal wollte ich neue Fotos für meine Website schießen. Nach dem Treppensteigen war ich so außer Atem, dass ich kein Wort mehr rausgebracht habe. Reagieren die Menschen seit dem Ausbruch des Corona-Virus anders auf Sie? Am Anfang, als Corona hier in Deutschland noch nicht ernst genommen wurde, haben die Leute mit den Händen gefuchtelt als ich husten musste und Witze gemacht, von wegen „steck mich ja nicht an“. Mittlerweile ist das schlimmer geworden. Ich bin zum Glück sehr offen und kommunikativ und spreche gerne über meine Krankheit. Das ist wohl der Grund, wieso ich mich derzeit noch nicht komplett von der Gesellschaft ausgegrenzt fühle (lacht). Sind Sie überhaupt noch draußen unterwegs? Ich bin meistens zuhause, um kein unnötiges Risiko einzugehen. Aber manchmal brauche ich einfach frische Luft und Bewegung. Wenn ich dann rausgehe, vermeide ich so gut wie jeden Kontakt mit anderen Menschen. Ich bin gerne in der Natur. Zuhause lässt es sich auch einfach nicht gut arbeiten. Deshalb bedeutet die Corona-Krise eine massive Einschränkung für mich und meinen Alltag. Was würde passieren, wenn Sie sich mit Corona infizieren? Eine kleine Erkältung hat auf mich eine zehnfach höhere Wirkung als bei einem gesunden Menschen. Eine Virusinfektion wäre noch viel schlimmer. Es gibt Mukoviszidose-Patienten, die über lange Zeit wenig bis keine Krankheitssymptome haben und ein normales Leben führen können. So war das bei einer Freundin von mir, bis sie mit Anfang 30 eine Grippe bekam. Der Verlauf war so schwer, dass sie danach auf eine Lungentransplantation angewiesen war. Treffen Sie neben Ihrem selber auferlegten Hausarrest weitere Maßnahmen, um sich zu schützen? Um ehrlich zu sein, sind die Hygieneregeln von denen gerade alle sprechen, nichts Neues für mich. Ich passe schon immer sehr genau auf, mich nicht zu erkälten oder mit Viren anzustecken. Regelmäßiges Händewaschen gehört genauso wie die Vermeidung von unnötigem Körperkontakt dazu. Das wird zu einem Vorteil in der Krise. Ich musste mir eben schon vor Corona Gedanken um gefährliche Infektionen machen. Haben Sie einen Ratschlag für Menschen, die zur stark gefährdeten Corona-Risikogruppe gehören? Momentan lese ich sehr viele Nachrichten von anderen Mukoviszidose-Erkrankten, die sich über das Ausgrenzungsverhalten ihrer Mitbürger beschweren. Wer kleinste Anzeichen einer Erkältung zeigt, wird schnell gebrandmarkt. Das ist natürlich schade, aber Betroffene aus Risikogruppen sollten auch versuchen, sich in Andere hineinzuversetzen, anstatt sich über deren Unwissenheit zu ärgern. Die meisten Menschen haben kein Bewusstsein für chronische Krankheiten und das ist auch verständlich. Deshalb freue ich mich sogar, wenn ich auf meinen Husten angesprochen werde. So kann ich in den Dialog treten und meinen Gesprächspartner aufklären. Kommunikation ist das A und O. Engagieren Sie sich deshalb auch als Speaker und Podcast-Produzent? Genau! Ich will Menschen mit Mukoviszidose helfen, besser mit sich und der Krankheit umgehen zu können. Dafür habe ich ein Coaching-Programm entwickelt. In meinem Podcast BreathTaking verarbeite ich persönliche Geschichten und Erfahrungen mit der Krankheit, spreche mit anderen Betroffenen und versuche diese zu motivieren. Ich will Informationen weitergeben. Aus diesem Grund habe ich bereits Vorträge in Schulen oder für Auszubildende der Krankenpflege und Physiotherapie gehalten. Im Umgang mit chronisch kranken Menschen hat unsere Gesellschaft sehr viel Nachholbedarf. Es ist unfassbar wichtig, als chronisch kranker Mensch verstanden zu werden. Das ist aktuell noch nicht der Fall. Von Vincent Först

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