Corona in Leipzig: Die Gastronomie trägt die Konsequenzen

Er wird kommen: der zweite Lockdown. Zum zweiten Mal in diesem Jahr stehen Schließungen bevor, um das Infektionsgeschehen und die Corona-Pandemie in Deutschland einzudämmen. Leipzig als dicht besiedelte Großstadt kam bisher im Vergleich zu anderen Orten noch glimpflich durch die Pandemie. Das soll durch die neuen Maßnahmen so bleiben. Die Konsequenzen tragen auch die Gastronomen. Für sie gilt als nächster Schritt in Leipzig ab Donnerstag eine Sperrstunde zwischen 23 Uhr und 5 Uhr morgens. Ab dem zweiten November heißt es dann für die Gastronomiebetriebe den Rest des Monats: Licht aus. Sperrstunde „das kleinere Übel“: Für Lukas Adolphi, Betreiber der Bar Nepomuk in Plagwitz, wäre die Sperrstunde noch das kleinere Übel gewesen. „Die Barsaison geht eigentlich jetzt erst richtig los und gerade am Wochenende auch länger als bis 23 Uhr, aber das ist besser als gar nicht zu öffnen. Wenn wir erneut schließen müssen, ist das finster“, erklärt er. Er sagt, er habe mittlerweile ein bisschen resigniert, was die Regelungen angeht – und bereitet sich auf alles vor. „Die Gastronomie wird aktuell verteufelt, dabei werden hier die Regeln umgesetzt. Anders als im Privaten. Da könnte man uns auch genau anders herum begreifen. Als eine Art Sicherheitstool“, so Adolphi. Immerhin seien die Treffen in Bars und Restaurants kontrollierbar. Der zweite Lockdown wird, seinem Empfinden nach, für viele Gastronomen erneut nur mit ausreichender, staatlicher Hilfe zu überstehen sein. Frage nach Verhältnismäßigkeit: Adolphi stellt sich, wie viele Leipziger Gastronomen, im Zuge der Sperrstunde und etwaiger zeitweiligen Schließung auch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Gerade vor dem Hintergrund, das für die Betriebe strenge Auflagen herrschen, Konzepte genehmigt werden müssen und nur noch begrenzte Gästezahlen erlaubt sind. „Die Maßnahmen aus dem Frühjahr waren sinnvoll und nachvollziehbar, aber langsam wird es unverständlich“, sagt beispielsweise Carl Pfeiffer. Er betreibt in Leipzig das Volkshaus, die Luise im Zentrum, das Kaiserbad und den Irish Pub Killiwilly. Die Sperrstunde tut letzterem besonders weh, so Pfeiffer. „Entweder man kommt zusammen oder eben nicht. Das Virus ist ja nicht erst ab der Sperrstunde da und da ist die Essenszeit eher vorbei“, erklärt er. Anders als die meisten Gastronomen empfindet er den zweiten Lockdown in der Branche als verständliche Maßnahme: „Lieber jetzt für ein paar Wochen richtig schließen und dann wieder hochfahren, als das ganze weiter zu verschleppen.“ Dennoch sieht Pfeiffer den Staat in der Pflicht, denn Gastronomie sei eine Branche, in der sich nicht allzu große Rücklagen bilden ließen – und die seien ohnehin schon im Frühjahr in Anspruch genommen worden. Er wünscht sich mehr Respekt seitens der Regierung für die Schaffenden im Gewerbe. Offizielle Stellen setzen sich für Betriebe ein: Dafür setzt sich die Dehoga Sachsen ein. Sie argumentiert mit den Erkenntnissen des Robert-Koch-Institutes über Infektionsketten und Hotspots gegen die Schließung der Betriebe. Ursache für diese seien schwerpunktmäßig Zusammenkünfte, die in privaten Räumen oder privat angemieteten Räumlichkeiten stattfinden und eben nicht in gastgewerblichen Unternehmen, heißt es in einer Pressemitteilung der Dehoga. Eine komplette Schließung werde die wirtschaftlichen Schwierigkeiten vieler Betriebe zusehends verstärken und einen Großteil in die Insolvenz führen. „Unsere Gastgeber dürfen nicht unverschuldet in Mithaftung genommen werden. Die grobe Fahrlässigkeit einiger weniger bedeutet als Konsequenz erneut harte Einschnitte und Einbußen für die gesamte Branche, die zwangsläufig in Kauf genommen werden müssen“, so Axel Klein, Hauptgeschäftsführer Dehoga Sachsen. IHK: Schließung ist doppelt gefährlich: Ähnlich sieht es die IHK in Dresden. IHK-Geschäftsführer Detlef Hamann erklärte am Mittwoch, dass ein neuer Lockdown tausende Gastronomiebetriebe in ihrer Existenz bedrohe. „Der jüngste Anstieg der Infektionszahlen ist zweifelsohne besorgniserregend, weshalb weitere Maßnahmen zur Eindämmung des Pandemiegeschehens unumgänglich sind. Diese müssen aber auch geeignet und zielgerichtet sein“, erklärt Hamann. Die Schließung der Gastronomie sei dabei aber doppelt gefährlich. Nicht nur aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten, die auf die Betriebe zukommen könnten. Sondern auch, weil eine Schließung die Gefahr berge, mehr Menschen aus den Restaurants ins nachweislich unsichere, private Umfeld zu verdrängen - und so neue Infektionsherde entstehen zu lassen. Kaum Rücklagen vorhanden: Die Einbußen für die Branche, die Klein und Hamann ansprechen, ziehen sich bereits über das Jahr hinweg durch die Bücher der Betriebe. „Wir liegen zwischen 70 und 80 Prozent der Umsätze, die wir vor der Pandemie hatten“, sagt zum Beispiel Marc Walenta. Andere Leipziger Gastronomen sprechen sogar nur von 50 Prozent der Einnahmen aus dem Vorjahr. Walenta betreibt im Leipziger Süden das Hotel Seeblick, eine Mischung aus Bar, Restaurant und Café. Seine Meinung zum Lockdown sei ein Spagat, sagt er. Privat seien die Entscheidungen zum Teil nachvollziehbar, wirtschaftlich jedoch weniger. Das wurde auch durch die finanziellen Hilfen des Landes im Frühjahr deutlich. Die Hürden und Zeiträume dafür seien „an der Realität vorbei“ gewesen. Und auch bei Walenta ist die Frage nach der Verhältnismäßigkeit da. „Wir halten uns an alles, Abstände, Hygiene und so weiter. Da fragt man sich schon, liegt es wirklich an der Gastronomie?“, so Walenta. Schließungen seien eine Katastrophe: Nein, tut es nicht. Zumindest nicht, wenn man Daniel Weise glaubt. Der Leipziger Gastronom hat die Türen von seiner Kneipe Flowerpower im Zentrum-Süd seit März nicht mehr geöffnet. Sein zweites Standbein, das La Boum ist offen – noch. „Ich weiß von keinem Betrieb hier in Leipzig, auf dem sich eine Infektionskette zurückverfolgen lies. Das ist einfach nicht verhältnismäßig“, findet er, aber relativiert: Bei Infiziertenzahlen wie in Berlin oder dem Ruhrgebiet sei das vielleicht anders. Weise betont, dass sich der größte Teil seiner Kollegen in Leipzig an die Hygienekonzepte und Verordnungen hielten. Schwarze Schafe gäbe es immer. Seine Mitarbeiter, insgesamt knapp 30, sind zum Teil seit acht Monaten in Kurzarbeit, einige aus dem Flowerpower arbeiten im La Boum mit. Wo es geht, stocke er auf. „Bei den Löhnen im Gastro-Gewerbe bleibt bei 60 Prozent Kurzarbeitergeld nicht viel über“, sagt er. Kredite gebe es nicht so einfach. Die weitere Schließung sei daher eine Katastrophe, sagt Weise. Von Vanessa Gregor