Das sind die letzten Videotheken in Leipzig

„Wollen wir uns in der Videothek einen schönen Film ausleihen?“ Eine Frage, die in Zeiten der Omnipräsenz von Online-Streamingdiensten bei vielen nur vage Erinnerungen an das Stöbern beim Verleiher um die Ecke hervorruft. Doch in den 1990er Jahren boomte das Geschäft mit den Filmen auf Zeit. Man traf sich, schlenderte durch den Fundus und quälte sich zu einer Entscheidung. Heute hat man auch online die Qual der Wahl – doch das Haus muss dafür niemand mehr verlassen. Der Interessenverband des Video- und Medienfachhandels in Deutschland (IVD) hat in Sachsen im letzten Jahr noch 22 Videotheken gelistet. 2014 waren es noch viermal so viele. In Leipzig gibt es noch eine Handvoll Betreiber, die den DVD und Blu-ray-Fans die Stange halten. Alle eint die Liebe zum Medium und der Glaube an den Liebhaber-Bonus, ähnlich wie bei der Schallplatte. Die LVZ hat vier von ihnen getroffen. Lars Meyer von der Filmgalerie Westend (Schleußig): „Eigentlich ist die Videothek wie ein Späti“: Lars Meyer gehört das „Westend“ in der Industriestraße in Leipzig. Eine Filmgalerie, die ihren Fokus vorwiegend auf Arthouse-Stücke legt und seit 2006 in Schleußig beheimatet ist. „Eine gut sortierte Programmvideothek“, nennt sie der Betreiber. Meyer war auch maßgeblich an der Gründung der alpha60 beteiligt. Damals eine echte Institution in der Leipziger Filmszene. 2015 machte die Videothek nach zwölf Jahren dicht. Mit seinem „Westend“ hält er weiter die Stellung. Auch weil er sich andere Standbeine gesucht hat, die ihm die Rechnungen bezahlen. Denn rentabel ist das Verleihgeschäft schon länger nicht mehr. „In den letzten Jahren ist das Westend eigentlich nur noch Hobby, aber ich hänge einfach an dem Projekt.“ Seit 2015 gehört ihm das Café „Jimmy Orpheus“ gleich nebenan. Kurze Wege für einen Kaffee und das zweite Business. Dass der Name seines Lokals zeitgleich der Titel eines Schwarzweiß-Streifens aus den 60er Jahren ist - für den Cineasten Ehrensache. Seine Videothek öffnet inzwischen nur an drei Tagen in der Woche. Eine Konsequenz aus vielen Stunden Herumsitzerei ohne nennenswerten Kundenkontakt. „Da hattest du manchmal einfach das Gefühl: Da geht gar nichts. Und damit es mir noch Spaß macht, habe ich gesagt, dass ich die Zeiten drossel.“ Seitdem läuft es besser. Der Leerlauf ist überschaubar. Sein Publikum besteht vor allem aus Stammkunden. Leute, die die Vertrautheit, die Beratung und die Gespräche schätzen, sagt Meyer. „Eigentlich ist die Videothek wie ein Späti. Oder ein Friseur. Man kommt vorbei und quatscht, eben ein sozialer Ort.“ Meyer sieht in der Bequemlichkeit und dem Überangebot im Netz die größten Feinde seines Geschäftsmodells. Aber auch einen anderen Grund hält er für nicht unwichtig: Das geringe Interesse an Klassikern, gerade bei Jüngeren. „Ich habe den Eindruck, dass der Hunger danach einfach abflaut. Einige sagen, sie seien Filmfans, haben aber keine der elementaren Klassiker gesehen.“ Nicht dass es ein Dogma wäre, alles gesehen haben zu müssen. Aber gerade jene alten Filme, die es eben nicht ohne weiteres im Netz gibt, für die sei seine Videothek ein echter Fundus, ergänzt Meyer. „Bei Netflix zum Beispiel ist das Angebot ziemlich eingeschränkt. Außerdem lenkt der Algorithmus die Nutzer viel zu stark. Netflix sagt dir ab einem gewissen Punkt, was du toll findest. Das ist einerseits gut, aber es fällt eben auch eine Menge hinten über.“ In seiner Videothek gehe der Kunde nicht selten mit einem Film nach Hause, den er am Anfang gar nicht auf dem Schirm hatte. Heike Bühl vom Videotaxi Media Store (Lößnig): „Die ersten Sonnenstrahlen sind die schlimmsten“: Fast 30 Jahre sind Heike Bühl und ihr Mann Matthias schon als Verleiher aktiv. Zu Zeiten, in denen das Geschäft noch florierte, hatten sie zwei Läden. Jetzt gibt es nur noch den „Videotaxi Media Store“ in der Dankwartstraße. Und der gehört inzwischen zur Einkaufsgruppe „World of Video“. Vorher war das Ehepaar an eine Kölner Firma angeschlossen. Aus dieser Kooperation stammt auch noch der etwas irreführende Name ihres Verleihs. Denn einige Zeit lieferten die Bühls tatsächlich die DVDs bis zur Haustür – ähnlich wie ein Pizzalieferant. „Da waren wir unserer Zeit voraus“, erzählt Heike Bühl. „Es lief eine Zeit auch wirklich gut. Doch durch Amazon und Netflix hatte sich das irgendwann erledigt.“ Die Bestellungen wurden weniger. Und die Unterhaltung der Autos dadurch zu teuer. „Wir haben vom Süden bis nach Dölzig geliefert. Das waren Strecken, die sich für eine oder zwei DVDs kaum gelohnt haben.“ Bühl ist davon überzeugt, dass mit der Internetpiraterie das ganze Elend angefangen hat. Damit ihr Laden sich noch rechnet, haben sie einen kleinen Spätverkauf und betreiben, wie viele kleine Händler, einen Paketservice. Die Phasen, in denen sie besonders kämpfen müssen, sind die warmen Tage. Und davon gab es auch dieses Jahr wieder so einige. „Die ersten Sonnenstrahlen sind die schlimmsten“, witzelt Bühl, auch wenn der Ernst dahinter kaum zu verstecken ist. Ronny Meißner von der FilmOase (Grünau): „Dauerrenner sind ganz klar die Erotikfilmchen“: Ronny Meißner gehört seit über zehn Jahren die „FilmOase“ in Grünau. Sein Geld macht er allerdings mit einer Veranstaltungs- und Versicherungsfirma. Seinen Verleih weiterführen möchte er die nächsten Jahre aber in jedem Fall. Es ist der letzte, der noch übrig ist. Zwei Läden musste er bereits aufgeben. Für ihn ist daran nicht in erster Linie das Online-Streaming schuld, sondern die Filmindustrie. „Die wollen ganz einfach keinen Verleih mehr.“ Früher gestaltete sich die Veröffentlichungskette noch wie folgt: Kino – Verleih – Verkauf. „Heute werden wir einfach übergangen. Der Handel kommt zuerst.“ So kamen in der Vergangenheit immer wieder Kunden, die einen Film gesucht haben, den Meißner schlichtweg noch nicht hatte. Der Kauf einer DVD oder Blu-ray kostet ihn etwa 30 Euro, dann hat er das Verleihrecht. „Und da ich ja nicht nur eine DVD im Regal haben kann, kommen da schnell mal mehrere hundert Euro zusammen.“ Deshalb würden viele Großhändler heute nur noch aus zweiter Hand kaufen – um Geld zu sparen. Meißners Kundenstamm ist in reinen Zahlen groß. Mehrere tausend Namen stehen in seiner Kartei. Die meisten von ihnen sind jedoch Karteileichen. „Nicht mal 100 von denen sind noch aktiv.“ Aus diesem Grund setzt er mehr und mehr auf den Gebrauchtverkauf übers Internet. Denn der läuft. „Eigentlich sind 70 Prozent meiner Verkaufsfläche schon Lager.“ Er profitiert vor allem von Sammlern. „Dauerrenner sind da ganz klar die Erotikfilmchen.“ Mit dem Verkauf hat er aus der Not eine Tugend gemacht. Der Videothek-Chef ist Filme losgeworden, die schon lange herumlagen und niemand wollte. Dieser Fundus ist aber zu großen Teilen nicht sein eigener. Schon seit längerem kauft er ein buntes Sammelsurium an Restbeständen aus sterbenden Videotheken der Umgebung. Anne Mertelsmann von der FilmOASE (Connewitz): „Wir haben durchgehalten – mit Abstrichen“: Fast spaziert man vorbei an der kleinen Videothek auf der Wolfgang-Heinze-Straße. Eine kleine Bank und ein Fahrradständer stehen vor dem Schaufenster. Der Innenraum ist eng und vollgestellt. Trotzdem herrscht Ordnung in den Regalen der Videothek in Connewitz. Anne Mertelsmann betreibt den Laden seit 1999, vorher war sie dort angestellt. Damals hieß der Verleih noch „Starvideo“. Sie machte ihn zur „FilmOASE“. Nach eigenen Angaben waren sie die allerersten Verleiher in ganz Leipzig. Angefangen hat alles in Markkleeberg. Danach haben sie sich immer mal wieder räumlich verändert und schlussendlich mit dem Umzug in die Wolfgang-Heinze-Straße deutlich verkleinert. „Wir haben durchgehalten – mit Abstrichen“, sagt Mertelsmann. Sie setzen in ihrer Auswahl vor allem auf Dokumentationen und besondere Filme. Aktuell haben sie 28.000 Filme gelistet. Ein Großteil ihrer DVDs ist nicht, so wie man es vielleicht erwarten würde, nach Genre sortiert, sondern nach Regisseuren. „Unsere Kunden suchen oft personengebunden. Wenn es nicht der Regisseur ist, dann sind es Schauspieler.“ Ihre Stammkunden sind ein treues Völkchen, da sind sich Mertelsmann und ihr Kollege Markus Noack einig. Einer von ihnen käme sogar jeden einzelnen Tag. Er will mit dem Internet nichts zu tun haben, sagt er den beiden immer. Kunden wie dieser werden auch die nächsten Jahre kommen, da ist sich Mertelsmann sicher. Doch es fehlt der Nachwuchs. Für die, die gerne noch per Hand stöbern und eine gute Beratung zu schätzen wissen – für die ist sie weiterhin da. Außerdem kann sie so ihre Leidenschaft teilen. Es gab Zeiten, da hat Mertelsmann vier Filme oder mehr am Tag geschaut. Das würde sie heute nicht mehr schaffen und sie will es auch nicht. „Irgendwann wiederholt sich dann doch alles.“ Von Lisa Schliep

Ein Herz für den Film - Das sind die letzten Videotheken in Leipzig