Fachkräfte-Not an Leipziger Kliniken: Ärztlicher Direktor des St. Georg kritisiert „aggressives Abwerben von Personal“

Die anhaltende Personalnot in Kliniken ist ebenso bekannt wie Kampagnen, neue Mitarbeitende zu rekrutieren. Seit der durch Corona zusätzlich verschärften Lage überschreiten die Methoden laut dem Ärztlichen Direktor des Leipziger St.-Georg-Klinikums die Regeln des Anstands. Professor Amir Hamza spricht von „aggressivem Abwerben“ der Konkurrenz auf dem Krankenhaus-Gelände und appelliert an die Moral. Die von ihm erwähnten Kliniken dementieren. Poster vor dem Haupteingang und Flyer in Fluren mehrerer Häuser – die Verletzung des Hausrechts ist der Punkt, an dem Hamza das Verständnis abgeht. Seit rund einem Jahr registriert der Ärztliche Direktor den stärker werdenden Konkurrenzkampf. „Wettbewerb ist ein normales Phänomen, damit können wir alle umgehen“, sagt er, „doch wenn mittlerweile Prämien und regelrechte Kopfgelder kommuniziert werden, geht das zu Lasten des Gleichgewichts in den Kliniken und damit gegen das Wohl der Patienten.“ 33 Fachkräfte verloren: In den vergangenen zwölf Monaten hat das Krankenhaus im Leipziger Norden in der Intensivstation und aus anderen Bereichen 33 Fachkräfte verloren, 19 davon an das Uniklinikum (UKL), dessen Kampagnenmaterial auf dem St.-Georg-Areal aufgetaucht sein soll – mit dem Anreiz einer Zahlung von 2000 Euro. Auch das Herzzentrum und Helios-Klinikum soll hier für personelle Wechsel geworben haben, die Prämien gehen bis zu 8000 Euro. „Wenn sich dieser Preis- und Personalkampf nicht ändert, werden einige Kliniken ausbluten, und die Versorgung der Patienten kann nicht mehr gewährleistet werden. Das betrifft uns und viele andere Häuser“, so Hamza. „Gerade in einer so harten Zeit wie dieser appelliere ich dringend an Zusammenhalt in unserer Branche.“ Unmut im Muldental: Im Juni des vergangenen Jahres hatte das UKL mit einer Werbeoffensive Unmut im Muldental geschürt. Mike Schuffenhauer, Geschäftsführer der Muldentalkliniken, konstatierte Dreistigkeit und kritisierte eine Verletzung des Hausrechts. „Unter den Scheibenwischern sämtlicher Mitarbeiter-Autos klemmten Zettel des Universitätsklinikums Leipzig“, berichtet er. Diese Vorgehensweise sei äußerst unverfroren. Laut Flyer soll ein Kennenlerntermin „in entspannter Atmosphäre, mit Fingerfood und Cocktails“ sowie ein 20 Euro „Leipzig-Entdecker-Bonus“ Appetit auf einen Wechsel machen. Sowohl Schuffenhauer als auch Hamza empört die Aktion, weil man in vielen Fachbereichen eng mit dem Universitätsklinikum kooperiert. „Mit Partnern geht man nicht so um“, mahnt der Chef der Muldentalkliniken. Uni-Klinik dementiert: Von der Uniklinik kommt ein entschiedenes Dementi. „Das UKL hat keine Flyer auf dem Gelände anderer Kliniken verteilt, auch nicht im St. Georg. Falls dort welche gesehen wurden, sind diese durch Privatpersonen und nicht im Auftrag des Klinikums dorthin gebracht worden“, stellt Sprecherin Helena Reinhardt klar. Das UKL zahle auch – im Gegensatz zu anderen Krankenhäusern – keine Prämien an wechselbereites Personal. „Es gibt lediglich eine gestaffelte Prämie für UKL-Mitarbeiter, die einen Bewerber für das UKL gewinnen. Damit belohnen wir die eigenen Mitarbeiter, die sich für das Haus einsetzen – und das sicher aus gutem Grund.“ Stefan Möslein, Sprecher von Herzzentrum und Helios Park-Klinikum Leipzig, betont: „Konkurrenzkampf und Wechsel sind normale Prozesse, doch solche aggressiven Aktionen sind uns fremd, das ist nicht unser Stil.“ Natürlich sei auch sein Arbeitgeber bemüht, mit Prämien und attraktivem Umfeld qualifizierte Kräfte ins Haus zu holen, doch Flyer-Verteilung auf Terrain von Mitbewerbern „ist von der Geschäftsführung weder gewollt noch gebilligt“. Ungewöhnlich ist zunehmende Aggressivität beim Kampf um qualifizierte Pflegekräfte jedenfalls nicht. Unter anderem sorgte ein Fall der Kliniken Maria Hilf in Mönchengladbach für Ärger. Ein Krankenhausträger soll in einem Café per „Speeddating“ auf die Rekrutierung von Pflegekräften gezielt haben. Vor Kasseler Krankenhäusern landeten Flyer von DRK-Kliniken. Dort sollen Ärzte und Pflegekräfte darauf angesprochen worden sein, „falschen Arbeitgeber“ zu haben und zum Wechseln aufgefordert worden sein. National spielt sich damit – wenn auch auf hohem Wohlstandslevel – ein Vorgang ab, der international längst in der Kritik steht: Beim grenzüberschreitenden Anwerben von Pflegepersonal durch reiche Länder wie Deutschland bluten die Gesundheitssysteme ärmerer Länder buchstäblich aus, wie der International Council of Nurses (ICN) vor einem Jahr warnte. Von Mark Daniel