Kaiserwetter: Hunderte auf dem Leipziger (Eis-)Kanal

Das Gute an ihm: Als künstlicher Wasserlauf ist er nicht sehr tief. Fällt das Thermometer im Winter in mehreren aufeinanderfolgenden Nächten auf minus 15 Grad Celsius, ist so eine Rinne auch mal schnell zugefroren. Im Leipziger Westen ist genau dies unter der Woche geschehen: Die nach ihrem Schöpfer – Industriepionier Carl Heine – benannte 3,3 Kilometer lange Verbindung zwischen dem Lindenauer Hafen und der Weißen Elster wurde zum Eis-Kanal. Und am Sonntag zu einem Eldorado für all jene, die dem Kaiserwetter huldigen wollten. Hunderte tummelten sich am Stelzenhaus und zwischen den insgesamt 15 Brücken stundenlang auf der bis zu 25 Zentimeter dicken eisigen Schicht. Zu denen, die – natürlich auf eigene Gefahr – ihre helle Freude an dem wahrlich seltenen Phänomen hatten, gehörten Henry und Jens Thomas. Letzterer ist rund 36 Jahre älter als Ersterer und durfte deshalb den Schlitten des Sohnes ziehen. „Der Karl-Heine-Kanal ist unser Hausgewässer“, erzählte der Vater. Beide hätten sie die vergangenen Tage mit Vorliebe im Freien verbracht. „Einfach traumhaft, dieser Winter“, befand der Plagwitzer und strahlte mit der Sonne um die Wette. Bevor in den nächsten Tagen das große Tauen über Leipzig kommt, wollten auch andere aufs Eis. Kirs-ten (51), Martin (51) und Annett (45) zum Beispiel. Das befreundete Trio feierte am Mittag eine Premiere: Erstmals standen die Drei mit Schlittschuhen auf Carl Heines Kanal. Als besonders laufsicher erwies sich Annett. Die gebürtige Chemnitzerin wandelte als Kind und Jugendliche auf den Spuren von Eiskunstlaufkönigin Katarina Witt. „Ich war fast jeden Sonntag in der Eishalle oder auf der Eisbahn“, berichtete die heutige Probstheidaerin. Für Martin, der in seinem Leben bislang eher selten auf Kufen unterwegs war, hatte Annett dann auch den einen oder anderen Tipp parat. Hinweise en masse gab auch Angela Liebich. Die Adressaten ihrer knappen Kommandos: drei Grazien des Leipziger Eissport-Clubs, Abteilung Eiskunstlauf. In kurze Kleidchen gehüllt, zogen Emily (19), Selina (21) und Anita (27) schnell die Blicke etlicher Schaulustiger auf sich. Das überraschende Shooting diente Angela Liebichs Fotokunstprojekt „Fantastisches Leipzig“. Die Kamera-Künstlerin ist für ihre surreal inszenierten Stadtarchitekturbilder bekannt. Sie studierte von 1989 bis 1991 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst. Ihr Credo: „Ich möchte Leipzig mit seinen Passagen, Industriebauten und Kanälen, mit seinen reich geschmückten Fassaden und spannenden Innenräumen zu einer sinnenfreudigen Bühne machen.“ Als die Eislaufprinzessinnen für den LVZ-Fotografen dann noch fix ein paar Pirouetten drehten, brandete spontan Beifall auf. Angela Liebich nahm’s erst schmunzelnd zur Kenntnis, um hiernach zur Eile zu mahnen. „Mädels, ich möchte nicht, dass Ihr hier erfriert.“ Zu den Zaungästen von „Holiday On Ice light“ gehörte Jeannette Kist, die das Szenario mit ihrem Smartphone festhielt. Für die 43-Jährige war das Winter-Märchen des Wochenendes ein Lichtblick in der nicht immer leicht zu ertragenden Pandemie. „Jetzt, wo wir nicht in irgendwelche idyllischen Wintersportorte dürfen, kommen Schnee und Eis halt zu uns“, konstatierte sie. In den zurückliegenden Tagen habe sie sich ausgiebigst an der frischen Luft aufgehalten und sehr viel bewegt. „Erst auf Langlaufski an unserem See und in der Neuen Harth, nun auf Schlittschuhen auf dem Kanal“, schilderte die Markkleebergerin. „Dieser Winter hat mein Herz erfreut.“ Sehr wahrscheinlich verabschiedet er sich in Kürze, dieser Wahnsinnswinter samt Kaiserwetter. In der Nacht zum Dienstag setzt regnerisches Tauwetter ein. Tiefausläufer aus dem deutschen Westen tragen allmählich mildere Luft nach Leipzig. Am 16. Februar liegen die Temperaturen noch leicht unter dem Gefrierpunkt. Aber ab Mittwoch steigt das Thermometer kontinuierlich. Weitere Niederschläge setzen ein – und das Tauen beginnt. Schon am nächsten Wochenende rechnen Meteorologen mit zweistelligen Grad-Werten – im Plus-Bereich. Wer Anfang der neuen Woche noch mal aufs Eis will, sollte sich das gut überlegen. Bereits am Sonntagmorgen brach eine Frau in der Nähe der Lützner Straße in den Kanal ein. Sie kam mit dem Schrecken davon. Und mit nassen Füßen. Von Dominic Welters