Kerry Brauer über den Tag der offenen Hochschultür

Beim jährlichen sachsenweiten Tag der offenen Hochschultür bleiben die Pforten den Elft- und Zwölftklässlern wegen der Pandemie dieses Jahr zwar verschlossen. Aber die Bildungseinrichtungen öffnen dafür am Donnerstag virtuelle Räume. Die Leipziger Berufsakademie beispielsweise richtet vier Chatrooms ein, in denen sich die jungen Menschen miteinander und mit den Professoren austauschen können. Im Interview erklärt Direktorin Kerry Brauer, welche Erfahrungen ihre Kollegen und sie bei zwei digitalen Informationstagen im vergangenen Corona-Jahr gesammelt haben. Was haben Sie aus Ihren virtuellen Info-Tagen im März und November gelernt? Uns hat überrascht, dass die jungen Leute offenbar lieber ohne Bild telefonieren. In unseren Chaträumen schalteten die meisten Schüler ihre Kameras aus. Die einzigen, die zu sehen waren, waren wir (lacht). Wir hatten auch gehofft, stärker ins Gespräch zu kommen. Aber offensichtlich ist die Hemmschwelle, Fragen zu stellen, virtuell etwas größer, als wenn man sich gegenübersteht. Daher wollen wir diesmal mehr Informationen bereits in den Präsentationen liefern. Natürlich wird es im Anschluss die Möglichkeit zum Gespräch geben. In drei Chatrooms stehen die Leiter unserer Studiengänge bereit, in einem vierten zwei Studierende. Im Wintersemester über Soll immatrikuliert: Wie groß ist an einem solchen Tag die Konkurrenz der übrigen Leipziger Hochschulen? Die digitale Variante hat hier vielleicht sogar einen Vorteil: Die Abiturienten mussten sich sonst für maximal zwei Standorte entscheiden, zu denen sie an einem Tag fahren konnten. Jetzt können sie überall mal reinschauen. Unabhängig vom Tag der offenen Hochschultür finde ich aber, dass wir uns eher gegenseitig ergänzen, als Konkurrenten zu sein. Wir sprechen unterschiedliche Zielgruppen an. Die Universität bietet ein eher theoretisches Studium an, und das in weitaus mehr Fächern. Bei uns ist das duale Studium das Charakteristische: Ein Semester teilt sich in ein Vierteljahr Theorie und ein Vierteljahr Praxis in einem Partnerunternehmen. Zwischen beiden Angeboten liegt die HTWK. Mit beiden haben wir übrigens Kooperationsverträge geschlossen. Am jährlichen Tag der offenen Hochschultür drücken die Elft-und Zwölfklässler in Sachsen im Januar traditionell nicht die Schulbank, sondern informieren sich über verschiedene Möglichkeiten des Studiums. 2021 präsentieren die Leipziger Hochschulen ihre Angebote wegen der Corona-Pandemie allerdings am 14. Januar nur aus der Ferne. Die Universität Leipzig berät von 9 bis 15 Uhr am Telefon. Die Nummern werden Donnerstagfrüh online veröffentlicht. Die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) stellt ihre Studiengänge zwischen 9 und 14 Uhr auf ihrer Internetseite in 45-minütigen Live-Schalten vor, die zu jeder vollen Stunde beginnen, darunter Schnupper-Vorlesungen, Workshops und Fragerunden mit Studierenden. Die Hochschule für Musik und Theater informiert zwischen 8.30 und 11.30 Uhr in Zoom-Konferenzen. Auf ihrer Website öffnet auch die Hochschule für Grafik und Buchkunst zwischen 10 und 17 Uhr mehrere virtuelle Räume. Zusätzlich werden Fragen zwischen 10 und 12 sowie 13.30 und 16 Uhr telefonisch beantwortet. Um 14 Uhr beginnt ein künstlerisches Live-Programm. Die Leipziger Berufsakademie öffnet zwischen 9 und 13 Uhr in zwei Durchläufen vier Chaträume. Leidet das Interesse, ein Studium an der Berufsakademie zu beginnen, unter Corona? Das kann ich für unseren Standort nicht feststellen. Service Engineering, Informatik, Vermögensmanagement, Controlling/Finance, Immobilienwirtschaft, Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung – das sind alles Berufsfelder, die nicht unter der Pandemie leiden. Wir haben im Wintersemester über unser Soll hinaus immatrikuliert. In Leipzig haben wir dagegen sogar eine neue Vertiefungsmöglichkeit im Studiengang Vermögensmanagement eingeführt: Smart Business. Schnittstelle zwischen Betriebswirtschaft und Informatik: Weil digitale Geschäfte in pandemischen Zeiten florieren? Die Idee hatten wir schon vor zwei, drei Jahren. Auch vor Corona war jedem bewusst, dass das Thema Digitalisierung in allen Branchen und Unternehmensbereichen eine große Rolle spielt. Im fünften und sechsten Semester können unsere Studenten sich darauf ab sofort spezialisieren. Wir denken dabei insbesondere an die kleinen und mittelständischen Unternehmen, wie sie für die sächsische Wirtschaft charakteristisch sind. Große Konzerne haben eigene IT-Abteilungen, aber im Mittelstand fehlt oft jemand an der Schnittstelle zwischen Informatik auf der einen Seite und Rechnungswesen, Marketing, Personal auf der anderen. Wir wollen Fachleute ausbilden, die als Moderator oder Navigator zum Einsatz kommen können, weil sie sich auch mit Informationstechnologie auskennen. Professorin Kerry Brauer ist seit 2014 Direktorin der Staatlichen Studienakademie Leipzig, die zu den sieben Standorten der Berufsakademie (BA) Sachsen gehört. Seit 2017 ist sie zusätzlich deren stellvertretende Präsidentin. Rund 5000 Studierende sind für ein dreijähriges Studium an der Berufsakademie eingeschrieben, etwa 600 davon in Leipzig. Brauer ist in Leipzig geboren und aufgewachsen. Sie hat an der Universität Leipzig Wirtschaftswissenschaften studiert und darin promoviert sowie habilitiert. Nach Forschungen über Geld und Währung arbeitete sie bei einer Bank in der Immobilienprojektentwicklung und baute ab 1996 an der BA die Studienrichtung Immobilienwirtschaft auf. Sie ist Autorin des Standardwerks „ Grundlagen der Immobilienwirtschaft “, das bereits in zehn Auflagen erschienen ist. Kerry Brauer hat eine erwachsene Tochter und lebt mit ihrem Mann in Leipzig. Corona hat die Digitalisierung auch in der Lehre vorangetrieben. Was wird davon bleiben? Vor allem für Konsultationen während der Praxisphasen wird die Online-Variante nach Corona eine Alternative bleiben. Zwar arbeiten die meisten unserer Studierenden in Sachsen, aber wir haben auch Partnerfirmen in Hamburg und München. Wir haben sogar die Voraussetzung dafür geschaffen, dass sich die Studenten untereinander in virtuellen Räumen treffen können, um gemeinsam an Projekten zu arbeiten. Dennoch bin ich mehr denn je davon überzeugt, dass sich die ganz normale Vorlesung, das ganz normale Seminar nicht ersetzen lassen. Da wird die Online-Übertragung allenfalls ein Zusatz sein. Die unmittelbare Interaktion, auch nur das kurze Gespräch im Korridor oder eine Rücksprache nach Seminarende – das alles fehlt uns momentan sehr. Der direkte Austausch ist wesentlich mehr wert als jeder virtuelle Kontakt. Den jetzigen Abi-Jahrgang trifft es am härtesten: Das spüren auch die jetzigen Abiturienten. Sie werden im Herbst vielleicht weniger gut aufs Studium vorbereitet sein als ihre Vorgänger. Werden Sie darauf Rücksicht nehmen? Den kommenden Jahrgang trifft es noch härter als den letzten. Das haben uns die Lehrer und unsere neuen Studenten bestätigt. Sie waren mit den Stoff weitgehend durch, als der erste Lockdown kam. Aber für die diesjährigen Abiturienten ist es wirklich problematisch. Vielleicht müssen wir mehr freiwillige Vorkurse anbieten. Das machen ja alle Hochschulen schon seit Jahren, und wir wurden damit auch vor Corona bereits überrannt. Von Mathias Wöbking