Kritik von Leipziger Ärztin: Warum kommt das Impfen so schleppend in die Gänge?

Als Kerstin Hohdorf kurz vor Weihnachten aus den Medien erfuhr, dass in Pflegeheimen Fachpersonal für die Corona-Tests bei den Besuchern fehlte, bot die Leipziger Ärztin sofort ehrenamtliche Hilfe an. Tatsächlich war sie vom 24. bis 26. Dezember täglich im Test-Einsatz – vor allem im Alten- und Pflegeheim an der Grünauer Allee. Am 3. Januar – einem Sonntag – rief dann der Heimleiter an und fragte, ob sie vielleicht selbst beim Impfen der 130 stationären Bewohner helfen würde. Hohdorf zögerte nicht, obwohl der Termin am 5. Januar zufällig ihr Geburtstag war. Laut Biontech/Pfizer ist genug Impfstoff da: „In Leipzig sind wirklich viele meiner Kolleginnen und Kollegen bereit, unkompliziert und ehrenamtlich zu helfen“, sagt die promovierte Fachärztin. Sie betreibt seit über 20 Jahren eine Praxis für Nuklearmedizin auf dem Gelände des Klinikums St. Georg. „Deshalb verstehe ich nicht, warum das Impfen in Sachsen so schleppend in die Gänge kommt.“ Soeben habe sie beim Vakzin-Hersteller Biontech/Pfizer wegen einiger Fachfragen angerufen. Dort sei ihr zur bisher sehr niedrigen Impfquote in Sachsen gesagt worden: „Wir verstehen das auch nicht. Impfstoff ist eigentlich genug da.“ Obwohl alle Bundesländer pro Kopf die gleiche Menge an Vakzin bekommen, waren in Sachsen bis Anfang dieser Woche erst etwa 0,5 Prozent der Einwohner geimpft. In Sachsen-Anhalt lag die Quote doppelt so hoch, in Mecklenburg-Vorpommern sogar dreimal so hoch. Keine konkrete Antwort von der KVS: Bei allem Verständnis für die schwierige Situation in einer Pandemie glaubt Hohdorf, dass auch organisatorische Mängel zu dieser roten Laterne führten. Gleich nach einem Aufruf der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen (KVS) habe sie am 21. Dezember per Mail etliche Termine für Impfeinsätze angeboten. „Bis heute gab es keine konkrete Reaktion. Nur den Hinweis, ich solle mich in einem Extra-Portal für Impfhelfer anmelden. Dabei hat die KVS längst alle meine Daten und ruft mich auch sonst an, wenn kurzfristig Ersatz für einen ärztlichen Bereitschaftsdienst gebraucht wird.“ Nach der Anmeldung auf dem Impfhelfer-Portal habe sie aber nur einen allgemeinen Rundbrief erhalten: Man möge sich bitte gedulden, weil die KVS erst die weit über 2500 Bewerbungen sichten müsse. Auch Hausärzte sollten helfen dürfen: Alles andere als effektiv sei auch, dass niedergelassene Hausärzte in Sachsen erst ab Mitte 2021 ins Impfgeschehen einbezogen werden sollen. „Bei einem positiven Schnelltest gehen die meisten Patienten zum Hausarzt, um den exakteren PCR-Test durchzuführen. Ob HNO, Augenärzte, Kieferchirurgen, Pulmologen – viele niedergelassene Ärzte und deren Praxisteams stehen unter einem hohen Ansteckungsrisiko.“ Deshalb sei ihr unverständlich, warum die KVS keine Corona-Schutzimpfungen für ihre Mitglieder anbiete – anders als jede Klinik für ihr medizinisches Personal oder die Kassenzahnärztliche Vereinigung Sachsen für die Zahnärzte. Die Stadtratsfraktion der Linken verlangt mehr Transparenz und Aufklärung der Einwohner über die nächsten Schritte bei der Impfkampagne gegen Corona. Die aktuell chaotischen Zustände bei der Terminvergabe in Sachsen dürften sich nicht wiederholen, so der gesundheitspolitische Sprecher Volker Külow. „Viele Beschäftigte im Leipziger Gesundheitswesen engagieren sich aufopferungsvoll, damit die Pandemieabwehr schnellstmöglich in Gang kommt“, erklärte Külow. Um sie zu unterstützen, habe die Fraktion eine Anfrage für die nächste Ratssitzung am 20. Januar eingereicht. In insgesamt neun Teilfragen gehe es um Auskünfte zu den Impfkapazitäten und personellen Ressourcen in Leipzig. „Wichtig ist uns besonders die Frage, wann und wie vor allem ältere Menschen, die oft über keinen Internetanschluss verfügen, zu ihrem Termin kommen“, so Fraktionschef Sören Pellmann. Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Landtagsfraktion der Linken, Susanne Schaper, übte Kritik. In Sachsen lebten mehr als 400.000 Menschen, die über 80 Jahre alt sind – viele davon nicht in Pflegeheimen. Nur die wenigsten von ihnen seien in der Lage, sich selbstständig bei den gegenwärtigen Angeboten des Freistaates einen Impftermin zu sichern. Sie bräuchten dabei Unterstützung. jr Dass die beiden bis jetzt verfügbaren Impfstoffe besonderen Kühlketten unterliegen, lässt die mit Nano-Teilchen bestens vertraute Nuklearmedizinerin als Begründung hierfür nicht gelten. „Man könnte zum Beispiel eine der Impfstrecken auf der Messe mit entsprechender Technik ausstatten und zur Belegung durch Hausärzte reservieren. Denn sie haben den besten Überblick, welche ihrer Patienten in der aktuellen Prioritätengruppe an der Reihe sind. Das würde betagte, demente oder sehschwache Patienten entlasten, ebenso das offizielle Termin-Buchungsportal im Internet.“ Direktversorgung für große Wohnanlagen: Hohdorf wünscht sich auch mehr mobile Impfteams, die Einrichtungen zum Betreuten Wohnen oder sonstige Anlagen mit hohem Seniorenanteil versorgen könnten: etwa den LWB-Block an der Lene-Voigt-Straße mit 800 Wohnungen. „Warum hat die Stadt Leipzig noch kein Angebot zur Impfbegleitung, das auch bei der Terminvergabe hilft? Wir müssen schnell handeln, auch mal unkonventionell denken, um mehr Leben zu retten“, fordert sie. Lesen Sie dazu auch: Besuch im Impfzentrum: DRK versorgt jetzt schon jeden Tag 500 Leipziger Corona in Leipzig: Todeszahlen steigen dramatisch an Impfstau in Sachsen: DRK schaltet Info-Hotline – 9000 Termine vergeben So klappt es mit dem Corona-Impftermin: Antworten zum aktuellen Stand der Kampagne in Sachsen Von Jens Rometsch