Leipzig-Plagwitz: Das Westwerk wird zum Mekka der Schnaps-Gourmets

Mit 50 kommen Männer in ein komisches Alter. Die einen schaffen sich ein Donnerbike an, um der Coolness ihrer Jugend nachzurasen. Andere legen plötzlich Jahrzehnte Altersunterschied zwischen sich und die neue Gefährtin. Frank Förster eröffnet am 1. Oktober eine Bar, in der ausschließlich Flüssigkeiten offeriert werden, die er auch selber mit Genuss trinken würde. Gut, das machen viele. Aber Frank Förster tut es nicht im Hobbykeller seines Einfamilienhauses, sondern öffentlich im Plagwitzer Westwerk. Morbider Charme, alte Lampen, große Fabrik-Fenster: Das neue Mekka der Leipziger Schnaps-Gourmets heißt „Stallwache“, der Name erinnert an die lange Geschichte des Westwerks. Die begann als in den 1870ern als Endstelle und Depot der 2. Leipziger Pferdebahn. Hier waren 254 Pferde auf zwei Etagen untergebracht. In der DDR war der VEB Industriearmaturen im erweiterten Komplex ansässig. In dessen ehemaligem Meisterbüro über den Köpfen der Malocher richtete Förster seine private Vorstellung vom Paradies ein. Erhalten blieben der morbide Charme, die alten Lampen und die großen Fabrik-Fenster mit ihrem schönen Blick auf die Halle. An der Bar (natürlich komplett handmade) wird bis auf die beiden Biere keine einzige Getränke-Marke angeboten, die in irgendeinem Supermarktregal zu finden ist, verspricht der Chef mit großem Ernst. Selbst der Vermouth – aktuell auf dem Weg von der Unterschichtendröhnung zum Zeitgeist-Tropfen – wird in kleinen Manufakturen gemischt. Den Shaker in der Stallwache schüttelt Schmo, dessen freundliches Gesicht den Nachtleben-Connaisseurs dieser Stadt aus einer ganzen Reihe einschlägiger Lokalitäten hinlänglich bekannt sein dürfte. Wer Hunger hat, knabbert Nüsse, was Gesundes mit Vitaminen gibt´s auch: „Bloody Mary“. Drähte in weißrussische Privatbrennerei: Förster kennt sich im speziellen Markt der Craft-Destillate sehr gut aus, seit Jahren ist er Generalvertreter von „Bulbash“, dem Premium-Vodka aus einer weißrussischen Privatbrennerei. Er heißt also eigentlich: „Бульбашъ“ (die beiden Weichheitszeichen sind wichtig, sie sagen viel über den Geschmack aus). Nicht nur seine Frau stammt aus Belarus, er hat auch viele Freunde da. Was derzeit dort passiert, kommt für ihn natürlich zur Unzeit. Das Bangen, ob sie in und um Minsk bis zum Sieg über den Autokraten durchhalten werden und dass es dabei keine Todesopfer geben möge, beschäftigt ihn täglich, darüber darf hier auch diskutiert werden. Geistige Getränke und Genüsse: Denn ohnehin wird es in der Stallwache nicht nur geistige Getränke, sondern auch ebensolche Genüsse geben: Die Sache ist als Kulturkneipe geplant. Darauf deuten bereits die beiden schönen Ölbilder des Leipziger Surrealisten Sebastian Gahntz hin. Trotz des begrenzten Platzangebots – viel mehr als 30 Menschen passen nicht rein – wird es von Beginn an regelmäßig Konzerte, Lesungen und Diskussionen geben. Förster hat Zugang zur Szene, er ist schon lange Tourbegleiter von Leipzigs Post-Punk-Legende „Die Art“ und mit den diversen Nebenprojekten des reichlich umtriebigen Sängers Makarios bestens vertraut. Am 30. Oktober wird der kulturelle Reigen mit dessen Projekt „Goldeck“ eröffnet. Sonntags ist ein regelmäßiger Kulturfrühschoppen mit illustren Gästen an der Schnapsbar geplant, der Donnerstag wird Lesungen vorbehalten sein. In der Pipeline ist bereits ein Termin mit Frank „Pichelstein“ Bröker, dem intimen Kenner der Leipziger Eishockeyszene – da ist ja derzeit einiges in Bewegung. Dazu einen eisgekühlten Бульбашъ? Ganz falsch: Guten Vodka trinkt der Kenner zimmerwarm. Lars Schmidt Stallwache im Westwerk (Plagwitz). Eröffnung am 1. Oktober. Die nächsten Konzerte: 30. Oktober – Goldeck, 13. November – Conny Cocker, 11. Dezember – Die Art (Kammervariante). Von Lars Schmidt