Ur-Connewitzer im Porträt: Abo Alsleben, der ewige Rotzlöffel

Im Biergarten von Frau Krause hebt sich weiter hinten eine grüßende Hand, später kommt eine Bekannte kurz an den Tisch oder ein Freund klopft ihm im Vorbeigehen auf die Schulter. Trifft man André „Abo“ Alsleben in seinem Kiez, bekommt das Gespräch regelmäßig kurze Zäsuren. Das ist einkalkuliert, schließlich geht es genau um das Leben in diesem Connewitz, mit dem der Leipziger seit Jahrzehnten verbunden ist, das er liebt und das ihn zu immer neuer Kreativität anzustacheln scheint. Abo Alsleben ist ein ungewöhnlicher Typ. Ein Sendungsbewusster, der mit ständig nachwachsenden Projekten Öffentlichkeit sucht und sich dennoch nicht der Profilierungssucht verdächtig macht. Weil er sich der Showpose nur bedient, um sie zu karikieren. Denn vor allem geht es dem 52-Jährigen um Botschaften, Haltung, Abbildung, Bewahrung. Deshalb organisiert er Kultur-Aktionen in Connewitz, deshalb schreibt er Geschichten, macht Musik oder malt Bilder. Gegen Henry Maske geboxt: Den im Stadtteil Schönefeld Geborenen prägen zunächst einige Jahre in Halle, wo er das Abitur macht und als 13-Jähriger mit dem Boxsport beim SC Chemie beginnt – „eine Eliteschmiede, die körperliche Quälerei abverlangte“, sagt er. 1986 tritt er bei den DDR-Meisterschaften im Boxen an, unter anderem gegen den damaligen Vize-Weltmeister Henry Maske. Er verliert, sichert sich aber die Bronzemedaille. Das Ende der Armee-Zeit bei den Flugabwehrraketentruppen in Dranske fällt mit der Friedlichen Revolution zusammen. Alsleben kehrt zurück nach Leipzig, den Kopf voller Aufbruchstimmung, Heavy Metal und Plänen für ein eigenes Underground-Fanzine. Für das nimmt er Kontakt zur Black-Metal-Band Mayhem auf. Wie er kurz darauf zum Konzertveranstalter mutiert und die Norweger in die Noch-DDR holt, steht in Alslebens jüngstem Buch „Mayhem live in Leipzig“ – ein Werk voller haarsträubender bis berührender Geschichten wie auch wertvolles Abbild vom Connewitzer Lebensgefühl in den frühen 1990ern, das bestimmt war von Hausbesetzungen, Nazi-Angriffen und anarchischem Denken. „Eine intensive, prägende Zeit“, sagt er rückblickend. Neben seinem Journalistik- und Geschichts-Studium organisiert er zahlreiche Konzerte in der Stö, dem Zoro oder im Eiskeller, dem späteren Conne Island. Ziemlich schnell kristallisiert sich heraus, dass das Stetige, das beruflich Sesshafte sich nicht mit der eigenen Daseinsphilosophie verträgt. Von Job zu Job: Abo probiert das Leben an wie Klamotten. Er hangelt sich von Job zu Job, arbeitet mal in der Altenpflege, mal als Werbetexter oder beim Solarbau. Dazwischen kreiert er das jährlich steigende Trash’n’Kult-Festival, die Freaks-Olympiade, Talkshows, ist Connewitz-Stadtführer, mischt mit der Punkband S.U.F.F. und dem Internationalen Rotzlöffeltum die Konventionen auf und schreibt Bücher. Oder betreibt plötzlich drei Jahre lang einen Campingplatz im hessischen Hünfeld. So turbulent dieser Kurs sein mag, es gibt auch Konstanten in der Vita. Seit 27 Jahren ist Alsleben mit der Mutter seiner 19-jährigen Tochter Annika und seines Sohnes Anton (21) zusammen; seit fünf Jahren arbeitet er als Hort-Erzieher, und er ist Kleingartenbesitzer. Natürlich in Connewitz, dem Stadtteil, mit dem seine soziale DNA verwoben ist. Nein-Sagen gegen Nazis, Auflehnen gegen Gentrifizierung, Engagement für Geflüchtete – „das sind Werte, für die wir stehen“, sagt er. Natürlich macht sich auch hier der städtebauliche Wandel zunehmend bemerkbar, „doch der Geist und das Flair von Connewitz sind geblieben“. Gegen pauschale Urteile: Das oft aufgerufene Image als Hochburg der Linksradikalen belächelt Alsleben wegen seiner Pauschalität; doch beim Thema Konfrontationen mit der Polizei wird er ernst. „ Ein Silvester wie letztes Jahr darf sich nicht wiederholen“, betont Alsleben. „Wenn die Bevölkerung mit Extremisten in einen Topf geworfen und von Beamten angegangen wird, verhärten sich die Fronten. Das muss sich ändern.“ Die für ihn beste Deeskalationstaktik? „Weniger martialisches Auftreten einerseits und von der Bevölkerung Zivilcourage gegenüber den Krawallmachern“, schlägt er vor. Spontan kommt dann so ein typischer Alsleben-Einwurf: „Die Polizei sollte Connewitz ein cooles Feuerwerk spendieren und Blumen verteilen, dann bleibt es friedlich“, sagt er und legt sein hintersinniges Grinsen auf. Ein Abo auf Veränderung: Wenn Abo Alsleben Ideen wie diese raushaut, kann man nie wissen, ob dem nicht mal etwas folgt – vielleicht ein Song oder ein Buch oder ein Bild. Oder irgendwas Neues, Verrücktes. Denn dieser Typ bleibt ein Querdenker, ein Bengel und Rotzlöffel, ein Kreativer. Das Leben als Abo ist ein Abo auf Veränderung. PS: Das Buch „Mayhem live in Leipzig – Wie ich den Black Metal nach Ostdeutschland brachte“ ist im Bookra-Verlag erschienen (20 Euro). Die Release-Party zum neuen Album der Band S.U.F.F. ist für den 10. Oktober im UT Connewitz geplant. Und: Mayhem spielen am 26. November im Felsenkeller. Von Mark Daniel

Leipzig - Ur-Connewitzer im Porträt: Abo Alsleben, der ewige Rotzlöffel