Leipziger Forscher prognostizieren dritte Corona-Welle in Sachsen

Sachsen steht vor dem Beginn einer dritten Corona-Welle. Das geht aus den Prognosen des Forschungsteams um den Epidemiologen Professor Markus Scholz (Universität Leipzig) hervor. Wie es in dem am Dienstag veröffentlichen Bericht der Wissenschaftler heißt, sei auch im aktuellen Lockdown ein erneuter Anstieg der Infektionen sehr wahrscheinlich. Sollte die Landesregierung weitere Lockerungen ermöglichen, ohne dass diese durch andere Maßnahmen kompensiert werden, müsse von einem noch stärken Anstieg ausgegangen werden. Der erneute Ausbruch sei auf die fortschreitenden Ausbreitung der Corona-Mutation B.1.1.7, zurückzuführen, sagen die Forscher und drängen auf eine flächendeckende Erfassung. Jene war im vergangenen Jahr erstmals in Großbritannien analysiert worden und tritt inzwischen auch zunehmend in Sachsen auf. „Aufgrund der sich ausbreitenden britischen Variante gehen wir von einem baldigen Ende des bisherigen Abwärtstrends aus. Nach einer Plateauphase, in der wir uns möglicherweise bereits befinden, rechnen wir mit einem Wiederanstieg – selbst bei Beibehaltung aller Maßnahmen“, so Studienleiter Scholz gegenüber der LVZ. Laut der Prognosen seines Teams sei Ende März oder Anfang April mit der dritte Corona-Welle im Freistaat zu rechnen. Ähnliche Dynamiken wurden bereits in anderen Ländern beobachtet – und konnten beispielsweise in Israel und Großbritannien nur durch vergleichsweise harte Restriktionen und zügige Impfkampagnen kontrolliert werden. In Sachsen kann davon bisher noch keine Rede sein. Die Zahl der Betroffenen unter den 80-Jährigen und älter sei immer noch sehr hoch, heißt es in der Studie. Bei der Durchimpfung der besonders gefährdeten Gruppen, insbesondere in den Pflegeheimen, liege der Freistaat auch im Bundesvergleich deutlich zurück. „Dieser Rückstand muss aufgeholt werden“, sagt Scholz und macht sich angesichts von bereits geöffneten Grundschulen und Kitas auch für zeitnahe Impfungen von Lehrern und Erziehern stark. Sorge bereitet den Wissenschaftlern zudem die Auswertung von Mobilfunkdaten, die eine Zunahme der Mobilität im Freistaat erkennen lassen. Das führt zwangsläufig auch zu mehr Kontakten. Coronavirus: Aktuelle Infektionslage in Sachsen, Leipzig und Deutschland Bei 30 Prozent Mutationen steigt die Inzidenz auf 200: In ihrer Simulationen verwenden die Leipziger Forscher Infektionsdaten aus Sachsen, orientieren sich bei den vorausblickenden Berechnungen aber auch an den Erfahrungen aus den anderen Ländern. Wie hoch die Werte nun tatsächlich wieder steigen werden, hänge maßgeblich von der Ausbreitung der Mutationen ab. Das Team von Markus Scholz hat dafür drei Szenarien erarbeitet: Bleibt der Anteil bei zehn Prozent, könnte sich die Inzidenz sogar bei 35 einpendeln. Dies betrachten die Forscher aber als unwahrscheinlich. In allen anderen Fällen steigen die Werte an: Sind 20 Prozent der Betroffenen bereits mit Mutationen infiziert, wird die Kurve nach dem zwischenzeitlichen Stagnieren wieder auf über 70 angestiegen sein. Erhöht sich der Anteil der Mutationen unter den Viren auf 30 Prozent, gehe der Trend bis Ende März in Richtung der Inzidenz von 200, so die Prognosen. Laut Schätzungen des Robert-Koch-Instituts vom vergangenen Donnerstag liegt der Anteil der Corona-Variante B.1.1.7 derzeit bundesweit bei etwa 22 Prozent. Verlässliche Zahlen für die Situation in ganz Sachsen gibt es nicht, aus dem Labor des Universitätsklinikums Leipzig hieß es zuletzt, dort werde in etwa jedem zehnten positiven Test die britische Mutation gefunden. Im benachbarten Tschechien ging man derweil schon von mehr als 50 Prozent mit Corona-Variationen aus, ebenso in Schleswig-Holstein. Impfungen für Lehrer und regelmäßige Tests für Schüler: Spielraum für weitere Lockerungen der Schutzmaßnahmen sehen die Leipziger Forscher kaum. Sollte sich die Landesregierung dazu entschließen, müssten diese durch zusätzliche Maßnahmen begleitet werden. „Die Ausbreitung der neuen Virusvarianten ist aktuell unzureichend erfasst. Dies sollte verbessert werden, um als Entscheidungsgrundlage für lokal differenzierte Maßnahmen zu dienen“, fordert Scholz. Um die bereits erfolgten Schulöffnungen sicherer zu machen, sollten Lehrer und Erzieher vorrangig geimpft werden. „Des weiteren sollte ein begleitendes Testprogramm für Schüler gefahren werden. Dies beinhaltet Reihenuntersuchungen zur Aufklärung der Dunkelziffer sowie Testen von Clustern bei Infektionsfällen, um eine Weiterverbreitung schnell zu erkennen und eindämmen zu können“, sagt der Leipziger Wissenschaftler. Die einmalige Testung von Schülern, wie sie Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) für weitere Öffnungen an Gymnasien und Oberschulen vorsieht, sei dagegen kaum ausreichend. „Voller Präsenzbetrieb ist besonders kritisch zu sehen und mit Einschränkungen nur bei Installation von Aerosolfilteranlagen oder mit Maskenpflicht sicher durchführbar“, sagt Scholz und sieht auch bei flächendeckend verfügbaren Schnell- und Selbsttests für alle Menschen große Potentiale. „Es ist beispielsweise vorstellbar, dass für bestimmte Aktivitäten negative Schnelltests als Voraussetzung eingeführt werden. Die Befähigung der Bevölkerung zur Selbsttestung könnte ebenfalls dazu beitragen, das Infektionsgeschehen einzudämmen.“ Von Matthias Puppe