Leipziger Herzzentrum: Jeder zehnte Patient ist international

25 Jahre nach seiner Gründung ist das Leipziger Herzzentrum national und international eine der ersten Adressen bei der Behandlung von komplizierten kardiologischen Krankheitsbildern. Professor Gerhard Hindricks, ärztlicher Direktor des Herzzentrums, spricht im Interview über den Ruf seiner Klinik, neue Forschungsschwerpunkte und die Situation des Pflegepersonals. Herr Professor, das Herzzentrum feiert in diesen Tagen 25. Geburtstag. Wo verorten Sie Ihre Klinik in der deutschen Kliniklandschaft? Wir nehmen bei der Behandlung von Herz- Kreislauferkrankungen eine Spitzenposition in Deutschland ein, in einigen Bereichen sind wir ganz oben. Wir sehen uns aber sowohl vom medizinischen wie auch vom wissenschaftlichen Leistungsspektrum in einem internationalen Wettbewerb mit großen Herz-Zentren in Europa und Amerika. Danach sah es bei der Gründung 1994, die vom damaligen sächsischen Regierungschef Biedenkopf mit initiiert wurde, wahrlich nicht aus. Das private Klinik-Betreibermodell mit dem Freistaat und der Kooperation mit dem Leipziger Uniklinikum war ein Novum und wurde von vielen Medizinern angezweifelt, oft sogar angefeindet... Die Gründung durch den Freistaat Sachsen und die Rhön-Klinikum-AG war zunächst aus der Not geboren. Der Standort Leipzig wollte und brauchte Spitzenmedizin im Bereich der Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Da gab es einen riesigen Nachholebedarf und die Staatskasse war leer. Also hat man sich auf dieses private Betreiber-Konstrukt geeinigt. Am Erfolg der deutschlandweit ersten universitären Aufstellung eines Privatkrankenhauses zweifelt heute niemand mehr. Viele Kliniken arbeiten nach unserem Prinzip. Wie lange ist das Modell noch festgelegt? Wir haben uns 2018 mit der Uniklinik darauf geeinigt, dass wir das Modell weiterführen, aber nach mehr als 20 Jahren an einzelnen Stellschrauben drehen. Der Kooperationsvertrag läuft jetzt bis 2028. Das Betreiber-Modell ist das eine, Erfolg hängt aber immer von Personen ab... Das stimmt natürlich. Wir sind von unseren beiden Gründungsvätern, den Professoren Friedhelm Mohr und Gerhard Schuler, in der Herzchirurgie und Kardiologie Schritt für Schritt an die Weltspitze herangeführt worden. Davon profitieren wir heute, gut zwei Jahre nach ihrer Verabschiedung, weiter stark. Für beide war es übrigens extrem wichtig, dass mit der Verlängerung des Kooperationsvertrages mit der Uniklinik auch ihr Lebenswerk fortgesetzt werden konnte. Mohr und Schuler hatten ja dank ihres Renommees dafür gesorgt, dass sich viel Prominenz aus dem arabischen Raum in Leipzig behandeln ließ. Schöner wirtschaftlicher Nebeneffekt: Großfamilien reisten im Gefolge mit an, füllten Hotels und brachten Geld in die Stadt. Kann man solche Koryphäen überhaupt ersetzen? Wir haben mit den Professoren Michael Borger und Holger Thiele Nachfolger gefunden, die fast bruchfrei an den Weltruf und die Patienten-Stämme von Mohr und Schuler anknüpfen konnten. Wir können deshalb weiter Spitzenmedizin regional, national und international anbieten. Wer darf diese Spitzenmedizin nutzen? Liegt der Fokus auf der gut zahlenden internationalen Privat-Klientel? Nein, wir sind in allererster Linie Gesundheitsversoger für die Patienten in der Region Leipzig und in Sachsen. Und das sind wir auch sehr gern. Darüber hinaus haben wir viele Patienten aus einem Umfeld bis zu 300 Kilometern, bis nach Berlin. Von unseren rund 45 000 Patienten kamen im letzten Jahr 70 Prozent aus der Leipziger Region, 20 Prozent hatten eine überregionale Herkunft und 10 Prozent eine internationale. Wie splittet sich die internationale Patientenschaft auf? Wir haben viele Patienten die aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion kommen, von Russland bis Aserbaidschan. Unsere Osteuropa-Flanke ist mit Polen und Tschechien sehr stark. Der mittlere Osten wächst auch, aber dieser arabische Raum hat traditionell eine starke Bindung zu Kliniken in London, da stehen wir in Konkurrenz. Müssen Sie überhaupt noch werben, um internationale Patienten nach Leipzig zu holen? Wir können exzellente Qualitätszahlen vorweisen, auch im internationalen Vergleich. Was heißt das konkret? Das heißt, dass wir durch unsere Konzentration auf die Herz-Kreislaufmedizin geringe bis geringste Sterblichkeits- und Komplikationsraten haben. Das, gepaart mit intensiver Innovations- und Forschungsentwicklung, wird natürlich in der Welt registriert. Es klingt sicher übertrieben, aber es ist eben so: Neue Technologien im Herz-Kreislauf-Bereich laufen weltweit über das Herzzentrum Leipzig. Als neues Forschungsvorhaben haben Sie im Frühjahr angekündigt, die Defibrillator-Therapie zu prüfen. Sie wollten dafür einen EU-Zuschlag akquirieren. Wie ist der Stand? Wir haben ihn bekommen. Ein 20-Millionen-Projekt, das ist herausragend. Es ist der größte Zuschlag, den die EU für öffentlich geförderte Einzelprojekte überhaupt vergibt. Und diese Summe geht nach Leipzig, einfach unglaublich. Wer war noch mit im Rennen? Insgesamt 60 Medizin-Projekte aus ganz Europa haben sich beworben. Es ging um dreimal 20 Millionen Euro, zuletzt waren neun Bewerber in der Endauswahl. Und in der absoluten Spitze haben wir uns dann neben zwei anderen Projekten durchgesetzt. Ich habe in der letzten Woche in Brüssel alles klargemacht, unterschrieben werden die Verträge kurz vor Weihnachten. Und dann dauert es noch ein paar Jahre, bis es mit der neuen Forschung losgeht? Nein, die EU will, dass wir am 1. Januar 2020 mit dem Projekt starten. Defibrillator-Therapie klingt für Nicht-Mediziner etwas sperrig. An was genau soll da geforscht werden? Es geht um die Erforschung des plötzlichen Herztods. Diese Zivilisationskrankheit fordert in Europa jährlich 300 000 Tote. Es ist also ein ungelöstes Problem, von dem wir lange geglaubt haben, dass es mit der flächendeckenden Implantation von Defibrillatoren (Schockgeber, d. A.) gelöst werden kann. Was war falsch daran? Wir haben lernen müssen, dass es uns heute nicht ausreichend gelingt, die Patienten mit einem hohen Risiko für den plötzliche Herztod präzise zu erkennen. Das führt dann einerseits zu einer Überbehandlung und andererseits auch zu einem fehlenden Schutz durch den Defibrillator. Eines ist für mich aber klar: Durch die flächendeckende Implantation von Defibrillatoren ist das Problem nicht zu lösen. Außerdem wäre das auch nicht bezahlbar. Die Therapie wird aber schon seit gut 25 Jahren eingesetzt... Die Zweifel daran sind uns vor fünf Jahren gekommen. Wir haben dann auch mit den Herstellern gesprochen, denn wir können keine Behandlungen vertreten, die auf Studien basieren, die 20 Jahre alt sind. Das war unser Ausgangspunkt, um uns für die EU-Förderung zu bewerben. Das Problem soll aus Patientenperspektive gelöst werden. Dafür haben wir 27 europäische Partner im Boot. Das Leipziger Herzzentrum wird nun zum Forschungszentrum für Europa im Kampf gegen den plötzlichen Herztod, das wird die Leitlinien auf der ganzen Welt beeinflussen. Was bedeutet das für die Patienten? Viele Patienten, die wir heute mit einem Defibrilator implantieren, brauchen ihn möglicherweise gar nicht. Es gibt zu viele Komplikationen. Auf der anderen Seite haben wir 80 Prozent Menschen, die vom plötzlichen Herztod bedroht sind, die aber ungeschützt sind. Deshalb wollen wir mit neuesten Analysen und Daten aus ganz Europa herausfinden, wer ein niedriges und ein hohes Risiko hat. Und dann wollen wir dementsprechend die Behandlung in ganz Europa ausrollen. Noch mal zurück zum ganz normalen Krankenhausalltag. Seit Januar gibt es gesetzliche Richtgrößen für das Pflegepersonal, die Anzahl pro Patient ist genau geregelt. Können Sie das bei Ihrer hoch komplizierten Klinik überhaupt sicherstellen? Zunächst mal: Ich schätze sehr, dass Bundesminister Jens Spahn viel ankurbelt und dass er Entscheidungen trifft. Da kommt jetzt viel in Bewegung und das ist gut so. Das Pflege-Personalgesetz trifft uns aber mit besonderer Härte und geht an der Wirklichkeit vorbei. Hier wird mit Fallzahlen operiert, die es in der Wirklichkeit nicht gibt. Wir haben generell einen eklatanten Mangel an Pflegekräften. Andere Kliniken in Sachsen müssen schon Betten sperren und Stationen runterfahren. Wie ist die Situation im Herzzentrum? Auch bei uns waren Anpassungen in einzelnen Bereichen notwendig. Wir wissen, wie wichtig unser Pflegepersonal ist und wollen viel dafür tun, dass sie das Herzzentrum als Arbeitsort schätzen. Dazu gehören eine zwölfprozentige Lohnsteigerung, die wir im Frühjahr verhandelt haben, genauso wie weiche Faktoren. Deshalb wollen wir jetzt auch eine betriebseigene Kita bauen und betreiben. Von André Böhmer

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