Leipziger Impfexperte: „Impfstoff gegen Coronavirus braucht zwei bis drei Jahre“

Professor Dr. Michael Borte (67) empfiehlt allen Menschen über 60 Jahre, sich gegen Pneumokokken und Grippe impfen zu lassen. Der Leipziger Infektionsmediziner leitet am Samstag zusammen mit Prof. Dr. Volker Schuster (65) den 24. Sächsischen Impftag in Leipzig. Herr Prof. Dr. Borte, auf dem Sächsischen Impftag kommen Sie doch an der Lungenerkrankung Covid-19 gar nicht vorbei, oder? Natürlich, ein großes Thema ist die Rückkehr der Seuchen, da geht es nicht nur um Ebola, sondern vor allem um das Coronavirus. Die WHO hat das ja inzwischen als Pandemie, also als übergreifende Seuche, eingestuft. Wie schlimm es Deutschland noch treffen wird, kann derzeit keiner sagen. Aber wir wollen die Debatte ein bisschen versachlichen. Was ist unsachlich? Na, die Meinungen der Mediziner gehen da schon sehr auseinander. Meinen Sie so etwas wie die Empfehlung des Berliner Virologen Christian Drosten, dass sich Großeltern und Enkelkinder am besten bis September oder Oktober nicht mehr treffen sollten, um Oma und Opa vor dem Coronavirus zu schützen? Das halte ich für übertrieben. Ich werde meine beiden Enkelkinder auch weiterhin treffen. Jeder weiß um die Gefahren und auch um die simpelsten Hygienemaßnahmen wie das gründliche Händewaschen. Wer Erkältungssymptome hat, muss das natürlich erst einmal abklären lassen. Halten Sie als erfahrener Infektionsmediziner Maßnahmen wie Veranstaltungsabsagen für übertrieben? Da muss ich sagen: Sachsen und auch Leipzig haben bisher mit gutem Augenmaß entschieden. Dass jetzt Veranstaltungen mit über 1000 Personen abgesagt wurden, halte ich für richtig. Auch die Buchmesse zu streichen, war aus epidemiologischer Sicht die richtige Entscheidung. Bis zum Coronaimpfstoff wird es dauern: Wann wird es einen Impfstoff gegen das Coronavirus geben? Das wird dauern. Die Impfstoffentwicklung dauert mindestens 12 bis 18 Monate. Danach müssen Zulassungsstudien gemacht werden, die nachweisen, dass der Impfstoff auch sicher und wirksam ist. Ich rechne mit einem Zeitfenster von 24 bis 36 Monaten, also zwei bis drei Jahren. Umso wichtiger ist aber, die Bürgerinnen und Bürger darauf hinzuweisen, dass es gegen andere hochansteckende Viruserkrankungen wie die Influenza gute und sichere Impfstoffe gibt. Und leider liegt die Durchimpfungsrate nur bei ungefähr 30 Prozent. Das ist völlig unzureichend. Was hat das für Konsequenzen, dass sich nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung gegen Grippe impfen lässt? Es erkranken immer wieder Menschen sehr schwer an Influenza, die stationär behandelt werden müssen. Und es gibt schon mehr als 20 Todesfälle in Sachsen in dieser Grippesaison. Würde sich jetzt noch eine Grippeimpfung lohnen, wo die Grippewelle abflacht? Ja, denn es gibt noch Erkrankungsspitzen von echter Influenza. Sich dagegen impfen zu lassen, macht jetzt noch Sinn. Wer sollte sich gegen Keuchhusten impfen lassen? Welche Empfehlungen der Sächsischen Impfkommission (SIKO), der Sie angehören, gibt es? Wir haben da sehr weitreichende Impfempfehlungen, die über jene der Ständigen Impfkommission des Robert-Koch-Institutes (STIKO) hinausgehen. Bei Keuchhusten haben wir empfohlen, auch werdende Mütter, auch wenn sie schon gegen Keuchhusten geimpft sind, während der Schwangerschaft erneut zu impfen, damit sie gute Abwehrstoffe aufbauen, die sie dem Kind mitgeben können. Zudem empfehlen wir auch, dass enge Angehörige wie Vater und Großeltern und andere Kontaktpersonen sich rechtzeitig vor der Geburt des Kindes ihren Impfschutz auffrischen lassen sollen mit einer Impfung, die die Komponente Keuchhusten enthält. Menschen über 60 sollten sich impfen lassen: Und wie sieht das mit der Impfung gegen Pneumokokken aus? Die Pneumokokkenimpfung ist gerade bei Menschen über 60 Jahre ganz wichtig. Wir empfehlen diese Impfung nach einem ganz wissenschaftlich fundierten Schema. Was heißt das konkret? Wir raten, zuerst mit dem Konjugatimpfstoff zu impfen. Denn dieser ist besser wirksam, weil er ein immunologisches Gedächtnis aufbaut. Erst danach soll die 23-valente Polysaccharid-Impfung erfolgen. Das geht über die Empfehlungen der STIKO hinaus. Diese Impfungen sind in Sachsen vorrätig und laufen schon. Im Kindesalter sind Pneumokkenimpfungen zwischen dem 3. und dem 24. Lebensmonat vorgesehen. Aber bei den über 60-Jährigen ist die Pneumokokkenimpfung noch nicht so populär. Hilft sie in diesen Corona-Zeiten? Gegen Coronaviren hilft sie nicht. Aber ich rate gerade diesem Personenkreis dringend zu dieser Impfung. Wenn jemand plötzlich eine Pneumokokkeninfektion hat, also eine bakterielle Erkrankung der oberen oder unteren Atemwege, und er bekommt noch Coronaviren obendrauf, dann ist das sehr gefährlich. Jeder Hausarzt sollte regelmäßig den Impfstatus seiner Patienten auch daraufhin überprüfen. In Sachsen gibt es jetzt die Masernimpfpflicht. Was ändert sich da? Leider gibt es immer wieder Masernfälle, daher ist die Impfung sehr wichtig. Hohe Durchimpfungsraten von über 95 Prozent schützen auch diejenigen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können. Dabei sind zwei Impfungen im Mindestabstand von 3 Monaten erforderlich. Am 14. März findet in Leipzig, im Universitätsgebäude am Augustusplatz, der 24. Sächsische Impftag statt. Infektionsspezialisten aus ganz Deutschland beraten über aktuelle Impfempfehlungen und die Entwicklung von Seuchen, auch über die Ausbreitung des Coronavirus. Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping wird die Veranstaltung mit einem Grußwort eröffnen. Auch in diesem Jahr werden zahlreiche niedergelassene Ärzte, Arbeitsmediziner und Vertreter aus dem öffentlichen Gesundheitsdienst in Leipzig erwartet. Neben Impfempfehlungen stehen Vorträge zur aktuellen Weltseuchenlage sowie zur Einführung der Masernimpfpflicht in Sachsen auf dem Programm. Auch der Umgang mit den Argumenten der Impfgegner wird in diesem Jahr ein Thema sein. Die einmal jährlich stattfindende Fortbildungsveranstaltung wird gemeinsam von Professor Dr. Michael Borte, Direktor des ImmunDefektCentrums Leipzig am Klinikum St. Georg, und Professor Dr. Volker Schuster, Leiter der Universitätskinderpoliklinik Leipzig organisiert und geleitet. Von Anita Kecke

24. Sächsischer Impftag - Leipziger Impfexperte: „Impfstoff gegen Coronavirus braucht zwei bis drei Jahre“