Leipziger Start-up Vision Period: Wie können Unternehmen die Menstruation für sich nutzen?

Ihr eigener Kinderwunsch brachte sie auf die Idee: Die Leipzigerin Fee Reinoso lernte ihren Zyklus neu kennen, nachdem sie die hormonelle Verhütung abgesetzt hatte, und merkte irgendwann: Die Menstruation birgt ein brachliegendes Potenzial, das für die Frauen selbst, aber auch für Unternehmen nutzbar gemacht werden will. Mit Startkapital hilft ihr die Bundesregierung: Im Wettbewerb „ Gesellschaft der Ideen “ des Bildungs- und Forschungsministeriums hat die 31-Jährige 12.500 Euro und ein Coaching gewonnen. Jetzt will sie ihr Start-up „ Vision Period “ gründen. Halten Sie es für merkwürdig, dass ich als Mann und Laie Sie über Menstruation und Wechseljahre befrage? Die meisten von uns sind ja selbst Laien! Die Menstruation ist nach wie vor ein Tabuthema. In der Schule wird sie in der sechsten oder siebten Klasse behandelt, aber nur sehr nüchtern-biologisch. Wie sich unterschiedliche Hormonspiegel auf Stimmung und Produktivität auswirken, kommt leider nicht vor, dabei beeinflusst das die jungen Mädchen schon sehr. Viele Menschen entwickeln eine negative Grundeinstellung gegenüber der Periode, gegenüber ihrem Körper. Sie setzen Zyklus mit Periode gleich und denken: Da ist nun mal diese eine Woche im Monat, in der mir vieles schwer fällt. Der Zyklus besteht allerdings nicht nur aus einer, sondern aus vier verschiedenen Phasen, die jeweils ihr ganz eigenes Potenzial haben. Zwar steht die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Politik und Wirtschaft vielerorts auf der Agenda. Aber als ich anfing, mich mit der Menstruation am Arbeitsplatz zu beschäftigen, konnte ich gar nicht fassen, wie wenig darüber nachgedacht wird. „Die Menstruation gilt als intim und oft sogar als ekelig“: Warum ist das so? Es liegt wohl an der Scham. Man möchte nicht gerne über die Menstruation sprechen und nichts davon hören. Sie gilt als intim und oft sogar als ekelig. Tatsächlich wird sie leider immer wieder mit dem Stuhlgang verglichen. Mädchen freuen sich selten über ihre erste Periode. Vielleicht ein wenig, weil sie dann zu den Großen gehören. Aber es wird ihnen schnell beigebracht, wie man lernt, sie zu verstecken. Wenn aber nicht einmal in der Eltern-Kind-Beziehung und einer intimen Partnerschaft über die Menstruation gesprochen wird – wie soll das Thema da Politik und Berufsleben erreichen? Wie wollen Sie das ändern? Schon allein mein Angebot soll helfen, das Tabu zu brechen. Menstruierende überspringen die erste Hürde, wenn sie mit jemand anderem als dem besten Freund oder der besten Freundin über die Periode sprechen. Es muss möglich sein am Arbeitsplatz, wo sie täglich acht oder neun Stunden verbringen, sagen zu können: „Ich kann heute nicht, weil es mir aufgrund meiner Regel nicht gut geht.“ Bisher wird eher eine Migräne vorgeschoben. Oder Schmerzmittel helfen zu funktionieren, was aber langfristig sehr ungesund ist. Nach ihrem Studiumder Anglistik und Politologie arbeitete Fee Leonie Reinoso zunächst in der Migrationsberatung. Die 31-jährige Leipzigerin hat zwei kleine Kinder. Die Elternzeit nutzte sie, um die eigene wirtschaftliche Existenzgründung vorzubereiten. Zunächst wollte sie sich mit nachhaltigem Eventmanagement selbstständig machen und Arbeitsplätze schaffen, die insbesondere für Frauen attraktiv sind. Dabei merkte sie, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zwar bei vielen Arbeitgebern auf der Agenda steht, nicht jedoch die Bedürfnisse, die mit der Menstruation zusammenhängen: Sie hatte ihr Thema gefunden. Ihr Ehemann hat kürzlich seine Arbeitsstunden reduziert, um seiner Frau die Zeit dafür zu geben. Das klassische Rollenmodell haben sie lang genug gelebt, finden die beiden. Wie lässt sich aus diesem Ziel ein Geschäft machen, von dem Sie leben können? Meine Zielgruppe besteht in erster Linie aus Firmen mit einer jungen, modernen Unternehmenskultur, die ihre Mitarbeitenden fördern wollen. Ich kann ihnen helfen, betriebliche Abläufe auf menstruelle Bedürfnisse abzustimmen. Ich habe große Lust, in der Wirtschaft was zu bewegen, mein konkretes Produkt erarbeite ich aber gerade erst. Zum Ideenpreis gehört neben dem Geld auch fachliche Unterstützung. Das Berliner U-Institut unterstützt mich ein halbes Jahr lang darin, ein detailliertes Konzept zu entwickeln. Dazu wird auch eine Marktanalyse zählen: Ich möchte Menschen in Unternehmen interviewen, um die Probleme ganz konkret zu definieren und um zu erfahren, welche Dienstleistung die beste Hilfe verspricht. Parallel hilft mir das Impact Hub Leipzig, mein Start-up zu gründen. Wie überzeugen Sie Chefs, Ihnen Geld zu geben, um ein Problem zu lösen, das sie bisher gar nicht sehen? Statistiken zeigen, dass Menstruierende bis zu dreimal produktiver sein können, nachdem sie die nötige Ruhepause genommen und Kraft geschöpft haben. Im Leistungssport nimmt man darauf schon Rücksicht. Es gibt Phasen, in denen der weibliche Körper nicht in der Lage ist, Muskulatur aufzubauen. Versucht man es trotzdem, verpufft die Energie. Daher strukturieren viele Sportlerinnen ihren Trainingsplan dementsprechend. Die Fußballerinnen der USA haben ihren Weltmeister-Titelgewinn 2016 auf ihr zyklisches Training zurückgeführt. Das müssen wir auf die Arbeitswelt übertragen: Wir sollten die Möglichkeit schaffen, eine wichtige Präsentation oder Verhandlung in die Zeit des Zyklus legen zu können, in der es leichter fällt, sich zu konzentrieren – in Phasen, in denen es Menstruierende mehr genießen, im Austausch oder Mittelpunkt zu stehen und dadurch eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit erreichen. In der Zeit um den Eisprung herum beispielsweise beobachten viele eine höhere Kommunikationsfähigkeit und mehr Selbstbewusstsein. Diese Potenziale einzukalkulieren, zahlt sich für ein Unternehmen aus. Den genauen Einfluss einer Period Policy auf die Produktivität möchte ich unbedingt noch wissenschaftlich untersuchen. „Am wichtigsten ist, die negative Grundeinstellung gegenüber dem Körper zu kippen“: Welche Strategien beinhaltet eine solche Period Policy? Dazu können flexible Arbeitszeiten, die Option von Homeoffice, zusätzliche Ruhetage oder einfach Hygieneartikel auf den Toiletten gehören. Aber auch ein Coaching, beispielsweise über menstruationsgerechte Ernährung und Bewegung. Hormone nehmen nicht nur Einfluss auf uns, auch wir können Einfluss auf sie nehmen. Die Gebärmutter ist ein kontrahierender Muskel. Wenn er mit Hilfe entsprechender Nährstoffe ordentlich durchblutet ist, während er die Schleimhaut ablöst, lassen sich Unterleibskrämpfe abmildern. Auch die richtige Bewegung kann Schmerzen lindern. Am wichtigsten ist aber, die negative Grundeinstellung gegenüber dem Körper zu kippen. Wer die Symptome versteht, hält sie besser aus: Nein, dramatische Stimmungsschwankungen offenbaren keinen schlechten Charakter, sondern nur einen veränderten Hormonspiegel. Es muss möglich werden, darüber im Betrieb offen zu sprechen. Wir haben noch gar nicht über die Wechseljahre gesprochen. Über die Wechseljahre habe ich lange Zeit selbst nie wirklich nachgedacht – bis zu einem berührenden Gespräch mit meiner Schwiegermutter. Sie hat mir bildlich beschrieben, wie sie das Gefühl hatte, dass ein Feuerball in ihr wächst. Viele Menschen erkennen die Symptome erst nach Jahren, obwohl sie oft heftig sind. Scham, Schlaflosigkeit, depressive Phasen sind keine Seltenheit. Die Wechseljahre fallen zudem oft mit der ersten Periode der Tochter zusammen. Eine breite Aufklärung über beides würde viel Unruhe aus den Familien nehmen. Man müsste also auch an die Lehrpläne der Schulen ran. Die Menstruation ist ein weites Feld. Ich bin irre passioniert, aber irgendwo muss ich anfangen. Daher will ich das Thema zuerst in der Unternehmenswelt enttabuisieren. Von Mathias Wöbking