Meister Axel Lotzmann – der In-Bäcker für das hippe Leipzig

Dieser Text handelt von meinem Bäcker, Axel Lotzmann, und muss mit einer Offenlegung beginnen: Ich finde, Lotzmann macht das beste Brot, die leckersten Brötchen. Jeden Samstag und jeden Sonntag reihe ich mich vor seinem Laden am Südplatz in die Schlange ein. Manchmal steht man da 20 Minuten, während Leipziger aus der ganzen Stadt ihre Tüten mit Cranberry-Feta-Brötchen wegtragen. So geht das schon einige Jahre und doch ist Axel Lotzmann mir ein Rätsel geblieben. Ich kenne andere gute Bäcker, in Leipzig, in Frankfurt am Main, wo ich gelebt habe. Auch dort steht man lange an, aber die Bäcker haben sich auf den Zeitgeist eingestellt. Sie haben ihre Backstuben verglast, bieten Biowaren an oder machen wenigstens ein Gewese um ihren Kaffee. Axel Lotzmann macht kein Gewese, um nichts. Als ich das erste Mal vor seinem Laden stand, hab ich gedacht, dass hier wohl früher mal ein Bäcker gewesen sein muss. Einer von denen, die aufgeben mussten, die nächste Filiale einer Bäckerei-Kette ist nur wenige hundert Meter entfernt. Bei Lotzmann bröckelt die Treppe am Eingang und statt zuckerfreier Rhabarberschorle wird Vanille- und Erdbeermilch in Flaschen verkauft. Cappuccino gibt es nicht, nur Filterkaffee. Fragt man den Bäcker, welches Brot das Beste sei, sagt er: „Das ist alles derselbe Teig.“ Wie konnte einer, an dem nichts hip ist und der sogar oft ans Aufhören denkt, zum In-Bäcker für das junge Leipzig werden? Lotzmann und sein Geselle arbeiten schnell und schweigend: Fünf Uhr morgens. In Lotzmanns Backstube liegt die letzte Ladung Sauerteig für diesen Tag, ein massiver Fladen in Mehl, vier Armlängen lang, eine Armlänge breit. Axel Lotzmann und sein Geselle arbeiten schnell und schweigend. Vom Fladen exakt so viel Teig abtrennen, wie für ein Mischbrot nötig ist - zwei Sekunden. Teig in die Waagschale werfen, ein Kilo abmessen - maximal drei Sekunden. Das Kilo kneten und zu einem Teigling walzen - zwölf Sekunden. Holzbrett mit zehn Teiglingen schultern, zum Backen tragen und, endlich, in den Ofen schieben – viele Uffs und Achs. Axel Lotzmann stellt den Ofen auf 250 Grad. Die letzten Mischbrote für heute sind in 60 Minuten fertig, ungefähr jedenfalls. In seinen Ofen passen zehn Bleche, Lotzmann schaut regelmäßig nach und wendet sie. Er könnte es einfacher haben. Hinter einer Metallwand steht ein zweiter Ofen. 18 Bleche passen da auf einmal rein, sie drehen sich automatisch, alles ginge schneller. Lotzmann könnte diesen Ofen nutzen und mehr schlafen als hier mal drei Stunden und da mal zwei. „Aber das ist trocken das Gelumpe“, sagt er, meint das Brot, das schlechter schmecke, wenn nicht jedes Blech auf einer heißen Backplatte stehe. Inzwischen hat Lotzmann den schnelleren Ofen versiegelt, er nutzt ihn nicht mehr. Sechs Filialen und 23 Angestellte: „Da rammelste dich kaputt“: Eigentlich war der Ofen mal eine Hoffnung, die Verheißung auf eine bessere Zukunft. Die Feinbäckerei Lotzmann gibt es seit 1960, gegründet haben sie Axel Lotzmanns Eltern. 1980 begann der junge Lotzmann eine Lehre als Konditor, Bäckermeister wurde er 1989, bald darauf übernahm er das Geschäft. Er expandierte, besorge den schnelleren Ofen, hatte irgendwann sechs Filialen und 23 Angestellte. „Da rammelste dich kaputt“, sagt er heute. Damals scheiterte seine erste Ehe und damit ein Lebensentwurf, den Lotzmann zugleich für das logische Geschäftsmodell eines Handwerksbäckers hält: Der Mann backt, die Frau verkauft. Heute hat Lotzmann noch vier Angestellte und zwei Filialen, die eine am Südplatz, die andere in der Beethovenstraße. Neulich kam ein Kunde und wollte zehn Mischbrote auf einmal kaufen, für seine Verwandten in der Heimat. Es sind solche Tage, an denen Lotzmann schon um drei Uhr nachmittags ein Schild ins Fenster hängt: „Ausverkauft“, und zwar alles. Google attestiert Lotzmann: Bester Bäcker der Stadt: Bäcker sein ist nicht in. Das frühe Aufstehen, der kleine Lohn, die Schufterei mit dem launischen Sauerteig und überhaupt: in jedem Supermarkt steht ein Brötchenautomat. 122 Bäckereien gibt es der Handwerkskammer Leipzig zufolge in der Stadt und den umliegenden Landkreisen. 2010 waren es noch 159 gewesen. Gleichzeitig wächst die Nachfrage nach echten und regional hergestellten Lebensmitteln. Wer sich anhört, wie Axel Lotzmanns Leben aussieht, versteht sofort, warum Bäcker-Lehrlinge trotzdem schwer zu finden sind. Lotzmann arbeitet jeden Tag, backt nachts, verkauft tagsüber. Dieses hohe Pensum ist unüblich für einen Bäckermeister, aber es ist auch der Grund dafür, dass Lotzmann irgendwann das entdeckte, was ihn heute zum Liebling seiner Kunden macht – der Studentinnen und der jungen Familienväter, die so ganz anders leben als Lotzmann selbst. „Wenn ich verkaufe, höre ich, was die Leute sagen“, sagt der Bäcker. „Dass sie jetzt vegan leben und wogegen sie allergisch sind.“ Er überlegt dann, was er backen kann. Seine Milchbrötchen sind ohne Milch, für Laktose-bewusste Eltern. Sein Brot gibt es mit Rucola-Mandel, seine Brötchen mit Pfeffer-Meersalz-Kruste. Das alles macht er so gut, dass er in den Google-Bewertungen über sich lesen kann, er sei mit großem Abstand der beste Bäcker der Stadt. „Da denk ich immer: Leute, haltet mal den Ball flach. Das ist immer noch ein Naturprodukt, da kann jeden Tag was schief gehen.“ Lesen Sie auch Berufswunsch Bäcker – was alles dazugehört Keine Kompromisse – weil es dann nicht schmeckt: Jetzt hält sich Axel Lotzmann am Griff seines Ofens fest. Er ist ein kleiner Mann mit grauen Strähnen in Haar und Bart, hat die kurze Schürze unter dem Bauch zusammengebunden und erklärt, warum er keine Kompromisse macht: Weil es dann nicht schmeckt, so einfach sei das. Der Ofen ist so ein Beispiel. Der Sauerteig ein anderes. Sauerteig, so nennen die Profis das, muss man führen. Er muss dauerhaft in Gärung gehalten werden, jeden Tag, jeden Monat, das ganze Jahr. Setzt man ihn neu an, kann alles mögliche schief gehen. Deswegen hebt Lotzmann immer einen Teil seines Sauerteiges für den nächsten Tag auf. Um 18 Uhr legt er den Rest-Teig dann das erste Mal in den Spiralkneter, eine hüfthohe Maschine mit einem Rührstab so dick wie ein Oberarm. Lotzmann gibt Mehl und Wasser dazu, im Wesentlichen. Dann wird geknetet, danach ruht der Teig. Die Prozedur wiederholt Lotzmann um 23 Uhr und um 1 Uhr. Wann der Sauerteig das erste Mal angerührt worden ist, das weiß er gar nicht mehr. Lotzmanns Vater hat das noch gemacht, 60 Jahre muss es her sein. Auch wenn der Bäcker im Urlaub ist, lässt er einen Teil des Sauerteig liegen. Wenn er wiederkommt, muss dann eben mehr Mehl ran, muss der Spiralkneter öfter laufen, dann dauert eben alles noch länger. Nach der Wende, „in dieser sinnlosen Euphorie“, wie Lotzmann es nennt, hat er eine Weile lang Sauerteig mit Fertigzutaten gebacken. „Aber traditionell gemacht, schmeckt es doch viel besser.“ Lotzmanns Brötchen kosten 50 bis 70 Cent, das Roggenmischbrot drei Euro fürs Kilo. Er hört immer wieder, dass das wenig sei, aber er hat gar keine Zeit, sich anzusehen, was die Konkurrenz so nimmt. „Solange es reicht, ist es doch gut“, sagt er. Lotzmann-Bäcker haben keinen Ruhetag: Eigentlich wollte Lotzmann überhaupt nur backen, bis er Anfang 50 ist. 57 Jahre alt ist er jetzt und sagt, er fühle sich wie 60. Seit 2011 ist er wieder verheiratet, mit einer Kubanerin. Wegen Visa-Problemen, erzählt er, könne seine Frau nicht nach Deutschland, also ist er jahrelang hingeflogen, vier Mal im Jahr für je zwei Wochen. Irgendwann hatte er davon genug, wollte auswandern, besorgte sich eine Aufenthaltsgenehmigung und ein kubanisches Konto. Dann kam Corona und die Kubaner wurden noch ärmer, als sie eh schon waren. „Ein Weizenbrot dort kostet umgerechnet drei Euro - das kann niemand kaufen, der im ganzen Monat nur 20 Euro hat“, sagt Lotzmann. Also bleibt er erstmal, will Geld sparen. Seine Kunden, die will er ohnehin nicht einmal einen Ruhetag lang alleine lassen. „Wir Bäcker hängen alle an dem bekloppten Job“, sagt Lotzmann. Um 10 Uhr an diesem Februarmorgen endet Axel Lotzmanns Backschicht. Er steigt die Treppen hoch, seine Wohnung liegt direkt über seiner Backstube. Er will jetzt was essen, „was Richtiges, nicht bloß so ne Scheibe Brot“, und dann ein paar Stunden schlafen. Am Nachmittag geht’s weiter. Von Denise Peikert