Nationalatlas aus Leipzig: Dramatischer Rückgang der Turteltauben

Es wirkt zärtlich und verliebt, wie sich die Brutpaare umgarnen. Dazu gurren die Tiere, und auch das klingt irgendwie lieblich. Sie turteln. Der lautmalerische Begriff gibt nicht nur ihnen den Namen: Auch verliebte Menschen „turteln“ – und zwar mindestens, seit die Grimm-Brüder Mitte des 19. Jahrhunderts ihr Wörterbuch verfassten. Doch die Turteltauben turteln nur noch halb so viel wie noch vor einem Jahrzehnt. Das geht aus einer aktuellen Karte des Leibniz-Instituts für Länderkunde (IfL) in Leipzig hervor. Demnach liegt der bundesweite Bestand derzeit bei 12 500 bis 22 000 Brutpaaren. „2009 war er noch etwa doppelt so hoch“, beschreiben die Ornithologen Bettina Gerlach, Sven Trautmann und Johannes Wahl vom Dachverband Deutscher Avifaunisten die Datengrundlage, mit deren Hilfe die IfL-Kartografen gearbeitet haben. Vogel des Jahres 2020: Die Turteltaube ist die kleinste und seltenste Art der in Deutschland brütenden Tauben. Der Naturschutzbund hat sie zum „Vogel des Jahres 2020“ gekürt. Die Tiere verbringen den Winter in Afrika südlich der Sahara, vor allem in der Sahelzone. Mitte April ziehen sie nach Europa und brüten in den nächsten Monaten ein bis zwei Mal. Ein Gelege umfasst meist zwei Eier. In Deutschland lassen sie sich vor allem in der Oberlausitz, im Nördlichen Harzvorland, im Wendland, in der Altmark und Rheinhessen nieder. Im Spätsommer fliegen die Turteltauben in den Süden zurück, Ende September sind fast alle weg. Um das Verschwinden der Brutpaare zu veranschaulichen, haben die IfL-Kartografen ein Netz über Deutschland gelegt. Kleine grüne Quadrate geben an, wo sowohl zwischen 2005 und 2009 als auch zwischen 2015 und 2019 Turteltauben gebrütet haben. Blau schimmern Areale, in denen sie zwar im ersten Zeitraum, aber nicht mehr in der jüngeren Spanne angetroffen wurden. Vor allem im Norden sowie in Bayern dominiert die Farbe Blau. In zehn EU-Staaten sind Turteltauben frei zur Jagd: „Die Ursachen des katastrophalen Rückgangs der Turteltaube sind vielfältig“, schreiben die drei Ornithologen im „Nationalatlas aktuell“ des IfL. Brutflächen wie beispielsweise Brachen und Auwälder seien verschwunden. „Die Intensivierung der Landwirtschaft hat dazu geführt, dass Wildkräuter-Samen an Feldwegen und Ackersäumen immer weniger werden und sich die Nahrungsgrundlage verändert hat.“ In Europa fallen überdies jährlich 1,4 bis 2,2 Millionen Turteltauben der Jagd zum Opfer, die in zehn EU-Staaten erlaubt ist. Weitere rund 600 000 werden illegal getötet. Auch bei der Rast in Nordafrika und beim Überwintern südlich der Sahara treffen die Vögel zunehmend auf schwierige Umweltbedingungen. Noch in den 1950er-Jahren war das markante Gurren der Taubenart an jedem Dorfrand und Flussufer zu hören. Für die Menschen versinnbildlichte die Turteltaube Liebe und Verbundenheit. Doch allein seit 1992 sind Schätzungen zufolge fast 90 Prozent der Tiere verschwunden. In der aktuellen Roten Liste der Brutvögel Deutschlands wird die Turteltaube daher als „stark gefährdet“ geführt. Von mwö

Nationalatlas aus Leipzig - Es wird nur noch halb so viel geturtelt wie vor zehn Jahren