Nationalbibliothek in Leipzig – wenn der Märchenprinz aus dem Buch springt

Es sind oft kleine Kunstwerke. Pop-up-Bücher – übersetzt: „Plötzlich aufspringen“ – haben die Amerikaner sie genannt und sie sich im Jahre 1930 patentieren lassen. Doch die Zeiten vorher haben ihnen schon viele Namen gegeben: Steh-auf-Buch, Panorama-, Klapp- und Ziehbuch, Schiebebuch und vieles mehr. Die Deutsche Nationalbibliothek hat diese „bewegten Bücher“ bislang kaum gesammelt – und hat daher auch nur wenige Exemplare im Fundus. Denn diese sind meist fragil, wurden in den Bibliotheken rasch aussortiert oder zum Aufbewahren beschnitten. „Deshalb sind wir glücklich, nun eine umfangreiche Sammlung kinetischer Bücher erworben zu haben“, sagt Stephanie Jacobs, die das Deutsche Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig leitet. Jene Bücher haben durchaus eine alte Tradition – das älteste aus der nun angekauften Sammlung Hans Hartung, der diese über viele Jahre auf Auktionen und in Antiquariaten beschaffte, stammt bereits aus dem 16. Jahrhundert. Mehr als 4300 Bände hat Hartung, der als Journalist und Sonderschullehrer arbeitete, zusammengetragen und dabei auch ihre Geschichte erforscht, die längst vor Erfindung des Buchdrucks begonnen hat. Es waren Bücher für Erwachsene, die ihnen Zusammenhänge in der Medizin, in der Geografie oder Astronomie erklären sollten. Premiere galt Kindern in England: Von 1850 an brachten englische Verleger dann auch die ersten echten dreidimensionalen Bücher für Kinder heraus – von Rotkäppchen bis Robinson Crusoe. Die Bücher enthielten meist ausgestanzte handkolorierte Schwarz-Weiß-Lithographien, die sich durch ein Bändchen auf der Rückseite zu einer Art Bühne hochziehen ließen. „Durch Aufklapp-, Falt- oder Ausschnitt-Techniken der verschiedensten Art erschaffen diese Bücher Illusionen von Räumlichkeit und Bewegung aus Papier“, erläutert Jacobs. Also im Prinzip: Lesen in 3D. Viele wurden in Handarbeit hergestellt. Tscheche Kubasta begeistert: „Märchen und Sagen – viele dieser beweglichen Bücher sind Kinderbücher“, erzählt DNB-Mitarbeiter Benjamin Sasse, der die Sammlung sowie Vor- und Nachlässe betreut. Vom Froschkönig, Ali Baba bis hin zur modernen „popkulturellen“ Harry-Potter-Ausgabe lässt sich allerhand aufklappen. Sasse ist dabei besonders vom tschechischen Künstler Vojtech Kubasta (1914–1992) begeistert. „Er ist typisch für eine Art Illustration, die viele noch aus der DDR-Zeit kennen.“ Mit einer ausgeklügelten Falttechnik sowie farbintensiven Bildern brachte dieser die Buchkunst zu einem neuen Höhepunkt. Seine Kulissen-Märchenbücher nach Grimm und Andersen waren auch in der DDR bekannt. Geschätzt wird, dass die Arbeiten des tschechischen Künstlers im Artia-Verlag eine weltweite Auflage von 30 Millionen in 37 Sprachen erreichten. Museum plant Filmprojekt: „Wir sind ausgesprochen dankbar, mit der Sammlung Hans Hartung die Geschichte animierter Literatur seit dem 16. Jahrhundert nachzeichnen zu können“, sagt Museumsleiterin Jacobs. Sie in einer Vitrine in einer Ausstellung zu präsentieren, sei allerdings etwas schwierig. „Deshalb planen wir, sie in einem Filmprojekt vorzustellen.“ Von Mathias Orbeck