Immer mehr Leipziger, die schnell und von A nach B kommen möchten. Gleichzeitig eine lebenswerte Stadt mit Freiräumen, leise und klimabewusst, wirtschaftlich dynamisch – wie kann das gehen? Am kommenden Mittwoch soll der Stadtrat auf Initiative des Oberbürgermeisters einen zeitweilig beratenden Ausschuss Verkehr und Mobilität ins Leben rufen. Hauptaufgabe: die Mobilitätsstrategie 2030 vorbereiten. Grundlage dürften die sechs Szenarien sein, die Verkehrsexperten der Verwaltung erstellt haben. LVZ.de gibt einen Überblick über die verschiedenen Szenarien.
Fortführungsszenario
Grundsatz: Weiter so in der Verkehrspolitik, keine Erhöhung der Ausgaben im Verhältnis zum Bevölkerungswachstum.
Effekt: Es wird enger in Bus und Bahn, lauter und voller auf den Straßen. Auch der Wirtschaftsverkehr steht im Stau. Die Angebote für Radfahrer werden nicht ausgebaut.
Anteil der Verkehrsarten: Motorisierter Individualverkehr 40 Prozent, ÖPNV 18 Prozent, Radverkehr 17 Prozent, Fußverkehr 25 Prozent.
Finanzen: Die Kommune schreibt den Zuschuss für die Leipziger Verkehrsbetriebe auf 45 Mio. Euro fest (derzeit plus 2 Mio. Euro für Investitionen pro Jahr). Gleichzeitig steigen die Fahrpreise für den ÖPNV um rund 3,5 Prozent jährlich. Die Fahrgastzahlen steigen auf 175 Millionen Personen. Gesamtkosten hier: 597 Millionen Euro.
Fortführungsszenario mit Fahrpreiskonstanz
Grundsatz: Im Prinzip ändert sich wenig. Der ÖPNV wird aber gestärkt, weil die Fahrpreise nicht mehr steigen.
Effekt: Siehe Szenario 1 - es wird voller, lauter und langsamer auf Leipzigs Straßen. Die Zahl der ÖPNV-Fahrgäste steigt auf 195 Millionen pro Jahr.
Anteil der Verkehrsarten: Motorisierter Individualverkehr 38 Prozent, ÖPNV 20 Prozent, Radverkehr 17 Prozent, Fußverkehr 25 Prozent.
Finanzen: Die öffentliche Hand gleicht den Anteil aus, der sonst durch Fahrpreiserhöhungen in den ÖPNV fließen würde. Gesamtkosten hier: 639 Millionen Euro.
Nachhaltigkeitsszenario
Grundsatz: Der Umweltverbund aus ÖPNV, Rad- und Fußverkehr wird gestärkt. Die Idee der lebenswerten Stadt steht im Vordergrund.
Effekt: Die Geschwindigkeit im ÖPNV sowie für den Auto- und Wirtschaftsverkehr können auf heutigem Niveau erhalten bleiben. Das ist nicht schlecht: 14 Stunden pro Jahr steht der Leipziger durchschnittlich im Stau. Mit kaum mehr als einer Stunde pro Monat ist das Platz 41 von 62 Städten. Gut für die Umwelt und die Lebensqualität: Die Klimaziele werden erreicht und Lärm reduziert.
Anteil der Verkehrsarten: Motorisierter Individualverkehr 30 Prozent, ÖPNV 23 Prozent, Radverkehr 23 Prozent, Fußverkehr 24 Prozent. Das entspricht dem vom Stadtrat 2015 beschlossenen Stadtentwicklungsplan Verkehr.
Finanzen: Mehr Geld fließt in den Verkehr, der Anteil für den Umweltverbund wächst, wobei das Radwegnetz als Teil des Straßennetzes ausgebaut wird. Auch das ÖPNV-Netz soll wachsen und 220 Millionen Fahrgäste pro Jahr befördern. Dabei steigen die Fahrpreise leicht. Konzepte wie Elektroautos und Car-Sharing werden gefördert. Gesamtinvestitionen von 1,6 Milliarden Euro sind nötig.
Fahrradstadtszenario
Grundsatz: Leipzig wird Fahrradstadt mit einem Wegenetz, das ganzjährig für Radfahrer nutzbar ist.
Effekt: Das Fahrrad, auch mit Fördermöglichkeiten für E-Bikes oder Lastenfahrräder, wird bevorzugtes Verkehrsmittel. Ein Winterdienst hält das leistungsfähige Netz durchgängig befahrbar. Die Klima- und Lärmschutzeffekte sind positiv. Während der Wirtschaftsverkehr mit neuen Konzepten die heutige Geschwindigkeit behalten soll, werden Autos, Bus und Bahn etwas langsamer. Auch Parkplätze können entfallen. Bei schlechtem Wetter kann es trotzdem voll auf den Straßen und in Bus und Bahn werden.
Anteil der Verkehrsarten: Motorisierter Individualverkehr 30 Prozent, ÖPNV 20 Prozent, Radverkehr 27 Prozent, Fußverkehr 23 Prozent.
Finanzen: Der Radverkehr wird auf vielen Ebenen gefördert. Die Fahrpreiserhöhung im ÖPNV liegt bei rund 2 Prozent bei 195 Millionen Fahrgästen im Jahr. Zusätzliche Buslinien sollen Verbesserungen in der Anbindung bringen – mehr Kosten für die öffentliche Hand. Gesamtinvestitionen: knapp eine Milliarde Euro.
ÖPNV-Vorrangszenario
Grundsatz: Bus und Bahn werden in der Verkehrsplanung bevorzugt.
Effekt: Ob per Ampelschaltung oder durch die Aufteilung von Trassen und Fahrbahnen auf Magistralen – der ÖPNV soll die besseren Karten gegenüber dem Auto haben. Die Nachfrage steigt, dadurch wird es aber auch voller in Bussen und Bahnen (220 Mio. Fahrgäste pro Jahr). Gleichzeitig sind mehr Autos in der wachsenden Stadt Leipzig unterwegs. Der Verkehr insgesamt wird langsamer und lauter.
Anteil der Verkehrsarten: Motorisierter Individualverkehr 35 Prozent, ÖPNV 23 Prozent, Radverkehr 20 Prozent, Fußverkehr 22 Prozent.
Finanzen: Die Kosten für den Ausbau des ÖPNV-Angebots soll durch mehr Fahrgäste und um 3 Prozent steigende Fahrpreise aufgefangen werden. Gesamtkosten hier: 1,2 Milliarden Euro.
Gemeinschaftsszenario mit Bürgerticket
Grundsatz: Mit einer solidarischen Finanzierung soll der ÖPNV ausgebaut und damit zum attraktivsten Fortbewegungsmittel werden. In Leipzig war ein Bürgerticket im Gespräch.
Effekt: Obwohl immer mehr Menschen in der Stadt leben, soll man auch künftig mit Auto, Bus und Bahn nicht langsamer ans Ziel kommen. Da der ÖPNV die erste Wahl sein soll, sinken die Kosten für Fortbewegung für jeden einzelnen. Das Klima profitiert, also auch die Lebensqualität.
Anteil der Verkehrsarten: Motorisierter Individualverkehr 30 Prozent, ÖPNV 28 Prozent, Radverkehr 20 Prozent, Fußverkehr 22 Prozent.
Finanzen: Bund und Land sollen einen zweiten City-Tunnel finanziell unterstützen. Die Weichen dafür hat OBM Burkhard Jung (SPD) bereits in einem Gespräch mit Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) gestellt. Doch das Szenario insgesamt hat einen Haken. Derzeit gibt es keine rechtliche Grundlage für eine solidarische Finanzierung des Bus- und Bahnverkehrs. Das ist das teuerste Szenario mit insgesamt 4,6 Milliarden Euro Investitionen.
Der geplante Ausschuss
Wenn der Stadtrat am kommenden Mittwoch einen beratenden Ausschuss auf Zeit ins Leben ruft, soll der auch über die Beteiligung der Öffentlichkeit mitbestimmen. Gleichzeitig soll das Gremium auch die Weiterentwicklung des Nahverkehrsplans der Stadt Leipzig begleiten. Neben der Vorsitzenden des Fachausschuss Stadtentwicklung und Bau, Sabine Heymann (CDU), gibt es bereits folgende Vorschläge zur Besetzung aus den Fraktionen: Fanziska Riekewald (Linke), Axel Dyck (SPD), Daniel von der Heide (Grüne), Tobias Keller (AfD) und Sven Morlok (Freibeuter).
Evelyn ter Vehn und Matthias Puppe