Sonniges Wetter: Wie Leipzig aus dem Winterschlaf erwacht

Am Sonnabend zieht ein Lachen auch dort ein, wo die Angst vor dem Coronavirus das Leben lange Zeit dominierte. In der Alloheim Senioren-Residenz Gohlis sitzen zwei Bewohnerinnen und ein Bewohner im Innenhof, einige Sonnenstrahlen schieben sich an den Hauswänden vorbei und treffen ihr Gesicht. Wilma Daniel ist eine von ihnen und heilfroh, endlich wieder etwas Sonne abzubekommen. „Bei dem Schneegestöber waren wir wie eingeschneit“, erzählt sie. Umso mehr freuen sich die Hochbetagten, das milde Wetter genießen zu können. Ihre Gesichter strahlen unter der Maske regelrecht. Ganz Leipzig taut auf an diesem Sonnabend. Und das gleich in zweifacher Hinsicht: Durch die Schneemassen und das Coronavirus befand sich die Stadt zuletzt im doppelten Winterschlaf. Der letzte Schnee verschwindet nun im Erdboden, das Virus bleibt allerdings präsent. Immerhin gab es Zeichen der Entspannung: Nächtliche Ausgangssperre und 15-Kilometer-Regelung sind inzwischen Makulatur. Der Drang, rauszugehen: Den 15-Kilometerradius überschreiten – das hat Charlotte Puder gerade sowieso nicht vor. Sie ist eine der Ersten, die es an diesem Sonnabendvormittag nach draußen zieht. Bei zwölf Grad Celsius joggt sie über den (fast) leeren Leipziger Marktplatz. Die 34-Jährige ist Theater- und Fernsehschauspielerin. Die meisten Produktionen ruhen, daher verbringt sie viel Zeit zu Hause. „Das Laufen ist volle Kanne ein Ausgleich für mich“, sagt sie. Nach draußen zu gehen – das sei ein regelrechter Drang. Unweit vom Zentrum Nord, im Eutritzscher Arthur-Bretschneider-Park, läuft derweil internationales Publikum auf. Gretell Yamilka und Tatiana Cruz sind Kubanerinnen. Während die 43-jährige Gretell schon seit 23 Jahren in Deutschland lebt, ist die 26-jährige Tatiana erst im Dezember angekommen. Die Sonne ist sie aus der Karibik gewohnt, Schnee kannte sie bislang nur aus dem Bilderbuch. „Ich bin zum ersten Mal Schlitten gefahren“, erzählt sie und klingt dabei so, als hätte die Schneedecke ruhig noch etwas liegen bleiben können. Milde Temperaturen im Februar – das hatte sie nicht erwartet in Deutschland. „Ein reges Treiben“ – Frühlingswetter in Leipzig: Familie Albert hat es in den Clara-Zetkin-Park gezogen. Vater Constantin und Mutter Joana müssen erst einmal Luft holen, während der fünf Jahre alte Lias entspannt von seinem Fahrrad absteigt. Ihre tägliche Sporteinheit haben sie beendet – die Eltern mühten sich beim Joggen ab, während der Sohnemann daneben radelte. „Seitdem die Fitnessstudios geschlossen sind, ist das unser Sportprogramm“, sagt die 39-jährige Mutter. Zwar konnte sie der Schnee vom Ausdauertraining nicht abhalten. „Jetzt ist es aber schöner, weil die Sonne scheint“, sagt Sohn Lias. Während Spaziergänger, Fahrradfahrer und Läufer die Parklandschaft zunehmend füllen, sitzt Rebekka Spott im Schneidersitz, als würde die Welt stillstehen. „Es ist ein reges Treiben“, sagt die 27-Jährige – anschließen möchte sie sich dem aber nicht. „Seit einer Stunde sitze ich auf dem Steg und lese ein Buch“, berichtet sie, neben ihr steht eine Thermoskanne. Besuch aus Oberfranken: An dieser Stelle lässt sich die Strömung des Elsterflutbetts regelrecht spüren. Der 57-jährige Heinrich Neu kämpft gegen die Wassermassen an. „Letzte Woche bin ich ausnahmsweise mal nicht gepaddelt“, erzählt er. Die Erleichterung, jetzt wieder aufs Wasser zu können, steht ihm regelrecht ins Gesicht geschrieben. Wassersportler Neu ist ein Exot an diesem Tag – Boote sind nur vereinzelt zu sehen. Zu den wenigen, die den Sprung ins kalte Wasser wagen, gehören Klaus Neubauer und Steffen Long. Die beiden Herren sind begeisterte Taucher und kommen aus Kronach in Bayern – eine zweistündige Autofahrt haben sie schon hinter sich. „Wir sind häufiger am Cospudener See“, sagt Neubauer. Besonders die Wasserqualität imponiert den beiden. „Heute gibt es eine herausragende Sichtweise“, ergänzt er aus dem Liegestuhl. Der erste Tauchausflug im neuen Jahr nach Leipzig – er endet bei einem Sonnenbad. Entspannung in der Sonne: Auch die Familie Scheuring-Hermann lässt es inzwischen entspannt angehen. Während sich vor dem Pier einige Menschen tummeln, sitzen sie einige hundert Meter entfernt und picknicken. „Wir sind schon eine ganze Runde um den See gelaufen“, berichtet Vater Jens – es folgt die Entspannung in der prallen Mittagssonne. Ähnlich macht es das Paar Andreas und Verena. Nach dem Joggen trinken sie einen Kaffee direkt am Ufer. „Das Wetter ist der Hoffnungsschimmer in dieser Zeit“, sagt Andreas. Das Heißgetränk kommt von Kay und Janine Teubel – mit ihrem Team versorgen sie Ausflügler an ihrem Straßenverkauf am Pier 1. Doch auch junge Menschen genießen das frühlingshafte Wetter. Im Clara-Zetkin-Park spaziert eine Gruppe aus vier Studentinnen die Wege entlang. „Man kann ja nichts anderes machen“, sagt die 22-jährige Katrin. „Das ist das Highlight des Tages“, lachen sie. Leipzig mit Wetter wie in Spanien: Für zwei von ihnen ist es einer der ersten Tage in Leipzig – im Rahmen des Erasmus-Programms landeten die Spanierinnen erst vor Kurzem in der Stadt. Viel mehr als die eigenen vier Wände haben sie bislang nicht gesehen, schließlich mussten auch sie in Quarantäne. Der Spaziergang durch den Park wird somit zur ersten richtigen Aktivität in der neuen Stadt. „Der Eindruck ist wirklich toll“, sagt Helena aus Barcelona – in ihrer Heimatstadt konnten sich die Bewohner am Samstag ebenso über heiteres Wetter freuen. Auch das ist eine Eigenart dieses sonnigen Februartages in Leipzig: Egal, ob aus Kuba oder Spanien – bei dem Dauersonnenschein fühlt es sich plötzlich an wie in der südlichen Heimat. Von Florian Reinke