Wetterfrosch Peter Noack: Ein neues Kapitel in Leipzigs Wettergeschichte

„Das ist ein ganz seltenes Ereignis“, kommentiert Peter Noack die aktuelle Wettersituation. „Diese ganz markante, scharfe Ausprägung der Luftmassengrenze ist absolut selten“. Noack kann sich noch an den Horrorwinter 1978/79 in Leipzig erinnern, als die Wettersituation ähnlich war. „Am Freitag, den 29. Dezember, war ich gegen Mittag in der Mitteldeutschen Wetterdienststelle in der Leninstraße in Probstheida“, erzählt der 84-Jährige, der Leipzigs Wetterdaten bis 1830 gesammelt und analysiert hat. „Damals herrschten in der Stadt 11,2 Grad plus, während es im Norden der DDR schon Dauerfrost gab und eine geschlossene Schneedecke lag. Als ein Techniker telefonisch durchgab, dass am Sonnabend, den 30. Dezember, bis minus 10 Grad zu erwarten seien, setzte am anderen Ende der Leitung ein wildes Gelächter ein.“ Kein Strom und keine Straßenbahn: Am 30. Dezember herrschten dann in Leipzig um 1 Uhr früh minus 5 Grad mit Regen und Sprühregen sowie Glatteis. Um 7 Uhr fiel die Temperatur auf minus 9 Grad und es gingen Eiskörner und Schnee nieder. „Bei der Stadtreinigung war der gesamte Fahrzeugpark eingefroren, kein einziger Schneepflug konnte ausrücken“, berichtet Noack. „In der ganzen Stadt herrschte Chaos, weil sich überall Glatteis gebildet hatte.“ Am 31. Dezember herrschten dann Temperaturen von minus 11 Grad. „Es fuhren fast keine Straßenbahnen“, zitiert der Rentner aus seinen aufgeschriebenen Erinnerungen an diese ungewöhnliche Wetterlage. „Die Weichen waren mit Schnee und Eis völlig verstopft. Und die Leipziger quälten sich zu Fuß durch die Stadt – manchmal länger als eine Stunde.“ Am Neujahrstag fielen die Thermometer um 13 Uhr auf minus 15 Grad. „Auf den Straßen hatte sich Schneemehl gebildet, mit Glatteis als Untergrund“, zitiert Noack aus seinen Aufzeichnungen. „In großen Teilen der Stadt fiel der Strom aus. Kein Radio, kein Fernsehen – nur Kerzenschein. Und in den Straßen Geisterstimmung: keine Straßenbahn, keine Straßenbeleuchtung, keine Taxen.“ NVA-Pioniere rückten mit Flammenwerfern an: Die Kältewelle hielt bis zum 7. Januar an und die Schäden in der Wirtschaft waren riesig – vor allem wegen des Stromausfalls. „Es bewahrheitete sich wieder einmal, dass der Sozialismus vier Feinde hatte“, meint der Hobby-Meteorologe heute, „Frühling, Sommer, Herbst und Winter.“ Vor diesem Desaster waren die DDR-Oberen der Meinung, dass die Winter ständig milder würden. Der Preis dafür war auch im Jahr 1987 hoch: „Weil damals in den Braunkohletagebauen die Kohlezüge festfroren, rückten im Kraftwerk Ernst Thälmann (Süd) sogar Pioniere der NVA mit Flammenwerfern an, um die Züge aufzuheizen“,erzählt Noack. „Am Ende waren die Züge frei, aber die Waggons kaputt.“ Weil keine Braunkohle geliefert werden konnte, habe es drastische Einschränkungen gegeben. „Schulen wurden geschlossen und Mietern der Kroch-Siedlung wurde mitgeteilt, dass sie zwischen Heizung und warmem Wasser auswählen müssen – beides zur gleichen Zeit war nicht möglich.“ An der Straße des 18. Oktober hätten viele Bewohner Elektroheizungen aufgestellt, wodurch in zahlreichen Wohnblöcken die Hauptsicherungen reagierten. Auch der öffentliche Nahverkehr sei wieder zum Erliegen gekommen. „Alle 35 Jahre gibt es einen strengen Winter“: Meteorologen ermitteln die Stärke eines Winters mit sogenannten Kältesummen. Für diese werden die negativen Temperaturen stündlich ermittelt und zu einer Tagesmitteltemperatur addiert. Leipzigs letzter „strenger Winter“ war danach der des Jahres 1986/87, mit Temperaturen bis minus 25 Grad und einer Schneedecke von 38 Zentimetern sowie Schneeverwehungen von 80 Zentimetern bis einem Meter in der Stadt. „Die Tiefsttemperatur wurde am 14. Januar 1987 mit minus 25,1 Grad erreicht – gemessen in der Leninstraße“, so der Ruheständler. Leipzig hat seit 1830 insgesamt 30 strenge Winter erlebt. „In der Regel ist alle 30 bis 35 Jahre ein strenger Winter in unseren Breiten zu erwarten“, so Noack. Weil die letzte Periode der strengen Winter in Leipzig drei Jahre hintereinander dauerte – 1984/85, 1985/86 und 1986/87 – wäre demnach auch jetzt ein strenger Winter denkbar. Bislang liegt der aktuelle Winter in Leipzig im normalen Bereich. Aber das kann sich noch ändern. „Wir hatten in Leipzig auch schon sehr kalte Februar-Monate“, gibt Noack zu bedenken. „Der Februar 1956 war der kälteste Februar, den wir seit 1830 hatten – mit Nachttemperaturen bis minus 23 Grad am 10. Februar 1956.“ Von Andreas Tappert