"Querdenker"-Demo: Leipziger Bürgermeister kritisiert Gericht

Die „Querdenken“-Demo am vergangenen Sonnabend ist völlig aus dem Ruder gelaufen. 90 Prozent der Teilnehmer trug keine Maske. Leipzig hat die Kundgebung abgebrochen, die Querdenker erzwangen einen Aufzug über den Ring. Die LVZ sprach darüber mit Bürgermeister Heiko Rosenthal (Linke), der für Umwelt, Klima, Ordnung und Sport zuständig ist. Warum ist das Ordnungsamt trotz mehrfacher Verstöße so spät eingeschritten? Bei Verstößen gegen die Auflagen einer Versammlung können wir als Behörde formal die Entscheidung treffen, inwieweit eine Versammlung nicht mehr stattfinden darf. Und erklären sie dann für aufgelöst. Das ist ein reiner Verwaltungsakt. Der Anmelder der Versammlung ist davor aufgefordert, bei Nichteinhaltung von Auflagen, die Versammlung zu beenden. Der Auflösung geht die Eigenverantwortung voraus, sie ist die letzte Intervention. Wer nach Aufforderung des Anmelders den Platz nicht verlässt, verstößt gegen die Regelungen des Versammlungsrechtes. Es war aber schnell sichtbar, dass sich die wenigsten an die Auflagen halten. Warum ist die Entscheidung der Behörde nicht früher gefallen? Die Stadt hat die Kundgebung um 15.35 Uhr für beendet erklärt. Der Auflösung ging ein intensiver Austausch zu den Folgen mit der Polizei voraus. Von vornherein haben wir gesagt, dass eine Fläche von sechs Quadratmetern pro Teilnehmer notwendig ist, damit die Abstände eingehalten werden können. Bei 20 000 Teilnehmern wäre dies die zweieinhalbfache Fläche des Augustusplatzes gewesen. Aus unserer Sicht war und ist diese Veranstaltung auf dem Augustusplatz mit 16 000 Menschen, wie vom Sächsischen Oberverwaltungsgericht erlaubt, so nicht durchführbar. Die Entscheidung des Sächsischen OVG erschließt sich mir deshalb bis heute nicht. Die Stadt ist davon ausgegangen, dass maximal 5000 Teilnehmer möglich sind. Als Versammlungsbehörde sind wir aber verpflichtet, die rechtlichen Vorgaben umzusetzen und zu begleiten. Dabei mussten wir feststellen, dass viel mehr Menschen gekommen waren als erlaubt. Das verlangt zunächst die Abwägung, was unsere Entscheidung auch für künftige Kundgebungen nach sich ziehen könnte. Der Anmelder und Leiter wurde daher zunächst mehrfach aufgefordert, die Maskenpflicht und den Abstand mit seinen Ordnern durchzusetzen. Als dies nicht passierte, haben wir die Versammlung aufgelöst. Was war die größte Herausforderung am Sonnabend? Ein viel zu kleiner Platz für viel zu viele Menschen, die die Auflagen offensichtlich bewusst ignoriert haben. Das betrifft Anmelder und Leiter, Ordner und Teilnehmer. Wenn das Sächsische OVG die Versammlung und das Hygienekonzept – trotz der Erfahrungen von vorherigen Versammlungen – für plausibel erklärt, dann kommt es zu diesem Ergebnis. Man könnte Zweifel zur Relevanz des Infektionsschutzes bei manchem Richter bekommen. Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit und die Kommunikation mit der Polizei? Wir waren im Polizeistab präsent und informiert. Wenn die Versammlungsbehörde die Veranstaltung für beendet erklärt, ist rein rechtlich aber auch ihre Arbeit beendet. Dann wechselt die Zuständigkeit zur Polizei. Das muss man bei den eigenen Entscheidungen stets beachten und abstimmen. Wussten Sie vor der Versammlung, wie viele Polizisten nach Leipzig kommen? Nein. Ist das nicht üblich? Das ist zumindest nicht der Regelfall. Der polizeiliche Einsatz erfolgt in eigener Verantwortung. Natürlich haben wir gefragt, ob die Versammlungslage insgesamt nebst Kundgebung und Aufzug überhaupt durchführbar sind - Stichwort polizeilicher Notstand. Da ist uns aber angezeigt worden, dass ausreichend Kräfte im Dienst sind, um dem Versammlungsgeschehen Herr zu werden. Warum ist das Ordnungsamt auch bei kleineren Demos von Corona-Leugnern – etwa am Freitagabend – nicht eingeschritten, um die Maskenpflicht durchzusetzen? Das war keine Versammlung im Sinne des Versammlungsrechts. Es bestanden natürlich dennoch die allgemeinen Regeln der Sächsischen Corona-Schutzverordnung, welche die Maskenpflicht genau definiert. Wie geht die Stadt künftig an solche Veranstaltungen wie die „Querdenken“-Demo heran? Ich bin zutiefst überzeugt, dass unsere Entscheidung richtig war, bei angezeigten 20 000 Teilnehmern einen viel größeren Versammlungsraum auf der Messe anzubieten. Das würde ich immer wieder versuchen, um dem Infektionsschutz Rechnung zu tragen. Der Augustusplatz und die Innenstadt sind für so viele Menschen in dieser Zeit völlig ungeeignet. Gibt es bereits weitere Anmeldungen von „Querdenken“? Das wird zwar angedeutet, Konkretes ist mir momentan aber nicht bekannt. Leipzig ist bundesweit in den Schlagzeilen. Viele Bemühungen, die Pandemie einzudämmen, wurden konterkariert. Inwieweit hat dies unserem Image geschadet? Ich bin auch fassungslos, wie Menschen dieses Infektionsgeschehen – bei aller möglichen Diskussion über Regeln – derart ignorieren und in Kauf nehmen, dass andere aktiv angesteckt werden können. Das haben auch Mitarbeiter des Gesundheitswesens kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen müssen. Das ist aber ein bundesdeutsches Phänomen. Deshalb möchte ich dies nicht ausschließlich auf Leipzig reduzieren. Von Mathias Orbeck