Kermani, 1967 in Siegen geborener Sohn iranischer Einwanderer, stammt der erste Band. Er versammelt „west-östliche Erkundungen“, die Kermani seit Ende der 90er auf Papier gebracht hat, „Zwischen Kafka und Koran“. Die Autorin und Medizinerin Kathrin Wildenberger rät, zuerst den Anhang zu lesen: Kermanis Rede vor dem Bundestag zum 65. Geburtstag des Grundgesetzes mit dem Appell, keine Bedrohung jener offenen Gesellschaft zuzulassen, die auch dank der Verfassung seit 1949 entstanden sei. Mit Lessing, Goethe, Stefan Zweig, Hannah Arendt illustriere Kermani eine deutsche Tradition, die darin bestehe, „dem Fremden mit Respekt zu begegnen, das Eigene jedoch notfalls unerbittlich zu kritisieren“, sagt Wildenberger.
Rebecca Pates, Politikwissenschaftlerin der Uni Leipzig, greift Kermanis Warnung vor „areligiöser Intellektualität“ auf, die im Kontrast zum zweiten Buch stehe: Panter präsentiert Michel Houellebecqs „Unterwerfung“, eine seit ihrem Erscheinen Anfang 2015 vieldiskutierte Dystopie eines islamischen Frankreichs im Jahr 2022. „Doch es ist kein islamfeindlicher Roman“, stellt Pates klar – womit alle vier genauso einverstanden sind, wie mit der Ansicht von LVZ-Chefredakteur Jan Emendörfer, dass die Lektüre „sehr unterhaltsam“ sei. Um die „Verführungskraft bestimmter Gedankenwelten und die Käuflichkeit der Menschen“ gehe es Houellebecq, so Pates. Panter ergänzt: „Eine Warnung, was alles passieren kann, ohne dass sich die träge Masse dagegen in Bewegung setzt.“
Sex mit „null Effekt für die Story“
Zwei wiederkehrende Motive im Schaffen des Franzosen stoßen dem Quartett allerdings sauer auf. Der verächtliche Blick auf Frauen passe nicht in die Handlungslogik, findet Wildenberger. Auch die teils heftigen „Sex-Einsprengsel“ seien unnötig. „Sie haben für die Story null Effekt“, konstatiert Emendörfer.
Houellebecqs „Warnung vor einer apathischen Demokratie“, so Pates, leite zu dem Sachbuch über, das Emendörfer vorstellt: In „Putins Welt“ gehe Stern-Reporterin Katja Gloger zwar „sehr hart“ mit dem russischen Präsidenten ins Gericht. Sie zähle aber zugleich die Fehler des Westens auf: die Westintegration osteuropäischer Staaten etwa, obwohl hochrangige Politiker dem Kreml Anfang der 90er versprachen, dass sich die Nato nie bis zur russischen Grenze ausdehne. Aus Putins Sicht war „die Ukraine der Schritt zu viel“, erläutert Emendörfer.
Pates zufolge erhellt Gloger, „warum die Russen so sehr hinter Putin stehen“. Die wirtschaftliche Blüte in Putins erster Amtszeit nennt Pates. Und seine „Verführungsstrategien“ – womit die Runde zum letzten Buch kommt: „Die schleichende Revolution“ der in den USA prominenten Intellektuellen Wendy Brown, Untertitel: „Wie der Neoliberalismus die Demokratie zerstört“.
In „fast unlesbarem Duktus“ referiere Brown „altbekannte Thesen“, moniert Pates, die „zwar modisch, aber nicht wahr“ seien. Die Sprachkritik teilen ihre drei Podiumskollegen, entdecken jedoch inhaltlich viel Plausibles. Dass sich neoliberale Grundsätze tatsächlich längst im so genannten „gesunden Menschenverstand“ wiederfänden, hebt Wildenberger hervor: „Wir funktionieren nur um der Effizienz willen.“ Und Emendörfer fragt Pates, die Uni-Professorin, ob denn die von Brown bemängelte Ökonomisierung des Denkens nicht gerade in Schulen und Hochschulen Schaden anrichte. Hier schließt sich ein weiterer Kreis: Bei Navid Kermani hat Emendörfer von einer heutigen Deutschlehrer-Generation erfahren, die sich Bücher nicht um des Lesens willen, sondern in der Hoffnung auf unmittelbare Verwertbarkeit zu Gemüte führe.
Das „Politische Quartett“ weckt die Leselust hingegen fern von Nützlichkeitserwägungen. Um noch die eigene Trägheit zu überwinden, weiß Wildenberger guten Rat: „Schauen Sie einfach eine Talkshow weniger und lesen lieber.“
Von Mathias Wöbking