„Da geht eine ganze Kultur verloren“: Leipziger Karikaturist Andreas J. Mueller über Satire heute

Am 3. November wird der Leipziger Cartoonist Andreas J. Mueller 70. Anlass für eine große Ausstellung, die an diesem Samstag im Satiricum in Greiz eröffnet wird. Im Interview spricht der Künstler und Direktor des Deutschen Fotomuseums in Markkleeberg über das Arbeiten in Ost und West sowie den Zustand der Satire in Deutschland. Was wünschen Sie sich zum 70.? Dass die Menschen wieder toleranter werden und Satire begreifen. Wie geht es der satirischen Kunst im Moment? Es gibt in allen Genres gute Satiriker, aber in der derzeit aufgeheizten Stimmung wird die Satire oft gar nicht verstanden und für bare Münze genommen, wie man jetzt am Beispiel von Lisa Eckhart beobachten konnte. Satire, die nicht verstanden wird, funktioniert aber nicht mehr. Hier tritt Political Correctness in Form einer anmaßenden moralischen Sprachpolizei auf. Das trägt Züge einer Inquisition. Und die, die so agieren, haben oft nicht mal eine Machtposition, verfügen aber über ein gewisses Erpresserpotenzial. Es kann nicht mehr normal miteinander geredet werden, man hört einander nicht mehr zu. Da geht eine ganze Kultur verloren, eine des Denkens um mehrere Ecken. Ich kann mich auch dann über einen guten Cartoon freuen, wenn er eine andere als meine Meinung zum Ausdruck bringt. Was zeigen Sie in Greiz? Zu sehen sind rund 100 zumeist großformatige Bilder. Es ist eine Retrospektive mit Arbeiten von 1976 bis heute. Springen wir mal an den Anfang: Sie haben von 1970 bis 1975 an der HGB in Leipzig studiert, mit welchem Ziel? Eigentlich wollte ich Maler werden. Werner Tübke hatte aber erkannt, dass mein Talent eher in der satirischen Zeichnung lag. Er schickte mich zur LVZ, er kannte Achim Jordan, der für die Zeitung arbeitete. Und der leitete mich weiter zu Bernd Locker, damals gerade Kulturredakteur geworden. Gemeinsam erfanden wir den „Leumund“, eine zeichnerische Kolumne. Sie haben dann für mehrere Zeitungen und Zeitschriften gearbeitet. 1977 war damit Schluss. Was war passiert? Ich war beim damaligen Humorredakteur des „Eulenspiegel“, zeigte ihm die Zeichnung „Abgestempelt“, die einen in der Luft schwebenden Stempel mit Hammer und Sichel zeigt. Er sieht sie sich an, schiebt sie mir rüber und sagt in einem unmissverständlichen Ton: „Das habe ich nicht gesehen.“ Fortan wurde ich im „Eulenspiegel“ nicht mehr gedruckt. Und einige Wochen später hatte ich alles, was ich bei anderen Redaktionen auf Vorrat abgegeben hatte, in meinem Postkasten und wurde nicht mehr als Karikaturist veröffentlicht. Was haben Sie stattdessen gemacht? Zeichentrickfilme fürs Fernsehen, Buchillustrationen und die „Basil“-Comics für die Zeitschrift „Für Dich“. Und als Karikaturist konnte ich mich in der Karicartoon-Ausstellung austoben, die Jordan 1973 gegründet hatte, und die ich dann von 1977 bis 1987 organisierte. „Austoben“, sagen Sie. Ihre Zeichnungen eckten nicht mehr an? Doch. Das Bild „Schöne weite Welt“ mit zugeziegeltem Himmel sollte 1987 eigentlich abgehängt werden, wurde dann aber doch zugelassen. Davor stellte ich ein Aquarium mit verseuchtem Pleißewasser, in dem ständig chemische Reaktionen stattfanden. Ich hatte das auf der einen Seite ganz sachlich beschriftet mit Datum und Ort der Wasserentnahme, auf der anderen stand ein Zitat des früheren Leipziger Oberbürgermeisters Erich Uhlich, der angekündigt hatte, das Pleißewasser zu entphenolisieren. Arnulf Eichhorn, damals ein junger, kraftvoller Kulturfunktionär im Rat des Bezirks, machte die Abnahme. Er sah sich das Aquarium an und sagte: „Ist doch nicht gelogen. Er hat ja nicht gesagt, wann das Wasser entphenolisiert werden soll.“ Dabei waren Umweltthemen damals eigentlich tabu. Sie haben im darauffolgenden Jahr diesen zugemauerten Himmel durchschritten, blieben nach einer Ausstellung in Bergisch Gladbach mit dem Kollegen Ulrich Forchner im Westen, ein spontaner Entschluss? Nein. Wir hatten das ein Jahr geplant. Man musste erstmal eine Ausstellung im Westen haben, zur Eröffnung hinreisen können, dann noch mit dem Auto ... Das war schon ein komfortabler Abgang. Besagte Ausstellung nannten Sie „Die Neue Leipziger Schule“, ein Begriff der heute für eine Weltmarke der Malerei steht. Sie haben ihn vermutlich als Erster verwendet, wie kam es dazu? Der Titel spielte auf die „Neue Frankfurter Schule“ mit Hans Traxler, F. K. Waechter und Co. an, einen eingeführten Begriff, Forchner hatte noch eigens einen Stempel angefertigt: „Die Neue Leipziger Schule. Hauptsitz München“. Ihr Besuch der Ausstellungseröffnung in Bergisch Gladbach war Ihre neunte Reise in den Westen. Hatten Sie sich zuvor dann doch mit dem System arrangiert? Eher das System mit mir. Meine Cartoons wurden im Westen gekauft, und das hatte ich offiziell angemeldet. Wie bei Sängern und Schauspielern behielt der Staat 80 Prozent der Einnahmen. Ich war also ein Devisenbringer. Die erste Reise war 1979 zu einer Karikaturen-Biennale in Belgien. Danach ging es drei Wochen nach Paris. Am Anfang findet man sich selbst ganz toll. Aber ab der dritten Reise kippte das. Das Selbstbewusstsein wuchs, der Gedanke keimte auf, diese immer neuen Anträge, diese ewigen Diskussionen nicht mehr mitmachen zu wollen. Gab es dennoch so etwas wie ein Schlüsselerlebnis? Ja, ich hörte im Deutschlandfunk, dass in Leipzig eine Demo am Elsterflutbett gegen die Wasserverschmutzung stattfand und dass die Demonstranten verhaftet worden waren. Spätestens da war mir klar, dass ich in diesem Land die Rolle eines Hofnarren innehatte: Ich darf so etwas karikaturistisch ansprechen, und andere werden abgeführt. Und dann kam noch die Scheidung von meiner damaligen Frau hinzu. In den Stasiakten wurde über meine Flucht gemutmaßt, dass vielleicht auch ein bisschen Abenteuerlust dabeigewesen sei. Das stimmte sogar. Ihre Kurzbiografie, die auf der Einladung für die Greizer Ausstellung abgedruckt ist, enthält einen von der Geschichtsschreibung bisher nicht angemessen gewürdigten Punkt: Sie waren demnach Chef der 1989 in München gegründeten Exilregierung der DDR. Was hat es damit auf sich? Es waren mehrere Flasche Wein im Spiel, damals auf der Frankfurter Buchmesse, als ich im Gespräch mit dem ARD-Moderator Andreas „Leo“ Lukoschik aus einer Laune heraus darauf gekommen bin. Eigentlich wollte ich es in seiner Sendung verkünden, es war dann aber in „Klartext“. Wir inszenierten uns standesgemäß auf einem Münchner Balkon – zusammen mit Ulrich Forchner und Günter Firit, der wie Trotzki dreinblickte. Wir haben es satirisch durchgezogen. Wie kamen Sie aus der Nummer wieder raus? Indem ich die Regierung de Maizière anerkannte und auf die Macht verzichtete. Ich war damals im Palast der Republik bei der ersten freien Wahl, obwohl es noch einen Haftbefehl gegen mich gab. Das ganze Gebäude war voll mit Medienvertretern. Ich konnte von oben sehen, wie das berühmte Maizière-Foto mit dem Victory-Zeichen entstanden ist. Regina Schmeken, Fotografin der „Süddeutschen Zeitung“ hatte ihn dazu sehr lautstark aufgefordert. Wie war es für Sie, im Westen zu sein? Es war damals wirklich noch der goldene Westen, was sich dann mit der Wiedervereinigung sehr schnell änderte. Die alte Bundesrepublik hat sich bemüht, ein anständiges System zu sein. Die Hemmungen sind dann gefallen. Am 3. Oktober 1990 saß ich in München in der „Säge“, eine Stammkneipe von Karikaturisten und Kabarettisten. Ich war da unter anderem mit Dieter Hildebrandt und Werner Schneyder. Forchner und ich waren die einzigen aus dem Osten. Ich sagte: „Bei aller Freude gebe ich zu bedenken: Nicht nur die DDR, auch die Bundesrepublik ist untergegangen.“ Das hat erstmal keiner ernstgenommen. Info: Die Ausstellung „Himmel & Hölle wird am Samstag (5. September) um 11 Uhr im Satiricum in Greiz (Sommerpalais im Fürstlich Greizer Park) geöffnet Di–So 10–17 Uhr, ab 6. Oktober 10–16 Uhr. Die Ausstellung geht bis 29. November. www.sommerpalais-greiz.de Von Jürgen Kleindienst