Freiheit auf vier Rädern: Arte zeigt MDR-Doku „Autos im Sozialismus“

Der erste lief 1960 vom Band. Er sah aus wie ein Fiat 600. Geburtsort: Saporischja (Ukraine). 1965 wurde der Kleine mit den Lufteinlässen am Heck modernisiert – und nicht nur in der Sowjetunion massenhaft gekauft. Obwohl er nur 30 PS hatte, ihm ab 90 km/h die Puste ausging und bei Fahrten durch ein zu tiefes Loch Benzin nachgepumpt werden musste. Einen Saporoshez klaut keiner, witzelten zwei Männer 1976 in einem bulgarischen Autospot. Trotz aller Probleme liefen bis 1994 sieben Modelle in 3,4 Millionen Exemplaren vom Band. Rund 100 rollen noch über deutsche Straßen, sehen aber kaum so perfekt aus wie jener, den der Bulgare Peter Klissarow nach 70 000 Kilometern für nur 75 Euro kaufte und aufwendig restaurierte. Nun glänzt er in blau, mit viel Chrom, Hifi und weißen Ledersitzen. Parkplatz in Prag: Was waren Autos damals im Osten für ihre Besitzer – fragen Boris Missirkov und Georgi Bogdanov in ihrer MDR-Doku „Autos im Sozialismus“. Antwort: ein Traum von Freiheit auf vier Rädern. Geblieben sind Erinnerungen. Da denkt der Zahnarzt Rolf Mahlke an geduldete Schwarzmärkte (Trabi über 12 000 DDR-Mark, Wartburg: Neupreis plus 10 000) und an die Flucht über Prag 1989. Sein roter Wartburg wurde in Prag stehengelassen. Die Stasi transportierte ihn – und 2000 weitere Wagen – zurück in die DDR. Mahlkes Vater konnte ihn tatsächlich wieder abholen. Der Wartburg, stinkiger Zweitakter aus Eisenach, war ebenso begehrt wie der Lada. Der hatte immerhin 80 PS – und Kopfstützen. Die Volkspolizei der DDR bekam ihn reichlich. So fährt ein Lada-Fan denn auch heute noch mit Blaulicht durch Deutschland. Werbeclips und launige Reden: Weniger begehrt, aber im Inneren durchaus geräumig, war der Moskwitsch. Außer in Bulgarien, denn die Bulgaren hatten nie eine eigene Marke. In den Gebirgsregionen machte er sich allemal gut. Er wurde nicht für den Komfort gebaut, sondern nur zum Transport, sagt Nikita Rogoshin aus St. Petersburg – und führt seinen heftig aufgepeppten Moskwitsch-Kombi vor, der mit einem Hydrauliksystem (bekannt von Citroen) richtig wackeln kann. So vereint „Autos im Sozialismus“ in lockerer Folge Episoden um Oldies, Werbeclips, Archivaufnahmen, Filmausschnitte und eine launige Rede von US-Präsident Reagan über jene zehn Jahre, die man im Osten aufs Auto wartet. Breshnew hält 1977 grimmig grummelnd dagegen: „Vorwärts zum Sieg des Kommunismus“, während Honecker im Oktober 1989 trotzig „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“ schwört. Vom Trabi ist diesmal nicht die Rede, aber auch vom Skoda. Von der Rallye-Version, mit der der Norweger John Haughland 1968 ein Rennen in Brno fuhr – und auf dem Rückweg auf Panzer traf. Arte, 7. August, 23.20 Uhr; in der Mediathek bis 20. September Von Norbert Wehrstedt