Friede, Freude, Mauerfall – Herkuleskeule feiert in Leipzig ein Lebensgefühl

Kabarettprogramme können helfen: sich zu erinnern – oder zu vergessen. Der Dresdner Herkuleskeule gelingt beides mit ihrem Programm „Durch Traum und Zeit“. Das war am Montag beim Lachmesse-Gastspiel im Leipziger Kabarett SanftWut zu erleben. Zu durchleben sogar, denn Birgit Schaller, Wolfgang Schaller und Hannes Sell nehmen den 30. Jahrestag des Mauerfalls zum Anlass, die DDR zu reanimieren, mit einem Augenzwinkern natürlich, bei dem sie auch mal beide Augen zudrücken. Der 79-Jährige Schaller, seit 1970 Autor der Herkuleskeule, nutzt die gemütlich von Sandmännchen, Karl Marx und Gartenzwerg gerahmte Bühne für Solo-Conférencen, die eingebettet sind in Lieder (Musik: Thomas Wand) und Erinnerungsarbeit von Birgit Schaller und Hannes Sell. Dramaturgische Hemdsärmeligkeit: In diesem Ensemble-Solo-Hybrid über „Friede, Freude, Mauerfall“ gibt es keine Konflikte, sondern eine naturgegebene Rollenverteilung: Sell, Jahrgang 1984, und Frau Schaller, seit 1987 bei der Keule, täuschen Erklärtheater an. Das hat etwas dramaturgisch Hemdsärmeliges. Alle drei spießen in der Wir-Die-Familienaufstellung der Deutschen Einheit Ärgerlichkeiten und Enttäuschungen auf, legen den Spieß aber nur kurz auf den Grill kabarettistischer Zubereitung. Die Zuschauer im fast ausverkauften Saal goutieren das Wiederhören und Wiedersehen, beklatschen und bejubeln Witze, Sprüche, Schlager, Zitate und Film-Einspieler. Da sind zum Lied „Unsere Heimat“ Bilder von FKK-Bürgern zu sehen – bis zur Zeile „... und das Vögeln an der Luft“. „Organisierte Versprechen“: Das Potpourri feiert ein verlorenes Lebensgefühl und haftet als Trostpflaster auf jenen Wunden, die Treuhand und andere „organisierte Versprechen“ nach ’89 geschlagen haben. „Wir wurden im Staatsbürgerkundeunterricht über den Osten belogen, über den Westen nicht.“ Und: „Lieber verordneter Antifaschismus als ein geduldeter Faschismus“. Nationalpreisträger Wolfgang Schaller hat etliche Politikerhände geschüttelt. Weil die Amtsträger danach meist bald weg vom Fenster waren, würde er „so gern mal Herrn Gauland die Hand geben“. In diesem Frontalkabarett sprechen keine Figuren, hier positionieren sich die Kabarettisten als sie selbst. Schaller liest eigene Kolumnen und andere Texte, und alle drei fragen, woher heute die Unzufriedenheit kommt, das Misstrauen, die Toleranzschwäche. Erkenntnisse liegen nicht auf der Straße, schon gar nicht in Dresden. Er sei „einfach zu alt, um zu vergessen“, sagt Schaller. Populäres Sentiment macht das Erinnern immer angenehm – und erleichtert das Vergessen aktueller Kränkungen. Der Kopf kann Pause machen. Muss er auch. Am 22.Oktober ist mit Lisa Catena eine Preisträgerin zu erleben, die Kabarettistin und Satirikerin bekommt den Kabarett-Förderpreis und steht beim Schweizer-Satire-Abend – präsentiert von den Oltner KabarettTagen – auf der Bühne, gemeinsam mit Strohmannkauz und Gabriel Vetter; 20 Uhr, Kupfersaal Volkmar Staub: Lacht kaputt, was Euch kaputt macht; 20 Uhr, Academixer Andreas Thiel (CH): Der Humor; 20 Uhr, Pfeffermühle Bill Mockridge: Je oller, je doller; 20 Uhr, Leipziger Funzel Das Gastspiel mit Daniel Ziegler (CH) in der SanftWut muss leider ausfallen Lizzy Aumeier, sie wäre im Central Kabarett aufgetreten, hat kurzfristig wegen Krankheit abgesagt. 23. Oktober: Kupferpfenning-Wettstreit, Moderation Christoph Walther, Gastgeberin Anke Geißler: Jane Mumford (CH), Christoph Fritz (A) & Bernard Paschke; 20 Uhr, Academixer Reiner Kröhnert: GeTWITTERcloud; 20 Uhr, Pfeffermühle Simon & Jan: Neues Programm; 20 Uhr, Central Kabarett Maxi Gstettenbauer: Lieber Maxi als normal; 20 Uhr, Funzel Frank Smilgies: Brettsteiger erklärt alles; 20 Uhr, die naTo Songslam: mit Julius Fischer und Tim Thoelke; 20 Uhr, Moritzbastei Brodowy & Kirchberg: Wenn die Muse zweimal klingelt; 20 Uhr, SanftWut Das Gastspiel von Veri (CH) im Ariowitsch-Haus muss leider ausfallen Am 24. Oktober gibt es eine Premiere: Der Wahlleipziger Michael Feindler bringt sein neues Programm „Ihr Standort wird berechnet“ auf die Bühne. 20 Uhr bei den Academixern. Der inzwischen 30-Jährige hat 2014 den Lachmesse-Nachwuchspreis „Kupferpfennig“ gewonnen. Karten: in den Veranstaltungsstätten sowie in der Ticketgalerie Leipzig (LVZ-Foyer, Peterssteinweg 19; Barthels Hof, Hainstr. 1), unter der gebührenfreien Telefonnummer 0800 2181050 sowie auf www.ticketgalerie.de; Lachmesse-Spezial mit Informationen und Interviews: www.lvz.de/lachmesse Von Janina Fleischer

Leipziger Lachmesse - Friede, Freude, Mauerfall – Herkuleskeule feiert in Leipzig ein Lebensgefühl