Jörg Widmann als Klarinettist, Dirigent und Komponist im Gewandhaus

„Beim Instrumentieren war Carl Maria von Weber fortschrittlicher als Beethoven“, sagt Jörg Widmann und bittet das volle Gewandhaus um Nachsicht für diese Meinung. Aber der 47-jährige Komponist und Klarinettist hat recht. Soeben erbrachte der Boulez- und Henze-Schüler im Konzert den Beweis als Solist von Webers Concertino für Klarinette und Orchester Es-Dur op. 26. Großartige Primadonnen-Monologe: Diese Variationen klingen, als habe Weber Donizettis großartige Primadonnen-Monologe antizipiert. Dann taucht das Orchester kurz ab in „Freischütz“-Harmonien, bevor das Stück mit atemberaubend artistischen Läufen endet. Nur agiert hier der Meister-Klarinettist Widmann anstelle einer menschlichen Stimme und gibt in seinen Pausen ohne Noten und Taktstock dem MDR-Sinfonieorchester wenige, aber wichtige Einsätze. Orchesterversteher: Schon hier setzt Widmann, dessen Jahr als Gewandhauskomponist noch in bester Erinnerung ist, auf eine vital singende und voll tönende Wiedergabe mit gewinnender Ausstrahlung. Er ist ein Orchesterversteher, geht immer ganz dicht ran an die ihm gerade wichtigen Gruppen und winkt beim einsetzenden Applaus als erstes seinem Klarinetten-Kollegen auf einer der oberen Podiumsebenen zu. Schwelgender Atem: Auch bei der Jupiter-Sinfonie C-Dur KV 551, Mozarts letzter mit bis heute unbekanntem Entstehungsanlass, passt das glänzend. Widmann holt das MDR-Sinfonieorchester für Mozart bei dem ab, was es am besten kann: schlanke, dabei substanzreiche Streicherlinien und deren guten Zusammenklang mit Hölzern oder Blech. Es ändert am rundum erfreulichen Gesamteindruck nichts, wenn im Menuett und im Allegro-Finale die Dynamik etwas gleichförmig gerät. Einhellige Zustimmung gibt es wie schon bei Mendelssohns Hebriden“-Ouvertüre, die Widmann mit schwelgendem Atmen nimmt, ohne sich in Petitessen zu verlieren. Recht knappes Programm: Ein Viertel des am Sonntagvormittag mit nur einer Stunde Musik recht knappen Programms besteht aus Jörg Widmanns Konzertouvertüre „Con brio“. Angeregt zu dieser ‚normalen Komposition’ für ein ‚normales Konzert’ zwischen den für kleinere Besetzungen bestimmten Beethoven-Sinfonien Sieben und Acht hatte ihn der 2019 verstorbene Mariss Jansons. Widmann machte daraus mehr als die naheliegende Hommage aus Motivfetzen und Variationen. Er verwendete Struktureigentümlichkeiten Beethovens für das haargenau gleiche Instrumentarium. Nur von den Bläsern fordert Widmann gestoßene Luft statt vollgültiger Töne. Einfach richtig: Man hört auch jetzt, warum es dieses Opus zu einer beeindruckend dichten Erfolgsgeschichte bei Spitzendirigenten wie Jansons, Gielen und Welser-Möst bringt: Spannungsbögen, Stimmführung und Behandlung des musikalischen Materials wirken einfach richtig, ganz ohne Einseifen und Wirkungshascherei. Widmann mag die Form der Ouvertüre und zeigt das „Con brio“, der von Beethovens bevorzugten Vortragsbezeichnung. Ehrlicher Applaus für alle. Von Roland H. Dippel

MDR-Matinée - Jörg Widmann als Klarinettist, Dirigent und Komponist im Gewandhaus