Es sieht wie eine Ehrenrettung der kläglich gescheiterten Postmoderne aus. Tatsächlich gehörte die seit 1979 in Mailand lebende Französin Nathalie Du Pasquier, 1957 in Bordeaux geboren, zur dortigen Gruppe Memphis, die zu den Pionieren der quietschbunten Philosophie des „Anything Goes“ in der Produktgestaltung zu zählen ist.
Der zum elften Mal verliehene Preis Inform, finanziert von Arend Oetker, soll eine Schnittstelle zwischen freier und angewandter Kunst sein. Die praktische Handhabung der Arbeiten scheint in diesem Jahr aber eingeschränkt zu sein. Dieses „Fair Game Leipzig“ von Du Pasquier ist keine chronologisch aufgebaute Retrospektive. In sechs Räumen komponiert die Künstlerin Werkgruppen, auch der Raum selbst wird zum Mitspieler gemacht.
Nathalie Du Pasquier: Kräftige Farben, harte Konturen
Sie liebt kräftige Farben in flächigem Auftrag mit harten Konturen. Dennoch wird der Besucher im Korridor des Obergeschosses der GfZK zunächst von fünf großformatigen Tuschezeichnungen empfangen. Die metaphysische Malerei de Chiricos schimmert durch, gewisse esoterische Einflüsse lassen sich hineindeuten.
Viele der anderen Bilder kann man als Stillleben bezeichnen. Häufig sind es unspektakuläre Gegenstände wie leere Flaschen oder Ziegelsteine, aber auch eine möglicherweise wertvolle Porzellanvase ist dabei. Realismus und Detailtreue der Ausführung wechseln. Mal sind die Dinge sehr schematisch dargestellt, dann aber auch verfeinert mit Raumtiefe durch Schattenwurf.
Erst durch die Erläuterungen im Waschzettel wird klar, dass manche der Arbeiten tatsächlich Grafikdesign für den alltäglichen Gebrauch sind, betont dekorativ angelegt und hier als Fotokopien ausgestellt, um den dienenden Charakter zu demonstrieren.
Die Bilder in einem der Räume sind annähernd abstrakt. Dennoch erinnern sie an industrielle Anlagen. Hier nun scheinen die Avantgarden vor hundert Jahren Vorbild zu sein, der russische Konstruktivismus mehr noch als die mitteleuropäischen Strömungen. Damit wird das Dilemma der Postmoderne verdeutlicht – wer alle historischen Tendenzen recyceln möchte, muss irgendwann bei der Moderne als Referenz ankommen, die ja gerade überwunden werden sollte.
Christian Nyampeta: Aufarbeitung des kolonialen Erbes
Die zweite neue Ausstellung in der GfZK stellt einen kräftigen Kontrast dar. Der in Ruanda geborene Niederländer Christian Nyampeta ist zu Gast. Statt der verspielten Oberflächlichkeit von Nathalie Du Pasquier geht es bei ihm um die Aufarbeitung des kolonialen Erbes. Ein schwieriges Thema, darum auch nicht so einfach zu rezipieren.
Im Mittelpunkt steht ein Video, umgeben von einer Rauminstallation, zu der unter anderem relativ grob geschnitzte Büsten aus Holz gehören. Dargestellt sind sowohl Ruander als auch Deutsche, die aus verschiedenen Gründen Verfolgung erlitten. Außerdem gibt es ein sogenanntes Skriptorium, ein Regal mit Schriftstücken. Doch auch das Rahmenprogramm, darunter eine Führung zu kolonialen Spuren im Leipziger Stadtbild, sieht Nyampeta als Bestandteil der Schau an.
Das Problem der Begriffe
Der umständliche Titel bezieht sich auf die 1668 veröffentlichte aufklärerische Schrift von Adriaan Koerbagh, in der er sich mit den Kodierung der Sprache der Mächtigen befasste. Genau darum geht es auch in Nyampetas Video. Trotz des guten Willens, die Geschichte aufzuarbeiten, ist es nicht so einfach, dass verschiedene Beteiligte und ihre Nachfahren sich wegen unterschiedlicher kultureller Kodierung auch wirklich verstehen und Begriffe auf der gleichen Ebene interpretieren. So kann der Prozess für alle zu einer schmerzlichen Erfahrung werden. Und auch der Ausstellungsbesucher muss zumindest viel Zeit mitbringen, um sich dem Anliegen des Künstlers anzunähern.
Nathalie Du Pasquier. Fair Game Leipzig. Inform Preis 2019; Christian Nymapeta. A Flower Garden of All Kinds of Loveliness without Sorrow; Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig (Karl-Tauchnitz-Str. 9–11); bis 29. September, Di–Fr 14–19 Uhr, Sa–So 12–18 Uhr
Von Jens Kassner