Solo ohne Stimme und Orchester: Was Leipzigs freischaffende Musiker vom Kultur-Lockdown halten

Es war eine Hiobsbotschaft. Aufgrund der Corona-Pandemie müssen kulturelle Einrichtungen im November geschlossen bleiben, alle Veranstaltungen sind abgesagt. Besonders die freischaffenden Künstler und Künstlerinnen leiden unter dieser Entscheidung, viele sind durch den Einkommensausfall in ihrer Existenz bedroht. Ein großes Problem: Da die Mehrheit der Freischaffenden kaum größere Betriebskosten wie etwa für ein Büro oder einen Probenraum vorweisen können, haben sie die Überbrückungshilfen des Bundes im Frühjahr nicht erreicht. Das soll nun anders sein. Im Rahmen einer außerordentlichen Wirtschaftshilfe sollen auch Freischaffende für den November bis zu 75 Prozent ihrer Einnahme-Ausfälle erstattet bekommen. Konkrete Informationen fehlen bislang: Unter Leipzigs Solo-Selbstständigen stößt das Angebot auf geteilte Reaktionen. Für die Sängerin Carolin Masur ist diese Unterstützung unbedingt notwendig: „Freiberufler trifft der Ausfall existenziell, die fallen jetzt wieder in ein Loch“, sagt sie. „Deshalb muss ihnen mit einer finanziellen Ausfallentschädigung schnellstmöglich geholfen werden.“ Auch Enrico Wirth, der als Pianist im unter anderem im Kabarett und in der Mephisto-Bar spielt, sieht in der Maßnahme prinzipiell eine „gute Lösung“. Er habe seinen Steuerberater beauftragt, sich darum zu kümmern. Wie und wann er sein Geld für November erhält, weiß er noch nicht. Hier noch vieles unklar, konkrete Informationen haben die Betroffenen bislang nicht erhalten. Die Geigerin Agnes Reuter sieht die neue Hilfsmaßnahme skeptisch. „Wenn die Antragsstellung nur über einen Steuerberater möglich sein sollte, weiß ich nicht, ob ich das beantrage“, sagt Reuter. Das Problem sei, dass Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer für diesen Antrag zum Teil sehr hohe Honorare nehmen würden. Reuter lebt als freischaffende Geigerin von Konzerten. Diese finden wegen der Pandemie aber so gut wie nicht mehr statt. Da sie kaum Betriebskosten hat, erhielt sie im Frühjahr keinerlei Überbrückung. Sie musste deshalb auf ihre Ersparnisse zurückgreifen und einen Kredit aufnehmen. Um die Kunstschaffenden zu unterstützen, plädiert sie für ein Grundeinkommen, das ihnen von Anfang März bis zum Ende der Pandemie ausgezahlt wird, um die Lebenshaltungskosten zu decken. Wenig Verständnis für den neuerlichen Kultur-Lockdown: In einer etwas komfortableren Situation befindet sich Enrico Wirth. Bis zum vergangenen Wochenende war er fast jeden Abend gebucht. Außerdem konnte er sich in den vergangenen 20 Jahren ein finanzielles Polster erwirtschaften, von dem er jetzt zehrt. Dafür, dass er nun erneut nicht arbeiten kann, hat er allerdings wenig Verständnis. „Klar will ich, dass die Infektionszahlen runtergehen, aber ob sich Menschen überhaupt bei Kulturveranstaltungen anstecken, ist nicht sicher. Das muss mir erst einmal jemand beweisen“, sagt Wirth. Vielen Solo-Selbstständigen fallen mit der Absage aller Kulturveranstaltungen nun erneut Aufträge weg, noch dazu in den meist gut laufenden Vorweihnachtswochen. Freischaffende wollen ihren Lebensunterhalt selbst verdienen: Da Carolin Masur trotz ihres Status als Freischaffende bei einzelnen Projekten aber zeitweise befristet angestellt wird, erhielt sie im Frühjahr immerhin ein kleines Arbeitslosengeld. Bei vielen Solo-Selbstständigen hört man jedoch heraus, dass sie nur ungern die Unterstützung vom Staat in Anspruch nehmen. Auch wenn ihr Einkommen oft schwankt, sind sie stolz auf das, was sie tun und wollen ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren. Umso größer ist der Ärger, dass ihnen das nun verwehrt wird. In einem offenen Brief hat sich der Musiker Uwe Plociennik deshalb an Kulturstaatsministerin Monika Grütters gewandt. Darin kritisiert er ein „Berufsverbot“ für seine Branche und „dass die Kulturlandschaft mehr und mehr einbricht“. Plociennik appelliert an Grütters, sich mehr für die Kunstschaffenden einzusetzen, da sonst in der „reichen Kulturlandschaft Deutschlands ein Sterben von Kunst und Künstlern jeglicher Sparte einsetzt“. „Viele Theater und Bühnen werden einen zweiten Lockdown nicht überleben“: Ein Szenario, das Agnes Reuter ebenfalls befürchtet: „Ich denke, viele Theater und Bühnen werden einen zweiten Lockdown nicht überleben.“ Sie selbst sucht inzwischen auch nach Stellen im Ausland. Wenn das so weitergehe, überlege sie sich ernsthaft, ob sie Deutschland nicht verlasse, erzählt die Geigerin. Denn dass die angedachte Erstattung von drei Viertel der Einnahmen für den November nicht zum Leben reicht, da sind sich alle einig. „Es ist wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Damit kann man nur einen Teil seiner Kosten decken“, sagt Carolin Masur. Sie hofft deshalb – wie schon im Frühjahr – auf eine große Solidarität unter den Künstlern und Künstlerinnen. „Ich wünsche mir wieder diese Informationssolidarität, dass man sich gegenseitig darauf aufmerksam macht, bei welchen Stiftungen beispielsweise noch Unterstützung beantragt werden kann.“ Von Simon Ecker