Kurt Dornis steht vor seinem „Moskau“-Bild, das er 1976 nach einem Aufenthalt dort im hiesigen Atelier und nach Skizzen und fotografischer Anregung gemalt hat. „Ich mag gar nicht hinschauen“, sagt der 88-Jährige. „Ich wusste, dass es sehr bunt ist, aber so kräftige Farben ...“ Dornis‘ Gemälde ist Teil der neuen Ausstellung „Künstlerreisen in der DDR – Hinter dem Eisernen Vorhang“, die seit Mittwoch in Leipzig zu sehen ist.
Studienreisen gehören für Künstler seit Jahrhunderten zur Ausbildung, sind wichtige Inspirationsquelle. Auch die DDR bemühte sich da um Internationalität, wobei die Auslandsaufenthalte im Rahmen der begrenzten Reisemöglichkeiten meist in sogenannte Bruderländer wie Polen, Ungarn, Bulgarien und in die Sowjetunion führten – und nur selten in den Westen.
Jahrzehnte im Depot
Letztere wurden ab 1970 für Auserwählte allerdings auch möglich, weil der SED-Staat um internationale Anerkennung buhlte und Maler wie Werner Tübke, Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuer als eine Art Botschafter und als Devisenbringer galten.
Die Arbeiten, die jetzt in der Galerie im Neuen Augusteum zu sehen sind, fristeten über Jahrzehnte ihr Dasein im Depot der Universitätskunstsammlung. Die Idee für die Ausstellung hatte Cornelia Junge, langjährige Sammlungskonservatorin der Kustodie.
Nur mit ihren kunstwissenschaftlichen Kenntnissen von Land und Leuten wurde die Schau möglich. „Die Mehrzahl der sonst kaum gezeigten Reisebilder wurde ab etwa 1970 von staatlichen Institutionen und gesellschaftlichen Organisationen erworben und der damaligen Karl-Marx-Universität für die Ausstattung ihrer Neubauten überwiesen. Als Zeugnisse eines wenig bekannten Kapitels der DDR-Kulturpolitik gilt es, diese Werke 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution neu in den Blick zu nehmen und auf Qualität, Entstehungsgeschichte und ideologischen Gehalt hin zu befragen“, sagt Junge.
Zum Leitbild der Ausstellung hat sie Jürgen Schäfers „Memento“ (1975/77) gewählt und prominent platziert. Wie Dornis‘ „Moskau“-Gemälde war es 1977/78 auf der VIII. DDR-Kunstausstellung in Dresden zu sehen. Dort sorgte die Arbeit des Mattheuer-Schülers, heute 77 Jahre alt und in Mecklenburg lebend, für Verwirrung und verschiedene Deutungen.
Es war mit den Erfahrungen einer Reise nach Armenien entstanden. Lenin sitzt als Skulptur im Sonnenschein, die Künstlergruppe daneben steht starr im Schatten. Ein Junge macht sich auf einen Weg ... „Ende der 70er-Jahre war Schäfers Bild eines mit verstörender Deutlichkeit“, sagt die Kuratorin.
„Nötigung und Erpressung“
Durften die Kunst-Größen der DDR – ein Sitte wegen seiner Funktionärstätigkeit im Künstlerverband oder Tübke wegen seiner internationalen Anerkennung und Dank guter Verbindungen zu Galeristen in Italien – regelmäßig „raus“, hatten die meisten anderen kaum so ein Privileg.
Ihnen wurde sogar der eintägige Besuch einer Beckmann-Ausstellung (1983 in der Neuen Nationalgalerie in Westberlin) verwehrt. 46 Künstler, darunter etliche aus Leipzig, baten in einem Schreiben an Sitte, er möge die Gründe für die Ablehnung mitteilen.
Die SED-Machthaber sahen in dem Protest „Nötigung und Erpressung“. Statt Reisepässen gab es Repressionen. Die Initiatoren Jürgen Schäfer und Hans Hendrick Grimmling verloren ihre Funktionen im Verband, Günther Huniat erhielt ein Parteiverfahren. Grimmling verließ bald für immer die DDR.
Den Drang, hinter den Eisernen Vorhang reisen zu können, hatte Kurt Dornis damals nicht. Er habe doch alles gekannt und bis 1961 den Westen erkundet. Danach nahm er die neue politische Situation ohne Klagen hin, malte in Leipzig Häuser, Straßenfluchten, Brücken – und eben Moskau, ziemlich bunt.
„Künstlerreisen in der DDR – Hinter dem Eisernen Vorhang“, bis 13. Juli, geöffnet Di–Fr 11–18 Uhr, Sa 11–14 Uhr; Galerie im Neuen Augusteum, Augustusplatz 10; www.uni-leipzig.de/kustodie
Von Thomas Mayer