Wie Leipzigs Straßennamen die Geschichte widerspiegeln

Vergleicht man Stadtpläne aus der Zeit von 1920 und heute, also 100 Jahre später, fallen viele vertraute Straßennamen auf. Aber einige fehlen, die historische Logik und der auf Orientierung angelegte Sinn der Straßennamen ging bei zu vielen Namen verloren. City: Namen erinnern an Handwerkszünfte: Zunächst ein Blick in die Innenstadt. Eigentlich heißt im Stadtzentrum alles noch so wie vor 100 Jahren. Und das ist gut so. Spiegelt doch die Geschichte der Namen interessante Details der Stadtgeschichte wider. Sporer-, Preußer-, Böttchergäßchen, Fleischergasse – viele Namen erinnern an alte Handwerkszünfte. Andere an alte Kirchen im Zentrum, so die Petersstraße oder der Peterskirchhof an die alte Peterskirche oder das Peterstor. Mätthai-, Nikolai- oder Thomaskirchhof an die Stadtkirchen. Salzgäßchen oder Reichsstraße an die alten Handelsstraßen, in deren Schnittpunkt Leipzig entstand. Dies gilt auch für den Markt, den alten Handelsplatz der Stadt. Er hieß nur wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg Platz des Friedens. Selbst die Markgrafenstraße behielt immer ihren Namen, wollte man doch an Markgrafen Otto von Meißen erinnern, der Leipzig das Stadtrecht verliehen hatte. Ausfallstraßen wurden nach Zielen benannt: Die Schulstraße, seit einigen Jahren Ratsfreischulstraße, hält den Gedanken an die erste Ratsfreischule wach. Am Richard-Wagner-Platz stand das alte Theater, ein Kriegsverlust. Die Grimmaische Straße führte zum Grimmaischen Tor. Die Straße am Hallischen Tor zum Hallischen Tor. So ist jahrhundertealte Stadtgeschichte zu erleben. Außerhalb der Innenstadt wurden große Straßen stets nach den Richtungen benannt, in die sie führen. So findet man 1920 die Hallische, Delitzscher, Torgauer-, Dresdner-, Wurzner-, Riesaer-, Reitzenhainer, Zeitzer-, Bornaische Straße; ebenso die Pegauer-, Frankfurter-, Lützner- oder Merseburger Straße. Einige davon finden sich heute (wieder) im Stadtbild. Reitzenhainer Straße ist verschwunden: Nach 1945 war es Mode, große Straßen nach den Helden der neuen Zeit zu benennen. Die Reitzenhainer Straße (welcher alte Leipziger kennt das Lied vom Würstchenmann in der Reitzenhainer Straße nicht?) musste ab 1950 den Namen Leninstraße tragen. Leider kam die 1991 geplante Rückbenennung dieses geschichtsträchtigen Namens nicht zustande, sie ist heute die Prager Straße. Die Frankfurter Straße wurde erst zur Stalinallee, später zur Friedrich-Ludwig-Jahn-Allee und 1992 wurde sie umbenannt in Jahnallee. Auch hier fehlt der Name der Stadt Frankfurt im Stadtgedächtnis, heißen doch am alten Handelsweg Leipzig-Frankfurt überall Straßen nach diesen Städten. Zudem unterstützte Frankfurt Leipzig nach der Wende massiv und wurde Partnerstadt. Nach Jahn gibt es übrigens mit sechs Straßennamen die häufigsten Benennungen. Die Hallische Straße wurde 1945 zur Georg-Schumann-Straße, die Pegauer zur Wolfgang-Heinze-Straße. Beide Namen blieben trotz Rückbenennungsabsichten. Adolf-Südknecht-Straße? Kurios ist der in Leipzig verbreitete Name der Adolf-Südknecht-Straße, erinnert er doch daran, dass die Südstraße, Adolf-Hitler-Straße, 1945 kurz wieder Südstraße und dann zur Karl-Liebknecht-Straße wurde. Deshalb gibt es zwar Nordstraße und Nordplatz, Oststraße und Ostplatz, aber dem Südplatz oder dem Westplatz fehlen die angrenzenden Straßen. Die Böhlitz-Ehrenberger Südstraße oder die Lindenthaler Weststraße liegen da historisch falsch. Zwischen den großen Straßen gab es immer thematische Viertel berühmter Personen. Leider wurden auch hier willkürliche Änderungen vorgenommen. Die Siemensstraße, die mit der Halskestraße (beide Ingenieure gründeten die Elektrofabrik Siemens und Halske) eine Einheit bildete, ist heute allein, da die Halskestraße ab 1950 zur Einsteinstraße wurde. Zeigner wohnte nicht in der Erich-Zeigner-Allee: Den Töchtern des Herrn Tauchnitz waren die Antonien-, die Klarastraße und die Elisabethallee gewidmet. Letztere wurde zur Erich-Zeigner-Allee, obwohl dieser in der Zschocherschen Straße wohnte, die damals noch Carl-Goerdeler-Straße hieß, später aber zur Philipp-Müller-Straße und heute wieder zur Zschocherschen Straße wurde. In der Ostvorstadt gab es die Lange Straße, die Kurze Straße, die Kreuzstraße, die Querstraße und die Mittelstraße. Kurze Straße und Mittelstraße fehlen heute im Stadtplan. Komplett sind noch Hohe und Tiefe Straße. Komplett sind auch wieder die vier mittelalterlichen Namen Gerberstraße, Grimmaischer Steinweg, Peterssteinweg und Ranstädter Steinweg. Verwirrspiel um die Kurze Straße: Skurril war zum Beispiel die Umbenennung der Kurzen Straße (heute Spohrstraße). In dieser war der Kippenbergverlag. Anstatt diese nun Kippenbergstraße zu nennen, wurde die Gelbkestraße zur Kippenbergstraße, obwohl diese nach dem Ehrenbürger Otto von Münster ursprünglich Münsterstraße hieß und eine Rückbenennung möglich gewesen wäre. Bedauerlich auch der Fall der Woldemar-Götze-Straße, die nach dem verdienstvollen Pädagogen Woldemar Götze benannt war. Mangels Unterlagen nahm man 1992 an, dass diese nach dem Hitlergegner Waldemar Götze benannt war und strich den Namen des untadligen Pädagogen, weil man einen Schreibfehler vermutete. Der Fehler wurde nach dem Umbenennung bemerkt und nicht korrigiert. So zeigen Straßennamen auch Wirrungen und Irrungen der Geschichte. : Unser Auto Kai-Uwe Arnold ist seit Jahren als Hobby-Forscher für Leipzigs Straßennamen aktiv. Er hat sich auch in den Streit um die Umbenennung der Arndtstraße eingeschalten und wirbt für die Beibehaltung des bisherigen Namens. Von Kai-Uwe Arnold

Spurensuche in der Stadtgeschichte - Wie Leipzigs Straßennamen die Geschichte widerspiegeln