Homeschooling am Computer? Vielen Kindern im Altenburger Land bleibt das verwehrt

Im Kreistag des Altenburger Landes geht es nächste Woche um Millionen. Gut 3,8 Millionen Euro, zur Verfügung gestellt von Bund und Land, sollen bis 2024 ausgegeben werden, um die Schulen in Trägerschaft des Kreises mit Internet- und Computertechnik auszustatten. Auch die Stadt Altenburg plant Investitionen. Der Digitalpakt macht’s möglich. Doch diese IT-Offensive ist ein auf mehrere Jahre angelegtes Zukunftsprojekt. Im Moment steckt der Schulalltag noch in der analogen Gegenwart. Müsste morgen die Schule wegen Corona-Infektionen wieder schließen, die Situation wäre nicht besser als im März, macht Yvonne Künzel, die Leiterin der Bonhoefferschule in Altenburg-Nord, deutlich. Digitaler Fernunterricht für alle Schüler? Fehlanzeige. Ihr Kolleginnenteam sei gerade dabei, sich auf diesen Fall vorzubereiten – und stößt an Grenzen. Schulleiterin bittet Firmen und Privatleute um gebrauchte Computer: „Wir versuchen zum Beispiel gerade zu erfassen, wie viele Schüler zu Hause keinen Computer haben. Es sind an unserer Schule mindestens 22, wahrscheinlich noch deutlich mehr, denn wir haben von vielen noch keine Rückmeldung.“ Die Realität besteht für viele Schüler daheim aus Stift und Zettel. Yvonne Künzel hofft deshalb auf Soforthilfe. Dass die Stadtverwaltung in Kürze rund 130 000 Euro für notwendigste Investitionen bereitstellen will, stößt bei ihr auf offene Ohren. Sie hofft aber angesichts der Vielzahl fehlender Geräte auch auf private Unterstützung. „Vielleicht gibt es ja Firmen oder Privatleute, die gebrauchte Computer abgeben können – für Kinder und Jugendliche, die zu Hause keinen Rechner haben. Wir sind sehr interessiert.“ Der Stadt Altenburg stehen für ihre Schulen noch in diesem Jahr rund 130 000 Euro zur Verfügung. Die Mittel kommen aus einem Sofortausstattungsprogramm des Digitalpakts Schule, die Höhe bemisst sich an der Zahl der Schüler, teilt die Stadt auf OVZ-Anfrage mit. Zurzeit besuchen knapp 1500 Schülerinnen und Schüler die sieben Bildungsstätten in städtischer Trägerschaft. Das Geld sei speziell für die Unterstützung finanziell schwacher Familien vorgesehen. Hinzu kommen bis 2024 weitere Mittel in Höhe von 850 000 Euro. Damit soll vor allem der Ausbau der IT-Infrastruktur der Schulen (LAN und WLAN) sowie schnelle Internetanbindungen vorangebracht werden. Dabei ist der Computermangel nicht das einzige Problem. Noch dünner werde es bei den E-Mail-Adressen, hat die Schulleiterin festgestellt. Ein erheblicher Teil der Schüler verfüge nicht über ein solches digitales Postfach. Mitte September hatte die Leiterin nur von rund der Hälfte der Kinder einen Mail-Kontakt vorliegen. Mitunter seien Eltern nicht bereit oder in der Lage, ihr Kind entsprechend auszustatten. „Das liegt auch daran, dass viele noch nicht die Notwendigkeit erkannt haben.“ Ein Symptom für dieses Problem steht im Schulsekretariat auf dem Schreibtisch und klingelt sich heiß: „Wenn Eltern uns erreichen wollen, rufen sie an. Ich kenne nur fünf Familien, die uns eine Mail schreiben.“ E-Mail schreiben ist Unterrichtsstoff: Auch für die Schüler ist diese Form der Kommunikation offensichtlich ungewohnt. Im Medienkunde-Unterricht lernen sie gerade, wie das funktioniert – eine E-Mail schreiben, eine Datei anhängen. Die Jugendlichen kennen sich mit WhatsApp aus, mit Instagram, machen schnelle Daumen am Smartphone. Doch die gute alte Mail ist ihnen fremd. Allerdings: Die werden sie brauchen, genauso wie den Rechner daheim, wenn der Zu-Hause-Unterricht im Ernstfall funktionieren soll. Denn der Austausch mit den Lehrern basiert darauf, ebenso die offizielle Thüringer Lernplattform, die sogenannte Schulcloud. „Als im März plötzlich die Schulen zugemacht wurden, haben wir stundenlang Arbeitsmaterialien kopiert und von den Eltern abholen lassen. Das geht so nicht noch mal“, sagt Yvonne Künzel. Nur jeder Zweite 12-Jährige hat einen Rechner: Wohl wissend, dass es genau so wieder kommen könnte. „Die Schule hat den Auftrag, die Schüler mit Lehrstoff zu versorgen, zur Not eben analog.“ Dass lernschwache oder sozial benachteiligte Schüler ohne Computer Gefahr laufen, auf der Strecke zu bleiben, steht auf einem anderen Blatt. Fakt ist: Mehr denn je bestimmt in Coronazeiten die technische Ausstattung über den Lernerfolg. Laut Kinderschutzbund verfügen bundesweit nur 45 Prozent aller 12-Jährigen über einen eigenen Laptop, PC oder ein Tablet, in armen Familien sind es sogar nur 15 Prozent. An den Schulen ist die Lage ebenfalls ernst, wie eine Bedarfsanalyse des Landkreises für die Verteilung der Digitalpakt-Gelder zeigt. An den allgemeinbildenden Schulen liegt die Geschwindigkeit des Internetanschlusses oft bei maximal 16 Mbit pro Sekunde, im Schlimmstfall liegen nur 2 Mbit an. Dabei genügen selbst 100 Mbit nicht, um mit einer Vielzahl von Geräten gleichzeitig flott zu surfen. Es mangelt an WLAN und mobilen Endgeräten: Der Großteil der Bildungsstätten des Kreises hat noch kein WLAN und fehlt es an mobilen Endgeräten. Auf der Wunschliste stehen deshalb vielfach Tablet-Klassensätze. Einige Einrichtungen, wie etwa die Regelschulen in Schmölln, Meuselwitz und Rositz sowie das Lerchenberggymnasium, wollen jeden Schüler mit einem Tablet ausstatten. Bis 2024. Schulleiterin Yvonne Künzel hofft, dass ihr der Ernstfall noch ein Weilchen erspart bleibt. Schon ein einziger Infektionsfall kann dazu führen, dass eine oder mehrere Klassen daheim bleiben müssen. Und auch die Lehrerschaft wäre betroffen. Jeder zweite an der Bonhoefferschule gehört zur Risikogruppe. Von Kay Würker