Landgerichtsprozess um blutige Eskalation am Schmöllner Bahnhof

Wie schnell Situationen kippen können, zeigt ein Tag Anfang Juni des Vorjahres in Schmölln. Einige Jugendliche treffen sich auf dem Bahnhofsplatz, quatschen, haben Spaß. Es fließt viel Alkohol. Gegen 20.45 Uhr eskaliert ein Streit zwischen Freunden. Einer zieht dem anderen eine Flasche über den Kopf, so dass sie bricht. Blut spritzt. Danach soll er mit der abgebrochenen Flasche versucht haben, auf seinen Kumpel einzustechen. Gut acht Monate später sitzen sich beide am Dienstag erstmals wieder gegenüber. Diesmal im Landgericht Gera, vor der 9. Strafkammer. Der eine, ein 21-Jähriger, auf der Anklagebank. Sein fast gleichaltriger Ex-Kumpel als Zeuge schräg gegenüber. Der Geschädigte würdigt seinen Peiniger keines Blicks, weiß auch auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Harald Tscherner nicht, ob er seinem früheren Freund wird verzeihen können und es jemals wieder so wird wie vor jenem Abend des 6. Juni. Opfer wehrt Angriffe ab – Staatsanwalt sieht Tötungsversuch: Das wundert wenig. Denn Oberstaatsanwalt Horst Sauerbaum wirft dem Angeklagten versuchten Totschlag vor. So soll er nach dem Schlag auf den Hinterkopf seines Freundes mit dem scharfen Flaschenhals sieben bis acht Mal versucht haben, in dessen Hals zu stechen und ihn so zu töten. Das Opfer kann die Angriffe zwar abwehren, erleidet aber mehrere stark blutende Platzwunden, die später im Krankenhaus genäht werden müssen. Schließlich ziehen Freunde den damals 20-Jährigen weg und verhindern Schlimmeres. Bereits zweieinhalb Stunden zuvor soll der Angeklagte im Kaufland jemanden geschlagen haben. Ergebnis: eine blutende Wunde an der Unterlippe. Auch hierbei soll der Schmöllner laut Sauerbaum schon stark alkoholisiert gewesen sein. Alkohol- und Drogenmissbrauch und ein Teilgeständnis: Vielleicht liegt es an den 2,24 Promille, die er da laut Bluttest intus hat, dass sich der Angeklagte nun nicht mehr an die Körperverletzung im Supermarkt erinnern kann. Vielleicht auch an seinem jahrelangem Konsum von Schmerztabletten, Marihuana, Crystal Meth und Ecstasy – alles stets mit Alkohol. Doch weder eine kurz zuvor kassierte Haftstrafe wegen Körperverletzung und Drogendelikten, noch der zeitnahe Polizei-Kontakt hält den jungen Mann von der nächsten Entgleisung ab. Zumindest „eine Kopfnuss gegen’s Auge“ und den Schlag mit der Flasche räumt er ein, nachdem Tscherner die Bitte seines Verteidigers Helge Klein nach einem Deal als sinnlos ablehnte. Darüber hinaus erinnert sich der Angeklagte an wenig. So kann er nichts zu Stichen mit der abgebrochenen Flasche sagen, sie aber auch nicht ausschließen. Vorgespielte Erinnerungslücken bringen Richter auf Palme: Erinnerungslücken, die sich durch einen Teil der fast ein Dutzend Zeugenaussagen ziehen. Mehrfach wird Tscherner mehr als deutlich. „Das ist kein Spaß hier“, ermahnt er einen Zeugen laut. „Ihm wird versuchter Totschlag vorgeworfen, dafür kann er zehn Jahre eingesperrt werden. Sie haben wohl ihr Hirn versoffen?“ Der Zeuge dazu: „Kann sein.“ Zum Ende des Prozessauftakts bleibt somit unklar, wie viele Stichversuche es gegeben hat. Das Opfer selbst spricht „von drei bis vier“, andere sahen keine oder eine unbestimmte Zahl. Auch zu weiteren Details – ob jemand zu Boden ging oder Lebensgefahr bestand – gibt es unterschiedliche Angaben. Der Geschädigte hatte jedenfalls das Gefühl, sein Ex-Kumpel „wollte mich umbringen“. Klar ist nur, dass es kurz zuvor Versuche des Angeklagten gab, seinem Freund mit einer Flasche eins überzuziehen. Freitag wird weiter verhandelt. Eventuell fällt dann bereits ein Urteil. Von Thomas Haegeler

Versuchter Totschlag - Landgerichtsprozess um blutige Eskalation am Schmöllner Bahnhof