29. Februar: Was macht der Kreis Leipzig am „geschenkten“ Tag?

Das Jahr 2020 ist ein Schaltjahr und hat darum einen 29. Februar. Der zusätzliche Tag wird alle vier Jahre nötig, um den Jahreskalender an astronomische Vorgänge anzugleichen. Denn die Erde braucht nicht genau 365, sondern 365,24 Tage für einen Umlauf um die Sonne. Diese zusätzlichen 0,24 Tage (genau fünf Stunden und 48 Minuten) summieren sich in vier Jahren fast zu einem ganzen Tag, der in den Kalender eingeschoben werden muss. 29. Februar hat geschichtlichen Hintergrund: Dass ausgerechnet der 29. Februar zum Schalttag wurde, hat offenbar geschichtliche Gründe. Schon im antiken Rom endete das Jahr im Februar - Neujahr war am 1. März. Davon zeugen noch die heutigen Monatsnamen September bis Dezember, die vom März aus gezählt - und gemäß ihrer Wortbedeutung - der siebte bis zehnte Monat waren. Darum darf noch heute der Februar als ohnehin kürzester Monat alle vier Jahre einen Tag länger sein. Was machen Sie an dem zusätzlichen Tag? Wir haben Menschen zwischen Borna und Wurzen gefragt, was sie an dem zusätzlichen Tag machen. Tina Schulze (41) freut sich zumindest auf den verbleibenden Rest des zusätzlichen Tages: „Ich arbeite von Montag bis Sonnabend“, holt die Bornaer Floristin aus: „Da legt man zu Hause schon gern mal die Beine hoch.“ Das habe sie sich schließlich auch verdient: „Oder?!“ Die Arbeit mache ihr Spaß, gern binde sie Blumensträuße, kreiere Gestecke und arrangiere Pflanzschalen. Umso mehr genieße sie es, in freien Stunden ganz für ihre Familie da zu sein: „Wir sind zu Hause zu fünft. Die Woche über sehen wir uns kaum, da haben alle voll zu tun. So gesehen ist jeder gemeinsame Tag ein Geschenk.“ Wenn sie mit ihrem Mann und den drei Kindern zusammen in der guten Stube sitzt, sei Fernsehen ein No-Go. „Wir reden gern miteinander, brauchen das regelrecht.“ Mit dem 29. Februar verbinde sie Erinnerungen an die Kindheit. Es sei der Tag, an dem sie und ihrer Mitschüler immer den Geburtstag ihrer einstigen Russischlehrerin gefeiert hätten. Die Nerchauerin Rosemarie Haus verblüfft mit einer einfachen Eselsbrücke: Den 29. Februar gibt es immer im Olympiajahr. Sportlich sei auch ihr ganz persönliches Programm an besagtem 29. Februar. So müsse die 78-Jährige in der Küche zu wahrer Olympia-Form auflaufen: „Mein Enkel Sebastian hat in der Umgebung ein altes Bauerngut gekauft. Es sind Aufräum- und Renovierungsarbeiten nötig. Weil mein Mann und ich nicht mehr Auto fahren und deshalb nur aus der Entfernung helfen können, übernehme ich bei mir zu Hause die Versorgung des gesamten Bautrupps.“ Gulasch, Kartoffeln und Gemüse werde sie Enkelsohn und Freunden in der Mittagspause vorsetzen. Am ausgezogenen Tisch müssten alle zusammen rücken, lacht die herzensgute Frau. Rosemarie Haus, rühriges Mitglied im Nerchauer Heimatverein, betont, nicht einfach nur Dosennahrung aufzuwärmen. Das komme bei ihr nicht in die Tüte. Sie koche immer frisch. Zur Feier des geschenkten Tages gebe sie Enkel und Helfern zudem eine Kanne Tee mit: „Niemand soll auf der Baustelle frieren.“ Für die Serkaerin Elke Kompe (53) ist der geschenkte Tag eher ein gebrauchter: „Ich muss arbeiten – wie jeden Sonnabend auch.“ Die Obst- und Gemüsehändlerin sei mit einem eigenen Stand auf dem Frischemarkt in Leipzig vertreten. Dennoch, zumindest einen klitzekleinen Luxus habe sie an jenem 29. Februar: Unter der Woche müsse sie immer schon morgens, 2 Uhr, im Großmarkt antreten. Am Sonnabend reiche es, wenn sie erst um fünf da sei. Als die Muldentalerin den mitleidigen Blick des Reporters bemerkt, legt sie los: „Na von alleene hubbt da nischt auf den Hänger. Och, diese Städter! Von nischt ’ne Ahnung. Ihr denkt wohl, das Futter kommt aus dem Computer.“ Alles müsse sortiert und verladen werden. Über einen zusätzlichen Tag könne sie nur müde lächeln: „Ich hab’ an dem 29. Februar straff zu tun. Bestimmt bis 21 Uhr.“ Schließlich müsse alles aufgeräumt und abgerechnet werden. Ob sie zumindest am Sonntag ausspannen könne: „Da muss der Hühnerstall gemistet werden.“ Für ihn sei der 29. Februar ein wahrhaft geschenkter Tag, sagt der Nerchauer Wolfgang Sieber. Obwohl er mit 90 längst ein alter Knabe sei, habe er ganz aktuell das Licht der Welt zum zweiten Mal erblickt. „Sie müssen wissen, dass ich zu Weihnachten praktisch erblindet war und nun zumindest auf einem Auge wieder sehe.“ Man könne sich gar nicht vorstellen, was es für ein Glück sei, wieder Zeitung lesen zu können. „Das merkst du erst, wenn du eine Weile blind warst. Drei Wochen lag ich in der Klinik. Während ich auf meinem linken Auge schon lange nichts mehr sehe, bekam ich die Lider meines noch intakten rechten Auges plötzlich nicht mehr auseinander. Die Mitarbeiter mussten mich sogar aufs Klo führen. So hilflos war ich.“ Schließlich sei einer Ärztin doch noch die Erleuchtung gekommen. Sie tippte auf die Folgen eines Zeckenbisses und verordnete ein starkes Antibiotikum. Zusätzlich wurde mit Heftpflaster nachgeholfen. Mit Erfolg! „Ich sagte der Ärztin, dass es vor ihr schon jemandem gelungen sei, Blinde sehend zu machen – Jesus.“ Für SPD-Lokalpolitiker Thomas Glaser (54) beginnt der geschenkte Tag bereits am Freitagabend: „Dann spiele ich mit meinen Fremdiswalder Vereinsfreunden ausgiebig Tischtennis.“ Der Fernsehmonteur sei bereits seit Jugendtagen begeisterter Ping-Pong-Spieler, nahm sogar an der Kinder- und Jugend-Spartakiade der DDR teil. Unvergesslich seien in diesem Sinne die Verdienste von Nerchaus langjährigem Tischtennis-Vater Georg Atzler. Er liebe den Sport als Ausgleich zur stressigen Arbeit im Rundfunkgeschäft, sagt Glaser: „An der Platte schwitzt du wie verrückt. Dann musst du schnellstens nachtanken. Das tun wir auch prompt – mit einem Bierchen für die Nierchen.“ Am eigentlichen geschenkten Tag nutze er die freie Zeit, um den Fußballtag am 4. Juli auf dem Sportplatz vorzubereiten: „Ich leite nämlich die Abteilung Fußball beim Nerchauer SV. In diesem Jahr feiert der Verein 30-jähriges Bestehen. Höchste Zeit, dass wir wieder mit einer Männermannschaft am Spielbetrieb teilnehmen.“ Der 18-jährige Roy Schmidt aus Mölbis ist in Borna gerade auf dem Weg zum Friseur. Er wolle sich schick machen, am geschenkten Tag müsse der Schnitt sitzen. Schließlich habe er einiges vor: „Meine Freundin Jenny und ich gehen zum Italiener essen.“ Doch das sei nur die halbe Wahrheit, schiebt er nach: „Ins Ristorante Toscana laden wir zusätzlich meine und auch die Eltern von Jenny ein.“ Er kenne Jennys Eltern zwar, und Jenny kenne seine, so Roy Schmidt, aber die Eltern untereinander begegneten sich am legendären 29. Februar zum allerersten Mal. Der Tag böte sich idealerweise an, da alle Sechs frei hätten. Roy, der bekennende Motorradfan und Simson-Verrückte, ist von Beruf Mechatroniker. In Borna wartet und repariert er Abwasserpumpen. Er verdiene also schon: „Jenny und ich laden unsere Eltern nicht nur ein, wir teilen uns in der Gaststätte auch in die Rechnung“, verspricht der junge Mann, der seit vier Monaten mit Jenny zusammen ist. Was er mit dem geschenkten Tag mache? Imbissbetreiber Erdal Özer (45) aus der Osttürkei, in Borna besser bekannt unter seinem Künstlernamen „Meisterdöner“, kann sich ein Lachen nicht ganz verkneifen: „Gute Frage, wirklich! Darüber hatte ich nie nachgedacht. In meiner Heimat ist das kein Thema.“ Er werde mit seiner Frau und den beiden Kindern in aller Ruhe spazieren gehen. Er hoffe auf gutes Wetter. Wenn das nicht mitspiele, mache er eben einen Einkaufsbummel. Seit nunmehr 18 Jahren sei der Erfinder des „Meistersalats“ und langjährige Fußballer in Borna zu Hause. Dort fühle er sich sehr wohl. Und dann rechnet er: „Moment mal, wenn es den 29. Februar nur alle vier Jahre gibt, dann gibt es ja auch Leute, die nur alle vier Jahre Geburtstag haben ... Schade, dass ich nicht am 29. Februar Geburtstag habe ... dann wäre ich noch nicht mal ein Teenager!“ Die Schmorditzer Carolin (30) und Stefan Lehmann (28) freuen sich wie Bolle auf die gewonnenen Stunden. „Wir gehen an unserem freien Tag zum Fasching nach Trebsen. Die dortigen Narren machen das immer am besten“, sagen die frisch Vermählten. Bei den sogenannten Sackfeten in der Nachbarstadt hätten sie zuletzt mächtig abgesahnt und den Kostümwettbewerb gewonnen, sagen die beiden guten Seelen vom Team des Schmorditzer Gesundheitszentrums. Carolin und ihre Freundinnen gehen diesmal als Schneeflöckchen in selbst genähten Röckchen. Stefan und seine coolen Kumpels verkleiden sich als Beck’s-Ice-Flaschen. Mit Maleranzug und Motorradhelm sorgten sie bereits als Kosmonauten für Aufsehen. Schwerelos bringen sich die sportiven Carolin und Stefan auch am 29. Februar in Stimmung: mit Kreistraining im Schwimmbad. Für Familienmutter Jana Witt (44) ist der zusätzliche Tag vor allem ein Haushaltstag: „Da mache ich all das, wozu ich in der Woche nicht recht komme – Wäsche waschen, einkaufen gehen, Essen kochen.“ Für die Bornaerin, die in der Pflege arbeitet, sei der 29. Februar ein ganz normaler Sonnabend. Oder doch nicht? „Stimmt. Diesmal hat auch mein Mann Andreas frei. Sonst muss er oft auch samstags ran. Da könnte ich mir vorstellen, dass wir zusammen den Garten auf Vordermann bringen – natürlich nur, wenn es nicht regnet.“ Sie sei gerne an der frischen Luft, verrät Jana Witt: „Ich halte mich mit zügigem Gehen fit.“ Und dann stellt sie dem Reporter eine Gegenfrage: „Wie ist das heutzutage so, fremde Menschen auf der Straße anzusprechen? In meiner Ausbildung wurden wir auch mit Stift und Notizblock rausgeschickt, um Leute zu interviewen. Das hatte mir immer viel Spaß gemacht...“ Von Haig Latchinian

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