Ehemaliger Mölbiser Pfarrer Karlheinz Dallmann wird 75

Er ist längst zur Legende geworden. Aus Mölbis ist er auch Jahre nach seinem Dienstende als Pfarrer in der evangelischen Gemeinde dort nicht wegzudenken: Karlheinz Dallmann, der am Mittwoch 75 Jahre geworden ist. Ein Mann, der im Leipziger Südraum zu den entscheidenden Protagonisten der Wende vor reichlich drei Jahrzehnten gehörte. 100 Leute im Mölbiser Pfarrgarten: Dass er in Mölbis und damit im „dreckigsten Dorf Europas“ landen würde, gehörte nicht zur Lebensplanung des Mannes mit dem üppigen Haupthaar, der in Oberlichtenau bei Chemnitz geboren wurde. Schließlich war er 1986 bereits 13 Jahre lang glücklich als Pfarrer in Lampertswalde in der Dahlener Heide. Die Kirchgemeinde dort lässt ihn deshalb auch nur unter Protest ziehen. Im Schatten des Espenhainer Werkes und damit in einem ökologischen Katastrophengebiet findet er allerdings seine Berufung. Der fünffache Vater organisiert Umweltgottesdienste, bei denen sich bisweilen 100 Leute im Mölbiser Pfarrgarten drängen. Immer im Visier der Staatssicherheit, ein Schicksal, das der einstige Student an der Theologischen Fakultät der Leipziger Karl-Marx-Universität mit vielen Pfarrerkollegen teilt. 17 000 Flugblätter in Mölbis gedruckt: Allerdings dürfte kaum einer von denen so hoch ins Risiko gegangen sein wie Dallmann. Ohne dessen Mut jedenfalls wäre es am 15. Januar 1989 nicht zu der spektakulären Flugblattaktion im Umfeld der alljährlichen Demonstration zum Gedenken an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in Leipzig gekommen. Die Druckmaschine, auf der die 17 000 (!) Flugblätter hergestellt werden, landet auf Schleichwegen im Mölbiser Pfarrhaus. Eine riskante Aktion, weshalb der Pfarrer seine Frau beschwört, dass sie bei einer möglichen Befragung durch die Stasi in jedem Falle dabei bleiben solle, dass sie von nichts gewusst hat. Wallfahrten als Umweltprotest: Seit 1987 organisiert der Pfarrer Wallfahrten, auf denen bis zu 500 Leute hinter einem Kreuz herlaufen. Religiöse Veranstaltungen sind auch in der DDR erlaubt; dass sich die Aktion auch als Protest gegen den unglaublichen Dreck und die gigantische Umweltzerstörung im Süden der Messestadt verstehen lässt, muss die Staatsmacht zähneknirschend hinnehmen. Stasi-Lada in Mölbis: Die ist so gut wie immer präsent. Wenn Besuchergruppen aus westdeutschen Partnergemeinden nach Mölbis kommen, „stand der Stasi-Lada schon da“, erinnert er sich Jahrzehnte später. Den Mauerfall verpasst: Den Mauerfall hingegen verpasst er. Das hängt mit seiner großen Leidenschaft, der Musik, zusammen. Dalli, wie er von vielen genannt wird, ist auch Discotheker und Musiker. Damit wollte ihn in den 1960er-Jahren auch die Stasi ködern, als sie dem jungen Mann bessere Instrumente und Fernsehauftritte versprach. Dass einer wie Dallmann ablehnte, versteht sich. Am späten Abend des 9. November 1989 kommt er von einer Mugge aus Dürrweitzschen zurück ins heimatliche Mölbis. Über die vielen Autos auf der Autobahn wundert er sich. Dass die Mauer gefallen ist, erfährt er erst am nächsten morgen beim Frühstück von seiner Tochter. Literarisches Denkmal: In der Wendezeit wird Karlheinz Dallmann politisch aktiv und zieht im Mai 1990 als einer von zwei Leuten fürs Neue Forum in den neuen Kreistag in Borna ein. Erich Loest setzt ihm in seinem großen Wenderoman „Nikolaikirche“ ein Denkmal. Das Buch wird auch verfilmt, und der bekannte Schauspieler Rolf Ludwig spielt den Mölbiser Pfarrer. Auch der langjährige ZDF-Journalist Dieter Zimmer, der aus Leipzig stammt und viel über seine Heimatstadt geschrieben hat, verewigt Dallmann in seinen Büchern. Viele wollen den Helden von Mölbis kennen lernen, darunter die brandenburgische Arbeitsministerin Regine Hildebrandt, der Wittenberger Pfarrerkollege Friedrich Schorlemmer und Prinz Charles. Seit zehn Jahren im Ruhestand: Mittlerweile ist es ruhiger geworden um Karlheinz Dallmann, der seit zehn Jahren im Ruhestand ist. Er ist an Parkinson erkrankt. So oft es geht, läuft er durch Mölbis. Von Nikos Natsidis