Ein bewegtes Leben: Gretel Galisch feiert 100. Geburtstag in Borna

Geburtstagskinder haben drei Wünsche frei. Gretel Galisch, die am 7. Januar 100 Jahre alt wird, muss dafür nicht lange überlegen: „Ich wünsche mir Ruhe und Frieden. Und dass ich eines Tages friedlich einschlafen kann.“ So wie schon ihre Großmutter in Niederschlesien, die abends noch die Strümpfe für den Bruder stopfte und morgens nicht mehr aufwachte. Harte körperliche Arbeit im Dorf: Im selben Jahr geboren wie der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt, Oscarpreisträger Peter Ustinov oder Prinz Philip von England ist Gretel Galisch in eine Zeit hineingewachsen, die von Krieg und Vertreibung, harter körperlicher Arbeit, Hunger und Inflation geprägt war. „An meine Kindheit denke ich trotzdem gerne zurück“, sagt sie. „Wir hatten es schön im Dorf, gerade mal 300 Einwohner, viel Natur mit Wald und Wiesen und Fischteichen und Landwirtschaft. Meine Eltern waren nicht reich, aber sehr fleißig. Wäsche waschen, Holz sägen, die Feldarbeit, Kohleheizung, das war alles nicht so einfach. Wir hatten ein kleines Grundstück, eine Katze, einen Hund und Kühe. Und wenn wir Kinder in die Schule gegangen sind, hat einer den anderen abgeholt. Der Zusammenhalt war wunderbar. Das sind meine schönsten Erinnerungen.“ Ausbildung an der Charité: Im Krieg war Gretel Galisch Helferin beim Roten Kreuz, musste manche Nacht auf Stroh schlafen, nur mit einer dünnen Decke bedeckt. „Zum Glück war ich gesundheitlich stabil“, erinnert sie sich an die schlimmen Jahre. Später landete die junge Frau in Berlin und absolvierte an der Charité eine Ausbildung zur Krankenschwester. Inmitten einer Trümmerlandschaft. „Ich sehe heute noch die Trümmerfrauen vor mir, wie sie Ziegelsteine abgeklopft haben für 300 Gramm Brot. Nur damit ihre Kinder etwas zu essen bekommen. Das kann sich heute niemand mehr vorstellen.“ Die zierliche Frau mit den schlohweißen Haaren wirkt resolut, wenn sie sagt: „Es hat heute niemand einen Grund zu schimpfen. Uns geht es so gut.“ Gemeindeschwester von Schönau: Mit ihrem Mann Willy, der aus dem gleichen Dorf in Schlesien stammte wie sie, war Gretel Galisch über 50 Jahre verheiratet. Das Paar nahm eine Neubauernstelle in Wyhra an, bekam zwei Söhne und Gretel arbeitete zwei Jahrzehnte als Gemeindeschwester in Nenkersdorf und Schönau. Hausbesuche, Blutdruck messen, Verbände wechseln, Infusionen, Gespräche. „Das ist das Leben“, denkt die gelernte Krankenschwester gerne an die Zeit zurück, als sie mit dem Motorrad von Dorf zu Dorf fuhr. „Das füllt einen aus.“ Betreut von der Volkssolidarität: Heute bleiben ihr nur die Erinnerungen und ein Leben voller Dankbarkeit. Mit 87 Jahren zog die Oma von fünf Enkeln und siebenfache Uroma von Wyhra nach Borna und wird in ihrer gemütlichen kleinen Wohnung liebevoll von der Volkssolidarität und Nachbarin Moni betreut. „Wenn man älter wird, ist man zunehmend auf Hilfe angewiesen und wenn man dann eine liebevolle Umgebung hat, ist es toll. Aber man muss auch Danke sagen können.“ Ihren 100. Geburtstag verbringt Gretel Galisch ganz in Ruhe zu Hause, so wie es ihre Art ist. Vielleicht gibt es ein Eierlikörchen zur Feier des Tages. Von Kathrin Haase