Die Nachricht traf die Angehörigen in schwerer Stunde völlig unvorbereitet und plötzlich: Der gerade verstobene Vater darf nicht auf der Familiengrabstätte neben seinem durch einen Unfall schon früher gestorbenen Sohn bestattet werden. Der Vorstand des Kirchspiels im Leipziger Neuseenland hatte kurz zuvor entschieden, dass auf dem Friedhof in Kleinpötzschau keine Beisetzungen mehr stattfinden.
Die Kleinpötzschauer sind erbost
Waldemar Przynos ist Ortsvorsteher des Röthaer Ortsteiles Pötzschau, wozu die Orte Groß- und Kleinpötzschau sowie Dahlitzsch gehören, wohnt gleich in der Nähe des Friedhofes und entnimmt aus Gesprächen: „Die Kleinpötzschauer sind sehr erbost über die Entscheidung.“
Zumal die überhaupt nicht kommuniziert worden sei. Niemand hätte davon erfahren, sagt Przynos, wenn nicht in den letzten Wochen in kurzer Zeit mehrere Menschen in Kleinpötzschau gestorben wären.
Keine Zeit, den Beschluss zu kommunizieren
In der Politik würde man vermutlich von einer Informationspanne reden. Hier trifft es wohl der Begriff Schicksal etwas besser. „Wir hatten gar keine Zeit, den Beschluss zu kommunizieren“, sagt Pfarrer Matthias Lehmann. Der ist seit Mitte September Pfarrer in Steinbach und hat Anfang dieses Jahres vom Mölbiser Pfarrer Stephan Vorwergk die Leitung im evangelisch-lutherischen Kirchspiel im Leipziger Neuseenland übernommen. Zu dem gehören die Gemeinden Rötha, Böhlen, Kitzscher, Steinbach und Mölbis.
Bestattungsinstitut informierte über die Neuigkeit
Tatsächlich hatte es 2016 die letzte Beerdigung auf dem Kleinpötzschauer Friedhof gegeben, dann erst wieder eine in diesem Jahr. Ungefähr zu dem Zeitpunkt sprachen die Vorstände der Gemeinde Mölbis und des Kirchspiels über die Zukunft der Friedhöfe und entschieden, den Kleinpötzschauer nicht mehr zu nutzen. Kurz danach starben mehrere Einwohner, und die Angehörigen erfuhren die Neuigkeit von ihrem Bestattungsinstitut. Dass sich so etwas im Dorf schnell rumspricht, ist klar.
Und noch etwas sei hinzugekommen: In der heiklen Angelegenheit, eine Friedhofsschließung erklären zu müssen, wollte man sich Unterstützung beim Regionalkirchenamt holen. Doch der dortige Friedhofsbeauftragte hatte gerade Urlaub.
Gerüchte machten die Runde
Statt Erklärungen machten nun also zunächst Gerüchte die Runde. Es sei schon von einer Umbettung aller Särge nach Großpötzschau die Rede, hat der Ortsvorsteher gehört.
Was nicht stimmt, wie Pfarrer Lehmann versichert: „Die vorhanden Gräber bleiben!“ Eine Umbettung sei aber möglich, wenn die Angehörigen das wünschen.
Schließung aus wirtschaftlichen Zwängen
Die Schließung an sich erklärt Lehmann mit wirtschaftlichen Zwängen: Der Kleinpötzschauer Friedhof, der auch weltlichen Bestattungen dient, gehöre zu Mölbis, sei einer von acht. „Einige lassen sich wirtschaftlich betreiben, andere nicht“, sagt der Pfarrer.
Auf der Wiese rund um die Kleinpötzschauer Kirche gibt es nur rund 30 Gräber. In Großpötzschau sind es kaum mehr, allerdings ist die Fläche etwas kleiner. Deswegen sollen Beisetzungen künftig nur noch dort erfolgen, habe man „schweren Herzens“ festgelegt.
Was Ortsvorsteher Waldemar Przynos nicht für die richtige Entscheidung hält. Die sanierte Großpötzschauer Kirche werde zunehmend für Konzerte und andere Veranstaltungen genutzt, mit „Kaffeerunden“ auf dem Friedhof. Das passe nicht zur Friedhofsruhe, so sein Einwand.
Dem Pfarrer Lehmann vorsichtig widerspricht: Wo dörfliche Strukturen funktionieren, sagt er, dort sei das Gespür dafür vorhanden, dass Leben und Tod zusammengehören. „Dort“, sagt er, „kann man auf dem Friedhof auch mal eine Tasse Kaffee trinken.“
Stadtrat hat grundsätzliche Vorbehalte
Peter Brauße aus Großpötzschau, Stadtrat in Rötha und Grabpfleger, hat ganz grundsätzliche Vorbehalte gegen die Entscheidung des Kirchspiels: „Man kann nicht über Nacht einen Friedhof zumachen“, sagt er und weiter: „Ich bin gegen jede Schließung eines Friedhofes, jeder hat seine Tradition.“
Für ihn fehlt es an der Zusammenarbeit des Kirchspiels mit der Stadt Rötha, die er mit in der Verantwortung sieht. Eine Anfrage von Pfarrer Vorwergk aus dem letzten Jahr bezüglich einer finanziellen Unterstützung der Friedhöfe soll bis heute unbeantwortet sein. Was Pfarrer Lehmann indirekt bestätigt: „Mit Rötha müssen wir uns noch zusammenfinden“, sagt er.
Von André Neumann