Gegen den Trend: Im Leipziger Land werden die Dörfer wieder jünger

Die Aussichten klangen düster. Über „schrumpfende Regionen“ und „demografischen Niedergang“, vor allem in Ostdeutschland, wurde geklagt. Die Abwanderung der Jungen würde den ländlichen Raum „veröden“ lassen oder gar „entvölkern“. Mancher zeichnete ein Bild von aussterbenden Dörfern mit ein paar zurück gelassenen Rentnern. Doch so schlimm wird’s nicht werden – zumindest hierzulande. Realität und Prognose für den ländlichen Leipziger Raum sind weit besser. Hauptgrund ist die Lage im Speckgürtel der Großstadt. Zwar wird die Bevölkerungszahl im Landkreis Leipzig bis 2035 weiter sinken, aber nur leicht: von aktuell rund 257.000 auf 253.000 Menschen, sagt die Prognose des Statistischen Landesamtes. Zum Vergleich: Leipzig soll in diesem Zeitraum von 600.000 auf 680.000 Bewohner wachsen. Jugendquotient wird steigen: Interessant ist die Entwicklung des so genannten Jugendquotienten im Landkreis. Er zeigt das Verhältnis der unter 20-Jährigen zu 100 Personen im erwerbsfähigen Alter. Zur Wende lag er bei 39. Aufgrund von Geburtenknick und starker Abwanderung in den 90ern schrumpfte der Quotient im Jahr 2011 auf 26 und erreichte damit den Tiefpunkt. Seitdem geht es langsam wieder aufwärts. 2015 berechneten die Statistiker den Jugendquotient mit 28, im Jahr 2018 mit 31. Auch ihre Prognose ist positiv: Im Jahr 2035 könnte er mit 38 Jugendlichen auf hundert Bewohner im erwerbsfähigen Alter fast wieder den Wert von 1990 erreicht haben. Gleichzeitig – und das ist mit den 90er-Jahren überhaupt nicht zu vergleichen – wird der Anteil der Senioren stark zunehmen. Minus acht Prozent bei unter Sechsjährigen 2035: Beim Blick auf die einzelnen Altersgruppen ergibt sich ein differenziertes Bild. Es wird prognostiziert, dass weniger Kinder geboren werden und im Jahr 2035 bei den unter Sechsjährigen ein Minus von acht Prozent im Vergleich zu 2018 steht. In anderen Altersgruppen – bei denen, die jetzt fast schon alle geboren sind – zeigt sich dagegen ein zweistelliges Plus: Bei den Zehn- bis 17-Jährigen +13 Prozent, bei den 17- bis 19-Jährigen plus 21 Prozent und bei den 19- bis 25-Jährigen sogar plus 38 Prozent. Fazit: Das Leipziger Land verjüngt sich wieder leicht. Um das zu wissen, braucht Karsten Richter keine Prognose und Statistik: Er beobachtet das seit Jahrzehnten in seinem Heimatort. Gute Gemeinschaft ist ein Grund dazubleiben: Der 43-Jährige stammt aus Frankenhain, einem Dorf mit 600 Einwohnern bei Frohburg. Als Jugendlicher baute er mit Freunden dort Anfang der 90er-Jahre einen Jugendclub im Keller des Konsums. Jugendclubs sind für ihn ein guter Gradmesser für die Entwicklung eines Dorfes: „Wenn Jugendliche sich dort etwas aufbauen und eine funktionierende Gemeinschaft erleben, dann ist die Hemmschwelle wegzugehen größer“, sagt Richter, der seit zehn Jahren Ortsvorsteher ist. Engagement von Menschen vor Ort: In Dörfern seiner Umgebung habe er dafür gute Beispiele. In Frankenhain, Tautenhain, Hopfgarten und Flößberg, wo es einst aktive Jugendclubs gab, seien heute starke Dorfvereine vertreten. Die Jugendlichen von einst sind oft deren Vorsitzende. „Das trägt Früchte“, meint er. Wenn die Kommunen immer größer werden und wie Grimma 64 oder Frohburg 33 Ortsteile haben, könne sich das Rathaus nicht mehr um jedes Dorf intensiv kümmern, sagt Richter und kennt als Erster Beigeordneter von Borna auch die Zwänge einer Stadtverwaltung. Wieder Jugendclub in Frankenhain: Das Engagement müsse daher von den Menschen aus den kleinen Orten selbst kommen. Sein Verein Dorfgemeinschaft Frankenhain mit 180 Mitgliedern beispielsweise ist jetzt dabei, von der Stadt Frohburg sein Vereinshaus, den alten Konsum, zu übernehmen. Darin gibt es heute auch wieder einen Jugendclub, wo junge Leute kochen, feiern, Flohmärkte organisieren und sich engagieren. Es sei wichtig, dass sich die Jugend in die Gemeinschaft einbringt. Das gelte jedoch auch für die Erwachsenen. Wertschätzen statt zu meckern: Jeder Verein habe einen Kern an Leuten, die sich für die anderen engagieren. Das sollte man wertschätzen und die Arbeit nach Möglichkeit unterstützen statt darüber zu meckern, was nicht klappt, meint er. Die Möglichkeiten für junge Leute, in ihrer Heimat zu bleiben, seien aktuell hervorragend: Es ist kein Problem mehr, Lehrstelle oder Job in der Region zu bekommen. „Die breite Masse der heute 25- bis 40-Jährigen ist deshalb dageblieben oder sie kommen jetzt wieder zurück und bauen ihr Eigenheim“, sagt Karsten Richter. Den Bauboom in der Region betont Ines Lüpfert, Erste Beigeordnete im Landkreis Leipzig: „Die Eigenheimstandorte sprießen nur so aus dem Boden. Das hätten wir uns vor 15 Jahren nicht träumen lassen!“ Beteiligung: Wo kann ich mich einbringen? Auch die Erreichbarkeit der Kleinstädte habe sich durch S-Bahn-Anbindung oder einen besseren Takt der Busse vielerorts verbessert. Hinzu komme „bei allen Schwierigkeiten“ ein gutes Kita-Angebot. All dies sei für junge Familien ein Grund, aufs Land zu ziehen. Dabei spielen die hohen Baupreise in Leipzig eine wesentliche Rolle. Wer trotz des guten Ausbildungsmarktes vor Ort woanders einen Beruf lernt oder studiert, komme häufig danach zurück in die Heimat – wenn er hier einst Wurzeln geschlagen hat. Wesentlich sei dafür eine gute dörfliche Gemeinschaft und Vereine, sagt Lüpfert. Wie Karsten Richter plädiert sie für Beteiligung: „Wo kann ich mich einbringen? Wo kann ich was bewegen und auf die Beine stellen? Das ist entscheidend für eine funktionierende Gemeinschaft.“ Lesen Sie dazu auch: Bevölkerungsprognose: Das sind die Gewinner und Verlierer im Landkreis Leipzig Begehrtes Bauland: Wo gibt’s noch Platz für Eigenheime im Kreis Leipzig? Von Claudia Carell